Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.
Und dennoch bildet sich der Mensch, aus Hochmuth, ein, Und handelt anders nicht, als wenn nur ihm allein Der höchste Grad der Vollenkommenheiten Bloß zugetheilet wär. Wie niedrig und wie klein Muß aber unser Witz dergleichen Engeln scheinen! Wo etwas uns zur Demuth sollte leiten, So sollt' es die Betrachtung seyn. Mein GOTT! indem mein Geist, von dieser Geister Welt, Sich einigen Begriff formiret; Wird durch Vermuthungen mir etwas vorgestellt, Das mich fast aus mir selber führet. Jn welchem sich mein Geist zwar gantz verlieret, Und gleichsam zu verkommen scheinet; Jedoch so viel davon zu fassen meinet, Daß der verklärten Creaturen Natur, Kräfft', Eigenschaft und ihrer Herrlichkeit Nicht auszudrückende Vollkommenheit Jn weit verschiednern Grad und Unterscheid, Als der Geschöpfe hier auf Erden, Bestehen werden. So sehr von einer Pflantz' ein Wurm sich unterscheidet, Von einem Wurm ein Thier, ja wie das Thier-Reich sehr Jn sich verschiedlich ist, und so verschiednen Grad Von Feuer, von Begriff und von Gedächtniß hat, Da
Und dennoch bildet ſich der Menſch, aus Hochmuth, ein, Und handelt anders nicht, als wenn nur ihm allein Der hoͤchſte Grad der Vollenkommenheiten Bloß zugetheilet waͤr. Wie niedrig und wie klein Muß aber unſer Witz dergleichen Engeln ſcheinen! Wo etwas uns zur Demuth ſollte leiten, So ſollt’ es die Betrachtung ſeyn. Mein GOTT! indem mein Geiſt, von dieſer Geiſter Welt, Sich einigen Begriff formiret; Wird durch Vermuthungen mir etwas vorgeſtellt, Das mich faſt aus mir ſelber fuͤhret. Jn welchem ſich mein Geiſt zwar gantz verlieret, Und gleichſam zu verkommen ſcheinet; Jedoch ſo viel davon zu faſſen meinet, Daß der verklaͤrten Creaturen Natur, Kraͤfft’, Eigenſchaft und ihrer Herrlichkeit Nicht auszudruͤckende Vollkommenheit Jn weit verſchiednern Grad und Unterſcheid, Als der Geſchoͤpfe hier auf Erden, Beſtehen werden. So ſehr von einer Pflantz’ ein Wurm ſich unterſcheidet, Von einem Wurm ein Thier, ja wie das Thier-Reich ſehr Jn ſich verſchiedlich iſt, und ſo verſchiednen Grad Von Feuer, von Begriff und von Gedaͤchtniß hat, Da
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Neu-Jahrs-Gedicht.
Bis zur Unendlichkeit
Und mehr, entfernet ſind,
Als wenn wir uns, von uns hinunter laſſen
Zum allerniedrigſten und ſchlechtſten Grad
Des Weſens, welches ſich dem Nichts am meiſten naht.
Und dennoch bildet ſich der Menſch, aus Hochmuth, ein,
Und handelt anders nicht, als wenn nur ihm allein
Der hoͤchſte Grad der Vollenkommenheiten
Bloß zugetheilet waͤr. Wie niedrig und wie klein
Muß aber unſer Witz dergleichen Engeln ſcheinen!
Wo etwas uns zur Demuth ſollte leiten,
So ſollt’ es die Betrachtung ſeyn.
Mein GOTT! indem mein Geiſt, von dieſer Geiſter
Welt,
Sich einigen Begriff formiret;
Wird durch Vermuthungen mir etwas vorgeſtellt,
Das mich faſt aus mir ſelber fuͤhret.
Jn welchem ſich mein Geiſt zwar gantz verlieret,
Und gleichſam zu verkommen ſcheinet;
Jedoch ſo viel davon zu faſſen meinet,
Daß der verklaͤrten Creaturen
Natur, Kraͤfft’, Eigenſchaft und ihrer Herrlichkeit
Nicht auszudruͤckende Vollkommenheit
Jn weit verſchiednern Grad und Unterſcheid,
Als der Geſchoͤpfe hier auf Erden,
Beſtehen werden.
So ſehr von einer Pflantz’ ein Wurm ſich unterſcheidet,
Von einem Wurm ein Thier, ja wie das Thier-Reich ſehr
Jn ſich verſchiedlich iſt, und ſo verſchiednen Grad
Von Feuer, von Begriff und von Gedaͤchtniß hat,
Da
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