Wol aber stehen Saur und Bitter allezeit Jn steter Widersetzlichkeit.
Ein saures Theilchen ist von spitziger Figur, Und drängt sich in die Zung hinein, Es gehet tieff in ihre Zäserlein, Und lässet eine tieffe Spur. Was bitter aber, ist demselben gantz entgegen, Denn das, was eigentlich die Bitterkeit, Sind Theile, welche platt und von Beschaffenheit Verwirrt, stumpf, ungleich, schwer, und die sich nicht bewegen: Jhr Druck ist plump und sonder Krafft und Geist, Die Spitzen sind nicht spitz, da keine sticht und beist. Die Nerven, die ihr Druck versehret, Sind sehr dadurch beleidigt und beschweret.
Das Süsse hält das Mittel zwischen beyden, Die Theilchen, welche rund sich in der Ründe regen, Erwecken in der Zung' ein leicht Bewegen, Und machen uns mit Kützeln sanfte Freuden.
Das Saure wird im Feur stumpf und verzehret sich. Was bittres trifft man an in Cörpern, die verbrannt. Jn reiffen Früchten wird so herb als saur erkannt, Süß sind sie reiff: gantz bitter, widerlich Sind sie, wenn sie die Fäulniß trennt.
Derselbige Geschmack rührt auf verschiedne Weise Verschiedne Zungen offt, auf die er sich erstrecket,
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Von dem Geſchmack.
Wol aber ſtehen Saur und Bitter allezeit Jn ſteter Widerſetzlichkeit.
Ein ſaures Theilchen iſt von ſpitziger Figur, Und draͤngt ſich in die Zung hinein, Es gehet tieff in ihre Zaͤſerlein, Und laͤſſet eine tieffe Spur. Was bitter aber, iſt demſelben gantz entgegen, Denn das, was eigentlich die Bitterkeit, Sind Theile, welche platt und von Beſchaffenheit Verwirrt, ſtumpf, ungleich, ſchwer, und die ſich nicht bewegen: Jhr Druck iſt plump und ſonder Krafft und Geiſt, Die Spitzen ſind nicht ſpitz, da keine ſticht und beiſt. Die Nerven, die ihr Druck verſehret, Sind ſehr dadurch beleidigt und beſchweret.
Das Suͤſſe haͤlt das Mittel zwiſchen beyden, Die Theilchen, welche rund ſich in der Ruͤnde regen, Erwecken in der Zung’ ein leicht Bewegen, Und machen uns mit Kuͤtzeln ſanfte Freuden.
Das Saure wird im Feur ſtumpf und verzehret ſich. Was bittres trifft man an in Coͤrpern, die verbrannt. Jn reiffen Fruͤchten wird ſo herb als ſaur erkannt, Suͤß ſind ſie reiff: gantz bitter, widerlich Sind ſie, wenn ſie die Faͤulniß trennt.
Derſelbige Geſchmack ruͤhrt auf verſchiedne Weiſe Verſchiedne Zungen offt, auf die er ſich erſtrecket,
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Von dem Geſchmack.
Wol aber ſtehen Saur und Bitter allezeit
Jn ſteter Widerſetzlichkeit.
Ein ſaures Theilchen iſt von ſpitziger Figur,
Und draͤngt ſich in die Zung hinein,
Es gehet tieff in ihre Zaͤſerlein,
Und laͤſſet eine tieffe Spur.
Was bitter aber, iſt demſelben gantz entgegen,
Denn das, was eigentlich die Bitterkeit,
Sind Theile, welche platt und von Beſchaffenheit
Verwirrt, ſtumpf, ungleich, ſchwer, und die ſich nicht bewegen:
Jhr Druck iſt plump und ſonder Krafft und Geiſt,
Die Spitzen ſind nicht ſpitz, da keine ſticht und beiſt.
Die Nerven, die ihr Druck verſehret,
Sind ſehr dadurch beleidigt und beſchweret.
Das Suͤſſe haͤlt das Mittel zwiſchen beyden,
Die Theilchen, welche rund ſich in der Ruͤnde regen,
Erwecken in der Zung’ ein leicht Bewegen,
Und machen uns mit Kuͤtzeln ſanfte Freuden.
Das Saure wird im Feur ſtumpf und verzehret ſich.
Was bittres trifft man an in Coͤrpern, die verbrannt.
Jn reiffen Fruͤchten wird ſo herb als ſaur erkannt,
Suͤß ſind ſie reiff: gantz bitter, widerlich
Sind ſie, wenn ſie die Faͤulniß trennt.
Derſelbige Geſchmack ruͤhrt auf verſchiedne Weiſe
Verſchiedne Zungen offt, auf die er ſich erſtrecket,
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Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/369>, abgerufen am 16.07.2024.
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