Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.Die Leoparden. Die Leoparden. Eine sehnliche Begier: Was er siehet, zu zerstücken, Schielt, nebst Mordlust, Unvergnügen, hämischen ge- schwinden Tücken, Grausamkeit, Wuth, Grimm und Gram, aus des Leoparden Blicken. Sein am Kopf gedrucktes Ohr, sein von Blut-Durst dürrer Rachen, Voller scharf-und starker Zähne, gleichen einem wahren Drachen. Jst doch, in des Todes Werkzeug, den gekrümmten starken Klauen, Und der schweren Pfoten Last, fast der sichre Tod zu schauen. Aber welche sanfte Triebe, welche Lust, in ihrer Ruh, Sieht man die von ihren Jungen ausgesogne Mutter fühlen! Der geschloßnen Augen Lied deckt ihr grimmig Feuer zu, Und es scheint, sie fühl, im Traum, ihrer jungen Welpen Wühlen. Wie so sanft, gelenk und weich, liegt ihr Körper ausgestreckt! Dächte man, daß in demselben ein so harter Geist versteckt? Was ist ferner nicht für Schönheit auf der Thiere Balg zu sehn! Welche Farben! heisset man sie nicht recht erschrecklich schön? Doch ich muß, bey dieser Schönheit, leider eins noch zugestehn, Ob mir gleich für das Geständniß dieser bittern Wahrheit graut, Nemlich daß, nicht nur bey Thieren, Schön- und Bosheit oft verbunden; Ach wie oft wird unter Menschen, unter einer schönen Haut, Auch ein Leoparden-Geist, voller Neid und Wuth, gefunden! Ein Q 4
Die Leoparden. Die Leoparden. Eine ſehnliche Begier: Was er ſiehet, zu zerſtuͤcken, Schielt, nebſt Mordluſt, Unvergnuͤgen, haͤmiſchen ge- ſchwinden Tuͤcken, Grauſamkeit, Wuth, Grimm und Gram, aus des Leoparden Blicken. Sein am Kopf gedrucktes Ohr, ſein von Blut-Durſt duͤrrer Rachen, Voller ſcharf-und ſtarker Zaͤhne, gleichen einem wahren Drachen. Jſt doch, in des Todes Werkzeug, den gekruͤmmten ſtarken Klauen, Und der ſchweren Pfoten Laſt, faſt der ſichre Tod zu ſchauen. Aber welche ſanfte Triebe, welche Luſt, in ihrer Ruh, Sieht man die von ihren Jungen ausgeſogne Mutter fuͤhlen! Der geſchloßnen Augen Lied deckt ihr grimmig Feuer zu, Und es ſcheint, ſie fuͤhl, im Traum, ihrer jungen Welpen Wuͤhlen. Wie ſo ſanft, gelenk und weich, liegt ihr Koͤrper ausgeſtreckt! Daͤchte man, daß in demſelben ein ſo harter Geiſt verſteckt? Was iſt ferner nicht fuͤr Schoͤnheit auf der Thiere Balg zu ſehn! Welche Farben! heiſſet man ſie nicht recht erſchrecklich ſchoͤn? Doch ich muß, bey dieſer Schoͤnheit, leider eins noch zugeſtehn, Ob mir gleich fuͤr das Geſtaͤndniß dieſer bittern Wahrheit graut, Nemlich daß, nicht nur bey Thieren, Schoͤn- und Bosheit oft verbunden; Ach wie oft wird unter Menſchen, unter einer ſchoͤnen Haut, Auch ein Leoparden-Geiſt, voller Neid und Wuth, gefunden! Ein Q 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0271" n="247"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Die Leoparden.</hi> </fw><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die Leoparden.</hi> </head><lb/> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">E</hi>ine ſehnliche Begier: Was er ſiehet, zu zerſtuͤcken,</l><lb/> <l>Schielt, nebſt Mordluſt, Unvergnuͤgen, haͤmiſchen ge-<lb/><hi rendition="#et">ſchwinden Tuͤcken,</hi></l><lb/> <l>Grauſamkeit, Wuth, Grimm und Gram, aus des Leoparden<lb/><hi rendition="#et">Blicken.