Man siehet mit vergnüg'ter Sele Jn dieser kleinen Purpur-Höle Ein etwas, das den Glanz vom ächten Golde hat. Sehr zierlich ist das grosse Blat Mit dunklen Aederchen durchschnitten. Der Stengel hält, wie eine grüne Hand, Die Bluhmen gleichsam in der Mitten, Als mit fünf Fingern, überspannt. Weil ich hievon den Zweck nun nicht begreifenkann; So seh' ich es aufs wenigst' an Als eine Spur, Daß die stets wechselnde Natur Fast nimmer einerley, Nein, aber wol in stets veränderlichen Bildern Sowol zu zeichnen als zu schildern An Reichtum unerschöpflich sey. Dein Herzen-förmig Blat, So ich an deinen Stengeln sehe, Erinnert mich, daß, wenn ich GOttes Macht Jn seiner Creatur betracht', Es recht von Herzen stets geschehe.
Noch sah ich, wie in kleinen runden Höhen Viel Zungen-gleiche Blätter stunden. Gut, dacht' ich, will man wol bestehen; So bleibe Zung' und Herz zu einem Zweck verbunden. Hiezu nun fand ich auch so gleich Gelegenheit. Jch sah, vor Lust erstaunt, in süsser Zierlichkeit, Den kleinen weiß- und rot- und bunten Rosen gleich, Sehr viel Marien-Blühmchen glänzen, Mit welchen Tellus Reich Sich pfleg't am früh'sten zu bekränzen. Der Farben Gluht, der Bildung Niedlichkeit, Die sich so wunderbar vermälen, Ergetzten durchs Gesicht das Auge meiner Selen.
Jch
Man ſiehet mit vergnuͤg’ter Sele Jn dieſer kleinen Purpur-Hoͤle Ein etwas, das den Glanz vom aͤchten Golde hat. Sehr zierlich iſt das groſſe Blat Mit dunklen Aederchen durchſchnitten. Der Stengel haͤlt, wie eine gruͤne Hand, Die Bluhmen gleichſam in der Mitten, Als mit fuͤnf Fingern, uͤberſpannt. Weil ich hievon den Zweck nun nicht begreifenkann; So ſeh’ ich es aufs wenigſt’ an Als eine Spur, Daß die ſtets wechſelnde Natur Faſt nimmer einerley, Nein, aber wol in ſtets veraͤnderlichen Bildern Sowol zu zeichnen als zu ſchildern An Reichtum unerſchoͤpflich ſey. Dein Herzen-foͤrmig Blat, So ich an deinen Stengeln ſehe, Erinnert mich, daß, wenn ich GOttes Macht Jn ſeiner Creatur betracht’, Es recht von Herzen ſtets geſchehe.
Noch ſah ich, wie in kleinen runden Hoͤhen Viel Zungen-gleiche Blaͤtter ſtunden. Gut, dacht’ ich, will man wol beſtehen; So bleibe Zung’ und Herz zu einem Zweck verbunden. Hiezu nun fand ich auch ſo gleich Gelegenheit. Jch ſah, vor Luſt erſtaunt, in ſuͤſſer Zierlichkeit, Den kleinen weiß- und rot- und bunten Roſen gleich, Sehr viel Marien-Bluͤhmchen glaͤnzen, Mit welchen Tellus Reich Sich pfleg’t am fruͤh’ſten zu bekraͤnzen. Der Farben Gluht, der Bildung Niedlichkeit, Die ſich ſo wunderbar vermaͤlen, Ergetzten durchs Geſicht das Auge meiner Selen.
Jch
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Man ſiehet mit vergnuͤg’ter Sele
Jn dieſer kleinen Purpur-Hoͤle
Ein etwas, das den Glanz vom aͤchten Golde hat.
Sehr zierlich iſt das groſſe Blat
Mit dunklen Aederchen durchſchnitten.
Der Stengel haͤlt, wie eine gruͤne Hand,
Die Bluhmen gleichſam in der Mitten,
Als mit fuͤnf Fingern, uͤberſpannt.
Weil ich hievon den Zweck nun nicht begreifenkann;
So ſeh’ ich es aufs wenigſt’ an
Als eine Spur,
Daß die ſtets wechſelnde Natur
Faſt nimmer einerley,
Nein, aber wol in ſtets veraͤnderlichen Bildern
Sowol zu zeichnen als zu ſchildern
An Reichtum unerſchoͤpflich ſey.
Dein Herzen-foͤrmig Blat,
So ich an deinen Stengeln ſehe,
Erinnert mich, daß, wenn ich GOttes Macht
Jn ſeiner Creatur betracht’,
Es recht von Herzen ſtets geſchehe.
Noch ſah ich, wie in kleinen runden Hoͤhen
Viel Zungen-gleiche Blaͤtter ſtunden.
Gut, dacht’ ich, will man wol beſtehen;
So bleibe Zung’ und Herz zu einem Zweck verbunden.
Hiezu nun fand ich auch ſo gleich Gelegenheit.
Jch ſah, vor Luſt erſtaunt, in ſuͤſſer Zierlichkeit,
Den kleinen weiß- und rot- und bunten Roſen gleich,
Sehr viel Marien-Bluͤhmchen glaͤnzen,
Mit welchen Tellus Reich
Sich pfleg’t am fruͤh’ſten zu bekraͤnzen.
Der Farben Gluht, der Bildung Niedlichkeit,
Die ſich ſo wunderbar vermaͤlen,
Ergetzten durchs Geſicht das Auge meiner Selen.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/49>, abgerufen am 21.11.2024.
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