Wir rechnen; welche Kunst! Kann dieses auch ein Vieh? Nein, und dennoch sind wir kaum so gelehrt Mit aller Wissenschaft und Rechnung, als wie sie. Ein Storch weiß seine Zeit, und rechnet seine Stunde: Und überdem, wir wissen nicht einmal Die Wunder-Tief' und Höh der Zalen aus dem Grunde; Wir wissen nicht den Schluß noch Anfang einer Zal. Die schliessen ja für dich was unbegreiflichs ein, Da schon in einem 1. die Teil' unendlich seyn.
Wird nicht von uns'rem Witz begriffen und gefasst Manch Handwerk, manche Kunst? Auch dieß ist wahr; allein Erwege doch die Last, Die Arbeit, Plage, Müh, den Schweiß, den Gram, die Sorgen, Den Kummer und Verdruß, Die mancher Handwerks-Mann vom Abend bis zum Morgen, Bloß um ein Bißgen Brodt, beständig dulden muß, Und ob auf solche Weis' ein Thier Ohn' Handwerk, sonder Kunst, nicht glücklicher, als wir!
Der Mensch ist ja gelehrt. Wir habenProfessores In omni scibili, Philosophos, Doctores. Wir untersuchen ja die Wirkung der Natur, Ergründen ihre Kraft, und kommen auf die Spur Von ihrer Heimlichkeit. Sind das nicht Wunder- Sachen? Vortrefflich, wunderbar! Nur eines fel't daran, Daß keiner nicht einmal dir recht erklären kann, Was Feu'r, was Wasser sey. Jch muß von Herzen lachen, Daß die gelehrte Welt sich selbst so sehr erhöht,
Da
II. Theil. F f
Wir rechnen; welche Kunſt! Kann dieſes auch ein Vieh? Nein, und dennoch ſind wir kaum ſo gelehrt Mit aller Wiſſenſchaft und Rechnung, als wie ſie. Ein Storch weiß ſeine Zeit, und rechnet ſeine Stunde: Und uͤberdem, wir wiſſen nicht einmal Die Wunder-Tief’ und Hoͤh der Zalen aus dem Grunde; Wir wiſſen nicht den Schluß noch Anfang einer Zal. Die ſchlieſſen ja fuͤr dich was unbegreiflichs ein, Da ſchon in einem 1. die Teil’ unendlich ſeyn.
Wird nicht von unſ’rem Witz begriffen und gefaſſt Manch Handwerk, manche Kunſt? Auch dieß iſt wahr; allein Erwege doch die Laſt, Die Arbeit, Plage, Muͤh, den Schweiß, den Gram, die Sorgen, Den Kummer und Verdruß, Die mancher Handwerks-Mann vom Abend bis zum Morgen, Bloß um ein Bißgen Brodt, beſtaͤndig dulden muß, Und ob auf ſolche Weiſ’ ein Thier Ohn’ Handwerk, ſonder Kunſt, nicht gluͤcklicher, als wir!
Der Menſch iſt ja gelehrt. Wir habenProfeſſores In omni ſcibili, Philoſophos, Doctores. Wir unterſuchen ja die Wirkung der Natur, Ergruͤnden ihre Kraft, und kommen auf die Spur Von ihrer Heimlichkeit. Sind das nicht Wunder- Sachen? Vortrefflich, wunderbar! Nur eines fel’t daran, Daß keiner nicht einmal dir recht erklaͤren kann, Was Feu’r, was Waſſer ſey. Jch muß von Herzen lachen, Daß die gelehrte Welt ſich ſelbſt ſo ſehr erhoͤht,
Da
II. Theil. F f
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgn="37"><l><pbfacs="#f0485"n="449"/><hirendition="#fr">Wir rechnen; welche Kunſt! Kann dieſes auch ein Vieh?</hi></l><lb/><l>Nein, und dennoch ſind wir kaum ſo gelehrt</l><lb/><l>Mit aller Wiſſenſchaft und Rechnung, als wie ſie.</l><lb/><l>Ein Storch weiß ſeine Zeit, und rechnet ſeine Stunde:</l><lb/><l>Und uͤberdem, wir wiſſen nicht einmal</l><lb/><l>Die Wunder-Tief’ und Hoͤh der Zalen aus dem Grunde;</l><lb/><l>Wir wiſſen nicht den Schluß noch Anfang einer Zal.