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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736.

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Neu-Jahrs Gedichte.
Weil Groß und Klein, weil Thorheit und Verstand,
So Stärck' als Schwäche, Höh' und Kleinheit,
Durch ein verwunderlich geheimes Band,
Jn einer solchen Einheit,
Jn uns verbunden sind, daß nichts davon sich fassen,
Nichts sich verstehen will, nichts sich begreiffen lassen.
Laßt uns das A. B. C. der Weisheit lernen,
Es ist der Mensch, dem Cörper nach, sehr klein,
Jm Gegensatz von Bergen, Welten, Sternen;
Doch kann er auch mit Recht sehr groß zu rechnen seyn
Vergleicht man seine Maaß den Würmern, Staub und Sand;
Sein Geist ist gleichfals groß: sein denckender Verstand
Weiß mehr, als alles hier;
Doch gehn ihm auch zugleich an Kraft unstreitig für
Die Seeligen, die Engel. So daß wir,
Jn der erschafnen Welt Zusammenhang,
So wie gesagt, ein Mittel-Wesen seyn,
Das zwischen Unverstand und Weisheit, Licht und Nacht
Ein sonderbar Gemisch, gleich einer Dämmrung, macht.
So daß es mehr als wahr, was jüngst ein Geist uns wieß,
Und voll Erkänntniß uns vernünftig lesen ließ:
"Unseelig Mittel-Ding von Engeln und vom Vieh,

"Du prahlst mit der Vernunft und du gebrauchst
sie nie.

"Was helffen dir zuletzt der Weisheit hohe Lehren,
"Zu schwach sie zu verstehn, zu stoltz sie zu entbehren!
"Du bleibest, wie ein Kind, das meistens unrecht
wählt,

"Den Fehler bald erkennt, und gleich drauf wieder
fehlt.
Dieß
Neu-Jahrs Gedichte.
Weil Groß und Klein, weil Thorheit und Verſtand,
So Staͤrck’ als Schwaͤche, Hoͤh’ und Kleinheit,
Durch ein verwunderlich geheimes Band,
Jn einer ſolchen Einheit,
Jn uns verbunden ſind, daß nichts davon ſich faſſen,
Nichts ſich verſtehen will, nichts ſich begreiffen laſſen.
Laßt uns das A. B. C. der Weisheit lernen,
Es iſt der Menſch, dem Coͤrper nach, ſehr klein,
Jm Gegenſatz von Bergen, Welten, Sternen;
Doch kann er auch mit Recht ſehr groß zu rechnen ſeyn
Vergleicht man ſeine Maaß den Wuͤrmern, Staub und Sand;
Sein Geiſt iſt gleichfals groß: ſein denckender Verſtand
Weiß mehr, als alles hier;
Doch gehn ihm auch zugleich an Kraft unſtreitig fuͤr
Die Seeligen, die Engel. So daß wir,
Jn der erſchafnen Welt Zuſammenhang,
So wie geſagt, ein Mittel-Weſen ſeyn,
Das zwiſchen Unverſtand und Weisheit, Licht und Nacht
Ein ſonderbar Gemiſch, gleich einer Daͤmmrung, macht.
So daß es mehr als wahr, was juͤngſt ein Geiſt uns wieß,
Und voll Erkaͤnntniß uns vernuͤnftig leſen ließ:
„Unſeelig Mittel-Ding von Engeln und vom Vieh,

„Du prahlſt mit der Vernunft und du gebrauchſt
ſie nie.

„Was helffen dir zuletzt der Weisheit hohe Lehren,
„Zu ſchwach ſie zu verſtehn, zu ſtoltz ſie zu entbehren!
„Du bleibeſt, wie ein Kind, das meiſtens unrecht
waͤhlt,

„Den Fehler bald erkennt, und gleich drauf wieder
fehlt.
Dieß
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[447/0463] Neu-Jahrs Gedichte. Weil Groß und Klein, weil Thorheit und Verſtand, So Staͤrck’ als Schwaͤche, Hoͤh’ und Kleinheit, Durch ein verwunderlich geheimes Band, Jn einer ſolchen Einheit, Jn uns verbunden ſind, daß nichts davon ſich faſſen, Nichts ſich verſtehen will, nichts ſich begreiffen laſſen. Laßt uns das A. B. C. der Weisheit lernen, Es iſt der Menſch, dem Coͤrper nach, ſehr klein, Jm Gegenſatz von Bergen, Welten, Sternen; Doch kann er auch mit Recht ſehr groß zu rechnen ſeyn Vergleicht man ſeine Maaß den Wuͤrmern, Staub und Sand; Sein Geiſt iſt gleichfals groß: ſein denckender Verſtand Weiß mehr, als alles hier; Doch gehn ihm auch zugleich an Kraft unſtreitig fuͤr Die Seeligen, die Engel. So daß wir, Jn der erſchafnen Welt Zuſammenhang, So wie geſagt, ein Mittel-Weſen ſeyn, Das zwiſchen Unverſtand und Weisheit, Licht und Nacht Ein ſonderbar Gemiſch, gleich einer Daͤmmrung, macht. So daß es mehr als wahr, was juͤngſt ein Geiſt uns wieß, Und voll Erkaͤnntniß uns vernuͤnftig leſen ließ: „Unſeelig Mittel-Ding von Engeln und vom Vieh, „Du prahlſt mit der Vernunft und du gebrauchſt ſie nie. „Was helffen dir zuletzt der Weisheit hohe Lehren, „Zu ſchwach ſie zu verſtehn, zu ſtoltz ſie zu entbehren! „Du bleibeſt, wie ein Kind, das meiſtens unrecht waͤhlt, „Den Fehler bald erkennt, und gleich drauf wieder fehlt. Dieß

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/463>, abgerufen am 13.06.2024.