Die ihr natürlich sind. Nachdem sie Staffel-Weise Sich ändert, weiß sie, daß sich müsse Die Sehungs-Axe gleichfalls biegen. Die Winckel, die sie macht, die enge bald, bald weit, Veranlasst, daß der Geist, durch diesen Unterscheid, Sein Urtheil von der Größ' und von der Weite fällt, Der Cörper, die ihm vorgestellt.
Nur bloß die Züge sind formiret, Das übrige gebühret Der Seelen nur allein. Von allen Cörpern, die der Schein Der Sonnen auf der Welt bestrahlt und schmücket, Sind Bilder in uns eingedrücket. Da denn die Züge uns sofort Den vorwurf, den man fühlt zu suchen dringen An seinen rechten Ort, Wohin wir ihn gewohnt sind hinzubringen. Sonst aber findet man, daß man sich gröblich irrt, Wann mit dem Eindruck uns ein Vorwurf stets verwirrt, Und uns aus uns verlängt, der mit dem Sinn allein Beschäfftigt sollte seyn. Es bildet sich ein jeder ein, Daß auf der Cörper Fläch', woraus die Drücke rühren Die Dinge gegenwärtig seyn, Die sich in uns formiren. Nein, dieses Bild, das geistig bloß allein, Steht nur der Seele zu, bestehet bloß in ihr.
Der
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Von dem Geſicht.
Die ihr natuͤrlich ſind. Nachdem ſie Staffel-Weiſe Sich aͤndert, weiß ſie, daß ſich muͤſſe Die Sehungs-Axe gleichfalls biegen. Die Winckel, die ſie macht, die enge bald, bald weit, Veranlaſſt, daß der Geiſt, durch dieſen Unterſcheid, Sein Urtheil von der Groͤß’ und von der Weite faͤllt, Der Coͤrper, die ihm vorgeſtellt.
Nur bloß die Zuͤge ſind formiret, Das uͤbrige gebuͤhret Der Seelen nur allein. Von allen Coͤrpern, die der Schein Der Sonnen auf der Welt beſtrahlt und ſchmuͤcket, Sind Bilder in uns eingedruͤcket. Da denn die Zuͤge uns ſofort Den vorwurf, den man fuͤhlt zu ſuchen dringen An ſeinen rechten Ort, Wohin wir ihn gewohnt ſind hinzubringen. Sonſt aber findet man, daß man ſich groͤblich irrt, Wann mit dem Eindruck uns ein Vorwurf ſtets verwirrt, Und uns aus uns verlaͤngt, der mit dem Sinn allein Beſchaͤfftigt ſollte ſeyn. Es bildet ſich ein jeder ein, Daß auf der Coͤrper Flaͤch’, woraus die Druͤcke ruͤhren Die Dinge gegenwaͤrtig ſeyn, Die ſich in uns formiren. Nein, dieſes Bild, das geiſtig bloß allein, Steht nur der Seele zu, beſtehet bloß in ihr.
Der
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Von dem Geſicht.
Die ihr natuͤrlich ſind. Nachdem ſie Staffel-Weiſe
Sich aͤndert, weiß ſie, daß ſich muͤſſe
Die Sehungs-Axe gleichfalls biegen.
Die Winckel, die ſie macht, die enge bald, bald weit,
Veranlaſſt, daß der Geiſt, durch dieſen Unterſcheid,
Sein Urtheil von der Groͤß’ und von der Weite faͤllt,
Der Coͤrper, die ihm vorgeſtellt.
Nur bloß die Zuͤge ſind formiret,
Das uͤbrige gebuͤhret
Der Seelen nur allein.
Von allen Coͤrpern, die der Schein
Der Sonnen auf der Welt beſtrahlt und ſchmuͤcket,
Sind Bilder in uns eingedruͤcket.
Da denn die Zuͤge uns ſofort
Den vorwurf, den man fuͤhlt zu ſuchen dringen
An ſeinen rechten Ort,
Wohin wir ihn gewohnt ſind hinzubringen.
Sonſt aber findet man, daß man ſich groͤblich irrt,
Wann mit dem Eindruck uns ein Vorwurf ſtets verwirrt,
Und uns aus uns verlaͤngt, der mit dem Sinn allein
Beſchaͤfftigt ſollte ſeyn.
Es bildet ſich ein jeder ein,
Daß auf der Coͤrper Flaͤch’, woraus die Druͤcke ruͤhren
Die Dinge gegenwaͤrtig ſeyn,
Die ſich in uns formiren.
Nein, dieſes Bild, das geiſtig bloß allein,
Steht nur der Seele zu, beſtehet bloß in ihr.
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Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/499>, abgerufen am 22.11.2024.
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