Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.

Bild:
<< vorherige Seite
eines Linden-Baums.
An den lang- und schlancken Zweigen, die sich weit vom
Stamme strecken,

Können wir besondre Wunder, wenn man sie erwegt, ent-
decken.

Daß sie lang und rund zugleich, zeiget eine Weisheit an,
Dessen der sie werden lassen, welche billig iederman
Finden und bewundern sollte. Wahrlich nicht von ungefehr
Kommt die Bildung an den Zweigen, daß sie rund und lang
zugleich,

Sondern aus der Weisheits-Quelle und aus einer Allmacht
her,

Die zugleich an Lieb und Güte ewig unerschöpflich reich.
Die Betrachtung zeigt uns deutlich, daß derselben Glätt
und Ründe

Sie sowol für Fäulung schützet, als auch für die Macht der
Winde.

Da hingegen, bey der Ründe, der gedehnten Zweige Länge
Schatten, Pracht und Schönheit träget, sammt der Blüht' und
Blätter Menge.

Daß dieselben nicht zu starr, aber doch auch nicht zu weich,
Und daß sie, indem sie schlanck, würcklich hart und weich zu-
gleich,

Zeiget abermahl die Weisheit ihres Schöpfers offenbar,
Und zugleich Desselben Güte, samt der Allmacht, Sonnen-
klar.
Wären sie zu hart, zu starr; würde sie der Winde Schaar
Leicht zertrümmern, leicht zerbrechen. Wären sie zu weich
hingegen;

Würde sie die Last der Lufft abwärts biegen, niederdrücken,
Folglich würden sie beständig auf einander, gleich den Stri-
cken,

Sich üm ihre Stämme legen,
Und
J 4
eines Linden-Baums.
An den lang- und ſchlancken Zweigen, die ſich weit vom
Stamme ſtrecken,

Koͤnnen wir beſondre Wunder, wenn man ſie erwegt, ent-
decken.

Daß ſie lang und rund zugleich, zeiget eine Weisheit an,
Deſſen der ſie werden laſſen, welche billig iederman
Finden und bewundern ſollte. Wahrlich nicht von ungefehr
Kommt die Bildung an den Zweigen, daß ſie rund und lang
zugleich,

Sondern aus der Weisheits-Quelle und aus einer Allmacht
her,

Die zugleich an Lieb und Guͤte ewig unerſchoͤpflich reich.
Die Betrachtung zeigt uns deutlich, daß derſelben Glaͤtt
und Ruͤnde

Sie ſowol fuͤr Faͤulung ſchuͤtzet, als auch fuͤr die Macht der
Winde.

Da hingegen, bey der Ruͤnde, der gedehnten Zweige Laͤnge
Schatten, Pracht und Schoͤnheit traͤget, ſam̃t der Bluͤht’ und
Blaͤtter Menge.

Daß dieſelben nicht zu ſtarr, aber doch auch nicht zu weich,
Und daß ſie, indem ſie ſchlanck, wuͤrcklich hart und weich zu-
gleich,

Zeiget abermahl die Weisheit ihres Schoͤpfers offenbar,
Und zugleich Deſſelben Guͤte, ſamt der Allmacht, Sonnen-
klar.
Waͤren ſie zu hart, zu ſtarr; wuͤrde ſie der Winde Schaar
Leicht zertruͤmmern, leicht zerbrechen. Waͤren ſie zu weich
hingegen;

Wuͤrde ſie die Laſt der Lufft abwaͤrts biegen, niederdruͤcken,
Folglich wuͤrden ſie beſtaͤndig auf einander, gleich den Stri-
cken,

