Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Von dem Gesicht.


Nachdem die Züge nun, wie wir gesehn,
Zusammt den Bildungen nur eingedrücket stehn
Auf Cörper, welche nicht belebet;
So kann man ja dahero leichtlich fassen,
Daß unser Auge bloß dazu gemacht,
Um diese Mahlerey durch sich zu lassen,
Und daß durch sie die Seel' auf andre Weise nicht
Empfindet, urtheilt, schliesst, als wie von ihr geschicht,
Wenn sie dasselbige
Durch Cörper, die ihr frembd, verricht.
Betrachtungen über das Gesicht.
Von unserem Begriff die grosse Fertigkeit
Macht, daß wir so geneigt, dem Werckzeug ihn zu schencken,
Und daß wir, durch Gewohnheit und durch Zeit,
Zu fühlen glauben, ohn zu dencken.
Die Seel ist allemal dabey,
Wenn, daß sie gegenwärtig sey,
Sie selber gleich nicht glaubt. Jhr heimlichs Uberlegen,
So durch Gewohnheit wir noch zu verstärcken pflegen;
Begleitet allemal die Sinnen
Auch dann schon, wenn wir kaum zu seyn beginnen.
Doch fügt man zum Begriff, der einfach, schnell entsteht,
Noch einen andern meist, der tieffer geht,
Und welcher uns so leicht nicht irren lässt. Es bindet
Sich der Verstand mit dem, was man zuerst empfindet.
Vom
G g 5
Von dem Geſicht.


Nachdem die Zuͤge nun, wie wir geſehn,
Zuſammt den Bildungen nur eingedruͤcket ſtehn
Auf Coͤrper, welche nicht belebet;
So kann man ja dahero leichtlich faſſen,
Daß unſer Auge bloß dazu gemacht,
Um dieſe Mahlerey durch ſich zu laſſen,
Und daß durch ſie die Seel’ auf andre Weiſe nicht
Empfindet, urtheilt, ſchlieſſt, als wie von ihr geſchicht,
Wenn ſie daſſelbige
Durch Coͤrper, die ihr frembd, verricht.
Betrachtungen uͤber das Geſicht.
Von unſerem Begriff die groſſe Fertigkeit
Macht, daß wir ſo geneigt, dem Werckzeug ihn zu ſchencken,
Und daß wir, durch Gewohnheit und durch Zeit,
Zu fuͤhlen glauben, ohn zu dencken.
Die Seel iſt allemal dabey,
Wenn, daß ſie gegenwaͤrtig ſey,
Sie ſelber gleich nicht glaubt. Jhr heimlichs Uberlegen,
So durch Gewohnheit wir noch zu verſtaͤrcken pflegen;
Begleitet allemal die Sinnen
Auch dann ſchon, wenn wir kaum zu ſeyn beginnen.
Doch fuͤgt man zum Begriff, der einfach, ſchnell entſteht,
Noch einen andern meiſt, der tieffer geht,
Und welcher uns ſo leicht nicht irren laͤſſt. Es bindet
Sich der Verſtand mit dem, was man zuerſt empfindet.
Vom
G g 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0503" n="473"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von dem Ge&#x017F;icht.</hi> </fw><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">N</hi>achdem die Zu&#x0364;ge nun, wie wir ge&#x017F;ehn,</l><lb/>
                <l>Zu&#x017F;ammt den Bildungen nur eingedru&#x0364;cket &#x017F;tehn</l><lb/>
                <l>Auf Co&#x0364;rper, welche nicht belebet;</l><lb/>
                <l>So kann man ja dahero leichtlich fa&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
                <l>Daß un&#x017F;er Auge bloß dazu gemacht,</l><lb/>
                <l>Um die&#x017F;e Mahlerey durch &#x017F;ich zu la&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
                <l>Und daß durch &#x017F;ie die Seel&#x2019; auf andre Wei&#x017F;e nicht</l><lb/>
                <l>Empfindet, urtheilt, &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;t, als wie von ihr ge&#x017F;chicht,</l><lb/>
                <l>Wenn &#x017F;ie da&#x017F;&#x017F;elbige</l><lb/>
                <l>Durch Co&#x0364;rper, die ihr frembd, verricht.</l>
              </lg>
            </div><lb/>
            <div n="3">
              <head> <hi rendition="#b">Betrachtungen u&#x0364;ber das Ge&#x017F;icht.</hi> </head><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">V</hi>on un&#x017F;erem Begriff die gro&#x017F;&#x017F;e Fertigkeit</l><lb/>
                <l>Macht, daß wir &#x017F;o geneigt, dem Werckzeug ihn zu &#x017F;chencken,</l><lb/>
                <l>Und daß wir, durch Gewohnheit und durch Zeit,</l><lb/>
                <l>Zu fu&#x0364;hlen glauben, ohn zu dencken.</l><lb/>
                <l>Die Seel i&#x017F;t allemal dabey,</l><lb/>
                <l>Wenn, daß &#x017F;ie gegenwa&#x0364;rtig &#x017F;ey,</l><lb/>
                <l>Sie &#x017F;elber gleich nicht glaubt. Jhr heimlichs Uberlegen,</l><lb/>
                <l>So durch Gewohnheit wir noch zu ver&#x017F;ta&#x0364;rcken pflegen;</l><lb/>
                <l>Begleitet allemal die Sinnen</l><lb/>
                <l>Auch dann &#x017F;chon, wenn wir kaum zu &#x017F;eyn beginnen.</l><lb/>
                <l>Doch fu&#x0364;gt man zum Begriff, der einfach, &#x017F;chnell ent&#x017F;teht,</l><lb/>
                <l>Noch einen andern mei&#x017F;t, der tieffer geht,</l><lb/>
                <l>Und welcher uns &#x017F;o leicht nicht irren la&#x0364;&#x017F;&#x017F;t. Es bindet</l><lb/>
                <l>Sich der Ver&#x017F;tand mit dem, was man zuer&#x017F;t empfindet.</l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">G g 5</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">Vom</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[473/0503] Von dem Geſicht. Nachdem die Zuͤge nun, wie wir geſehn, Zuſammt den Bildungen nur eingedruͤcket ſtehn Auf Coͤrper, welche nicht belebet; So kann man ja dahero leichtlich faſſen, Daß unſer Auge bloß dazu gemacht, Um dieſe Mahlerey durch ſich zu laſſen, Und daß durch ſie die Seel’ auf andre Weiſe nicht Empfindet, urtheilt, ſchlieſſt, als wie von ihr geſchicht, Wenn ſie daſſelbige Durch Coͤrper, die ihr frembd, verricht. Betrachtungen uͤber das Geſicht. Von unſerem Begriff die groſſe Fertigkeit Macht, daß wir ſo geneigt, dem Werckzeug ihn zu ſchencken, Und daß wir, durch Gewohnheit und durch Zeit, Zu fuͤhlen glauben, ohn zu dencken. Die Seel iſt allemal dabey, Wenn, daß ſie gegenwaͤrtig ſey, Sie ſelber gleich nicht glaubt. Jhr heimlichs Uberlegen, So durch Gewohnheit wir noch zu verſtaͤrcken pflegen; Begleitet allemal die Sinnen Auch dann ſchon, wenn wir kaum zu ſeyn beginnen. Doch fuͤgt man zum Begriff, der einfach, ſchnell entſteht, Noch einen andern meiſt, der tieffer geht, Und welcher uns ſo leicht nicht irren laͤſſt. Es bindet Sich der Verſtand mit dem, was man zuerſt empfindet. Vom G g 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/503
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/503>, abgerufen am 22.11.2024.