Nachdem die Züge nun, wie wir gesehn, Zusammt den Bildungen nur eingedrücket stehn Auf Cörper, welche nicht belebet; So kann man ja dahero leichtlich fassen, Daß unser Auge bloß dazu gemacht, Um diese Mahlerey durch sich zu lassen, Und daß durch sie die Seel' auf andre Weise nicht Empfindet, urtheilt, schliesst, als wie von ihr geschicht, Wenn sie dasselbige Durch Cörper, die ihr frembd, verricht.
Betrachtungen über das Gesicht.
Von unserem Begriff die grosse Fertigkeit Macht, daß wir so geneigt, dem Werckzeug ihn zu schencken, Und daß wir, durch Gewohnheit und durch Zeit, Zu fühlen glauben, ohn zu dencken. Die Seel ist allemal dabey, Wenn, daß sie gegenwärtig sey, Sie selber gleich nicht glaubt. Jhr heimlichs Uberlegen, So durch Gewohnheit wir noch zu verstärcken pflegen; Begleitet allemal die Sinnen Auch dann schon, wenn wir kaum zu seyn beginnen. Doch fügt man zum Begriff, der einfach, schnell entsteht, Noch einen andern meist, der tieffer geht, Und welcher uns so leicht nicht irren lässt. Es bindet Sich der Verstand mit dem, was man zuerst empfindet.
Vom
G g 5
Von dem Geſicht.
Nachdem die Zuͤge nun, wie wir geſehn, Zuſammt den Bildungen nur eingedruͤcket ſtehn Auf Coͤrper, welche nicht belebet; So kann man ja dahero leichtlich faſſen, Daß unſer Auge bloß dazu gemacht, Um dieſe Mahlerey durch ſich zu laſſen, Und daß durch ſie die Seel’ auf andre Weiſe nicht Empfindet, urtheilt, ſchlieſſt, als wie von ihr geſchicht, Wenn ſie daſſelbige Durch Coͤrper, die ihr frembd, verricht.
Betrachtungen uͤber das Geſicht.
Von unſerem Begriff die groſſe Fertigkeit Macht, daß wir ſo geneigt, dem Werckzeug ihn zu ſchencken, Und daß wir, durch Gewohnheit und durch Zeit, Zu fuͤhlen glauben, ohn zu dencken. Die Seel iſt allemal dabey, Wenn, daß ſie gegenwaͤrtig ſey, Sie ſelber gleich nicht glaubt. Jhr heimlichs Uberlegen, So durch Gewohnheit wir noch zu verſtaͤrcken pflegen; Begleitet allemal die Sinnen Auch dann ſchon, wenn wir kaum zu ſeyn beginnen. Doch fuͤgt man zum Begriff, der einfach, ſchnell entſteht, Noch einen andern meiſt, der tieffer geht, Und welcher uns ſo leicht nicht irren laͤſſt. Es bindet Sich der Verſtand mit dem, was man zuerſt empfindet.
Vom
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[473/0503]
Von dem Geſicht.
Nachdem die Zuͤge nun, wie wir geſehn,
Zuſammt den Bildungen nur eingedruͤcket ſtehn
Auf Coͤrper, welche nicht belebet;
So kann man ja dahero leichtlich faſſen,
Daß unſer Auge bloß dazu gemacht,
Um dieſe Mahlerey durch ſich zu laſſen,
Und daß durch ſie die Seel’ auf andre Weiſe nicht
Empfindet, urtheilt, ſchlieſſt, als wie von ihr geſchicht,
Wenn ſie daſſelbige
Durch Coͤrper, die ihr frembd, verricht.
Betrachtungen uͤber das Geſicht.
Von unſerem Begriff die groſſe Fertigkeit
Macht, daß wir ſo geneigt, dem Werckzeug ihn zu ſchencken,
Und daß wir, durch Gewohnheit und durch Zeit,
Zu fuͤhlen glauben, ohn zu dencken.
Die Seel iſt allemal dabey,
Wenn, daß ſie gegenwaͤrtig ſey,
Sie ſelber gleich nicht glaubt. Jhr heimlichs Uberlegen,
So durch Gewohnheit wir noch zu verſtaͤrcken pflegen;
Begleitet allemal die Sinnen
Auch dann ſchon, wenn wir kaum zu ſeyn beginnen.
Doch fuͤgt man zum Begriff, der einfach, ſchnell entſteht,
Noch einen andern meiſt, der tieffer geht,
Und welcher uns ſo leicht nicht irren laͤſſt. Es bindet
Sich der Verſtand mit dem, was man zuerſt empfindet.
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Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/503>, abgerufen am 22.11.2024.
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