Sich uͤm ihre Staͤmme legen,
Und
J 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0167" n="135"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">eines Linden-Baums.</hi> </fw><lb/>
            <lg n="18">
              <l>An den lang- und &#x017F;chlancken Zweigen, die &#x017F;ich weit vom<lb/><hi rendition="#et">Stamme &#x017F;trecken,</hi></l><lb/>
              <l>Ko&#x0364;nnen wir be&#x017F;ondre Wunder, wenn man &#x017F;ie erwegt, ent-<lb/><hi rendition="#et">decken.</hi></l><lb/>
              <l>Daß &#x017F;ie lang und rund zugleich, zeiget eine Weisheit an,</l><lb/>
              <l>De&#x017F;&#x017F;en der &#x017F;ie werden la&#x017F;&#x017F;en, welche billig iederman</l><lb/>
              <l>Finden und bewundern &#x017F;ollte. Wahrlich nicht von ungefehr</l><lb/>
              <l>Kommt die Bildung an den Zweigen, daß &#x017F;ie rund und lang<lb/><hi rendition="#et">zugleich,</hi></l><lb/>
              <l>Sondern aus der Weisheits-Quelle und aus einer Allmacht<lb/><hi rendition="#et">her,</hi></l><lb/>
              <l>Die zugleich an Lieb und Gu&#x0364;te ewig uner&#x017F;cho&#x0364;pflich reich.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="19">
              <l>Die Betrachtung zeigt uns deutlich, daß der&#x017F;elben Gla&#x0364;tt<lb/><hi rendition="#et">und Ru&#x0364;nde</hi></l><lb/>
              <l>Sie &#x017F;owol fu&#x0364;r Fa&#x0364;ulung &#x017F;chu&#x0364;tzet, als auch fu&#x0364;r die Macht der<lb/><hi rendition="#et">Winde.</hi></l><lb/>
              <l>Da hingegen, bey der Ru&#x0364;nde, der gedehnten Zweige La&#x0364;nge</l><lb/>
              <l>Schatten, Pracht und Scho&#x0364;nheit tra&#x0364;get, &#x017F;am&#x0303;t der Blu&#x0364;ht&#x2019; und<lb/><hi rendition="#et">Bla&#x0364;tter Menge.</hi></l><lb/>
              <l>Daß die&#x017F;elben nicht zu &#x017F;tarr, aber doch auch nicht zu weich,</l><lb/>
              <l>Und daß &#x017F;ie, indem &#x017F;ie &#x017F;chlanck, wu&#x0364;rcklich hart und weich zu-<lb/><hi rendition="#et">gleich,</hi></l><lb/>
              <l>Zeiget abermahl die Weisheit ihres Scho&#x0364;pfers offenbar,</l><lb/>
              <l>Und zugleich De&#x017F;&#x017F;elben Gu&#x0364;te, &#x017F;amt der Allmacht, Sonnen-<lb/><hi rendition="#et">klar.</hi></l>
            </lg><lb/>
            <lg n="20">
              <l>Wa&#x0364;ren &#x017F;ie zu hart, zu &#x017F;tarr; wu&#x0364;rde &#x017F;ie der Winde Schaar</l><lb/>
              <l>Leicht zertru&#x0364;mmern, leicht zerbrechen. Wa&#x0364;ren &#x017F;ie zu weich<lb/><hi rendition="#et">hingegen;</hi></l><lb/>
              <l>Wu&#x0364;rde &#x017F;ie die La&#x017F;t der Lufft abwa&#x0364;rts biegen, niederdru&#x0364;cken,</l><lb/>
              <l>Folglich wu&#x0364;rden &#x017F;ie be&#x017F;ta&#x0364;ndig auf einander, gleich den Stri-<lb/><hi rendition="#et">cken,</hi></l><lb/>
              <l>Sich u&#x0364;m ihre Sta&#x0364;mme legen,</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">J 4</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0167] eines Linden-Baums. An den lang- und ſchlancken Zweigen, die ſich weit vom Stamme ſtrecken, Koͤnnen wir beſondre Wunder, wenn man ſie erwegt, ent- decken. Daß ſie lang und rund zugleich, zeiget eine Weisheit an, Deſſen der ſie werden laſſen, welche billig iederman Finden und bewundern ſollte. Wahrlich nicht von ungefehr Kommt die Bildung an den Zweigen, daß ſie rund und lang zugleich, Sondern aus der Weisheits-Quelle und aus einer Allmacht her, Die zugleich an Lieb und Guͤte ewig unerſchoͤpflich reich. Die Betrachtung zeigt uns deutlich, daß derſelben Glaͤtt und Ruͤnde Sie ſowol fuͤr Faͤulung ſchuͤtzet, als auch fuͤr die Macht der Winde. Da hingegen, bey der Ruͤnde, der gedehnten Zweige Laͤnge Schatten, Pracht und Schoͤnheit traͤget, ſam̃t der Bluͤht’ und Blaͤtter Menge. Daß dieſelben nicht zu ſtarr, aber doch auch nicht zu weich, Und daß ſie, indem ſie ſchlanck, wuͤrcklich hart und weich zu- gleich, Zeiget abermahl die Weisheit ihres Schoͤpfers offenbar, Und zugleich Deſſelben Guͤte, ſamt der Allmacht, Sonnen- klar. Waͤren ſie zu hart, zu ſtarr; wuͤrde ſie der Winde Schaar Leicht zertruͤmmern, leicht zerbrechen. Waͤren ſie zu weich hingegen; Wuͤrde ſie die Laſt der Lufft abwaͤrts biegen, niederdruͤcken, Folglich wuͤrden ſie beſtaͤndig auf einander, gleich den Stri- cken, Sich uͤm ihre Staͤmme legen, Und J 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/167
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/167>, abgerufen am 26.11.2024.