</hi></l><lb/> <l>Sein am Kopf gedrucktes Ohr, ſein von Blut-Durſt duͤrrer<lb/><hi rendition="#et">Rachen,</hi></l><lb/> <l>Voller ſcharf-und ſtarker Zaͤhne, gleichen einem wahren<lb/><hi rendition="#et">Drachen.</hi></l><lb/> <l>Jſt doch, in des Todes Werkzeug, den gekruͤmmten ſtarken<lb/><hi rendition="#et">Klauen,</hi></l><lb/> <l>Und der ſchweren Pfoten Laſt, faſt der ſichre Tod zu ſchauen.</l><lb/> <l>Aber welche ſanfte Triebe, welche Luſt, in ihrer Ruh,</l><lb/> <l>Sieht man die von ihren Jungen ausgeſogne Mutter fuͤhlen!</l><lb/> <l>Der geſchloßnen Augen Lied deckt ihr grimmig Feuer zu,</l><lb/> <l>Und es ſcheint, ſie fuͤhl, im Traum, ihrer jungen Welpen<lb/><hi rendition="#et">Wuͤhlen.</hi></l><lb/> <l>Wie ſo ſanft, gelenk und weich, liegt ihr Koͤrper ausgeſtreckt!</l><lb/> <l>Daͤchte man, daß in demſelben ein ſo harter Geiſt verſteckt?</l><lb/> <l>Was iſt ferner nicht fuͤr Schoͤnheit auf der Thiere Balg zu ſehn!</l><lb/> <l>Welche Farben! heiſſet man ſie nicht recht erſchrecklich ſchoͤn?</l><lb/> <l>Doch ich muß, bey dieſer Schoͤnheit, leider eins noch zugeſtehn,</l><lb/> <l>Ob mir gleich fuͤr das Geſtaͤndniß dieſer bittern Wahrheit<lb/><hi rendition="#et">graut,</hi></l><lb/> <l>Nemlich daß, nicht nur bey Thieren, Schoͤn- und Bosheit oft<lb/><hi rendition="#et">verbunden;</hi></l><lb/> <l>Ach wie oft wird unter Menſchen, unter einer ſchoͤnen Haut,</l><lb/> <l>Auch ein Leoparden-Geiſt, voller Neid und Wuth, gefunden!</l> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <fw place="bottom" type="sig">Q 4</fw> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Ein</hi> </fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [247/0271]
Die Leoparden.
Die Leoparden.
Eine ſehnliche Begier: Was er ſiehet, zu zerſtuͤcken,
Schielt, nebſt Mordluſt, Unvergnuͤgen, haͤmiſchen ge-
ſchwinden Tuͤcken,
Grauſamkeit, Wuth, Grimm und Gram, aus des Leoparden
Blicken.
Sein am Kopf gedrucktes Ohr, ſein von Blut-Durſt duͤrrer
Rachen,
Voller ſcharf-und ſtarker Zaͤhne, gleichen einem wahren
Drachen.
Jſt doch, in des Todes Werkzeug, den gekruͤmmten ſtarken
Klauen,
Und der ſchweren Pfoten Laſt, faſt der ſichre Tod zu ſchauen.
Aber welche ſanfte Triebe, welche Luſt, in ihrer Ruh,
Sieht man die von ihren Jungen ausgeſogne Mutter fuͤhlen!
Der geſchloßnen Augen Lied deckt ihr grimmig Feuer zu,
Und es ſcheint, ſie fuͤhl, im Traum, ihrer jungen Welpen
Wuͤhlen.
Wie ſo ſanft, gelenk und weich, liegt ihr Koͤrper ausgeſtreckt!
Daͤchte man, daß in demſelben ein ſo harter Geiſt verſteckt?
Was iſt ferner nicht fuͤr Schoͤnheit auf der Thiere Balg zu ſehn!
Welche Farben! heiſſet man ſie nicht recht erſchrecklich ſchoͤn?
Doch ich muß, bey dieſer Schoͤnheit, leider eins noch zugeſtehn,
Ob mir gleich fuͤr das Geſtaͤndniß dieſer bittern Wahrheit
graut,
Nemlich daß, nicht nur bey Thieren, Schoͤn- und Bosheit oft
verbunden;
Ach wie oft wird unter Menſchen, unter einer ſchoͤnen Haut,
Auch ein Leoparden-Geiſt, voller Neid und Wuth, gefunden!
Ein
Q 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |