Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.
Wenn nun ein Mensch, dem GOTT Vernunst ge schencket, Sein Wesen, seine Daur, Bey folchem Zustand überdencket, Wie plötzlich die Vergänglichkeit Jhn selbst mit sich dahin zu raffen, dreut; Da fast kein Wind so schnell, als er, verwehet, Da fast kein Dampff so schnell, als er, vergehet, Da sich das künftge, fast mit dem vergangnen bindet, Und man die Gegenwart kaum kaum dazwischen findet; Sollt'er denn nicht mit Recht bey stätigem Vergange Der Creatur, von dem Zusammenhange, Den das Vergangene mit dem Vergehnden hat, Bemüht seyn etwas zu erwegen? Und, ob das, was in seinem Sinn Vergangen und dahin, Auch würcklich sey vergangen, überlegen? Jndem ich dieses schreib', heisst es bereits: ich schrieb; Jndem du dieses ließt, so hast du schon gelesen; Du bist nicht mehr anietzt das, was du noch gewesen Jn vor'gem Augenblick, der ietz'ge Puls-Schlag rieb Von deinem Wesen was. Da nun nichts feste stehet, Und aller Menschen Jetzt all' Augenblick vergehet, So sollte man ja wol mit recht ein ernstlichs dencken Dem, was, nach kurtzem Jetzt, so lang nicht mehr ist, schencken. Was
Wenn nun ein Menſch, dem GOTT Vernunſt ge ſchencket, Sein Weſen, ſeine Daur, Bey folchem Zuſtand uͤberdencket, Wie ploͤtzlich die Vergaͤnglichkeit Jhn ſelbſt mit ſich dahin zu raffen, dreut; Da faſt kein Wind ſo ſchnell, als er, verwehet, Da faſt kein Dampff ſo ſchnell, als er, vergehet, Da ſich das kuͤnftge, faſt mit dem vergangnen bindet, Und man die Gegenwart kaum kaum dazwiſchen findet; Sollt’er denn nicht mit Recht bey ſtaͤtigem Vergange Der Creatur, von dem Zuſammenhange, Den das Vergangene mit dem Vergehnden hat, Bemuͤht ſeyn etwas zu erwegen? Und, ob das, was in ſeinem Sinn Vergangen und dahin, Auch wuͤrcklich ſey vergangen, uͤberlegen? Jndem ich dieſes ſchreib’, heiſſt es bereits: ich ſchrieb; Jndem du dieſes ließt, ſo haſt du ſchon geleſen; Du biſt nicht mehr anietzt das, was du noch geweſen Jn vor’gem Augenblick, der ietz’ge Puls-Schlag rieb Von deinem Weſen was. Da nun nichts feſte ſtehet, Und aller Menſchen Jetzt all’ Augenblick vergehet, So ſollte man ja wol mit recht ein ernſtlichs dencken Dem, was, nach kurtzem Jetzt, ſo lang nicht mehr iſt, ſchencken. Was
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Das Vergangene,
Doch die man, Wechſels-weiſ’, in ſolcher Ordnung ſieht,
Daß das Entſtehen das Vergehen,
Und das Vergehen das Entſtehen
Beſtaͤndig vorwaͤrts zieht.
Wenn nun ein Menſch, dem GOTT Vernunſt ge
ſchencket,
Sein Weſen, ſeine Daur,
Bey folchem Zuſtand uͤberdencket,
Wie ploͤtzlich die Vergaͤnglichkeit
Jhn ſelbſt mit ſich dahin zu raffen, dreut;
Da faſt kein Wind ſo ſchnell, als er, verwehet,
Da faſt kein Dampff ſo ſchnell, als er, vergehet,
Da ſich das kuͤnftge, faſt mit dem vergangnen bindet,
Und man die Gegenwart kaum kaum dazwiſchen findet;
Sollt’er denn nicht mit Recht bey ſtaͤtigem Vergange
Der Creatur, von dem Zuſammenhange,
Den das Vergangene mit dem Vergehnden hat,
Bemuͤht ſeyn etwas zu erwegen?
Und, ob das, was in ſeinem Sinn
Vergangen und dahin,
Auch wuͤrcklich ſey vergangen, uͤberlegen?
Jndem ich dieſes ſchreib’, heiſſt es bereits: ich ſchrieb;
Jndem du dieſes ließt, ſo haſt du ſchon geleſen;
Du biſt nicht mehr anietzt das, was du noch geweſen
Jn vor’gem Augenblick, der ietz’ge Puls-Schlag rieb
Von deinem Weſen was. Da nun nichts feſte ſtehet,
Und aller Menſchen Jetzt all’ Augenblick vergehet,
So ſollte man ja wol mit recht ein ernſtlichs dencken
Dem, was, nach kurtzem Jetzt, ſo lang nicht mehr iſt, ſchencken.
Was
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