</l><lb/><l>Die ſchlieſſen ja fuͤr dich was unbegreiflichs ein,</l><lb/><l>Da ſchon in einem 1. die Teil’ unendlich ſeyn.</l></lg><lb/><lgn="38"><l><hirendition="#fr">Wird nicht von unſ’rem Witz begriffen und gefaſſt</hi></l><lb/><l><hirendition="#fr">Manch Handwerk, manche Kunſt?</hi> Auch dieß iſt wahr;</l><lb/><l><hirendition="#et">allein</hi></l><lb/><l>Erwege doch die Laſt,</l><lb/><l>Die Arbeit, Plage, Muͤh, den Schweiß, den Gram, die</l><lb/><l><hirendition="#et">Sorgen,</hi></l><lb/><l>Den Kummer und Verdruß,</l><lb/><l>Die mancher Handwerks-Mann vom Abend bis zum Morgen,</l><lb/><l>Bloß um ein Bißgen Brodt, beſtaͤndig dulden muß,</l><lb/><l>Und ob auf ſolche Weiſ’ ein Thier</l><lb/><l>Ohn’ Handwerk, ſonder Kunſt, nicht gluͤcklicher, als wir!</l></lg><lb/><lgn="39"><l><hirendition="#fr">Der Menſch iſt ja gelehrt. Wir haben</hi><hirendition="#aq"><hirendition="#i">Profeſſores</hi></hi></l><lb/><l><hirendition="#aq #i">In omni ſcibili, Philoſophos, Doctores.</hi></l><lb/><l><hirendition="#fr">Wir unterſuchen ja die Wirkung der Natur,</hi></l><lb/><l><hirendition="#fr">Ergruͤnden ihre Kraft, und kommen auf die Spur</hi></l><lb/><l><hirendition="#fr">Von ihrer Heimlichkeit. Sind das nicht Wunder-<lb/><hirendition="#et">Sachen?</hi></hi></l><lb/><l>Vortrefflich, wunderbar! Nur eines fel’t daran,</l><lb/><l>Daß keiner nicht einmal dir recht erklaͤren kann,</l><lb/><l>Was Feu’r, was Waſſer ſey. Jch muß von Herzen lachen,</l><lb/><l>Daß die gelehrte Welt ſich ſelbſt ſo ſehr erhoͤht,</l><lb/><l><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">II.</hi> Theil. F f</fw><fwplace="bottom"type="catch">Da</fw><lb/></l></lg></div></div></body></text></TEI>
[449/0485]
Wir rechnen; welche Kunſt! Kann dieſes auch ein Vieh?
Nein, und dennoch ſind wir kaum ſo gelehrt
Mit aller Wiſſenſchaft und Rechnung, als wie ſie.
Ein Storch weiß ſeine Zeit, und rechnet ſeine Stunde:
Und uͤberdem, wir wiſſen nicht einmal
Die Wunder-Tief’ und Hoͤh der Zalen aus dem Grunde;
Wir wiſſen nicht den Schluß noch Anfang einer Zal.
Die ſchlieſſen ja fuͤr dich was unbegreiflichs ein,
Da ſchon in einem 1. die Teil’ unendlich ſeyn.
Wird nicht von unſ’rem Witz begriffen und gefaſſt
Manch Handwerk, manche Kunſt? Auch dieß iſt wahr;
allein
Erwege doch die Laſt,
Die Arbeit, Plage, Muͤh, den Schweiß, den Gram, die
Sorgen,
Den Kummer und Verdruß,
Die mancher Handwerks-Mann vom Abend bis zum Morgen,
Bloß um ein Bißgen Brodt, beſtaͤndig dulden muß,
Und ob auf ſolche Weiſ’ ein Thier
Ohn’ Handwerk, ſonder Kunſt, nicht gluͤcklicher, als wir!
Der Menſch iſt ja gelehrt. Wir haben Profeſſores
In omni ſcibili, Philoſophos, Doctores.
Wir unterſuchen ja die Wirkung der Natur,
Ergruͤnden ihre Kraft, und kommen auf die Spur
Von ihrer Heimlichkeit. Sind das nicht Wunder-
Sachen?
Vortrefflich, wunderbar! Nur eines fel’t daran,
Daß keiner nicht einmal dir recht erklaͤren kann,
Was Feu’r, was Waſſer ſey. Jch muß von Herzen lachen,
Daß die gelehrte Welt ſich ſelbſt ſo ſehr erhoͤht,
Da
II. Theil. F f
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/485>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.