Zwey Dinge sind, die viele Menschen zu einem Götzendienst verführen. Das erste, die Erbarmens-würdig' und Gott-verkleinernde Jdee, Von einem großen alten Mann, dort oben in des Himmels Höh. Das andre, da wir ungescheut im Jrrthum uns so weit ver- lieren, Daß wir auch eine Göttinn machen, die wir ihm gleichsam zu- gesellen, Und sie mit seiner Majestät zum öftern in Vergleichung stellen.
Die Göttinn heißet die Natur, die wir, in allen unsern Reden, Als thät sie alles, was geschicht, uns vorzustellen, nicht ent- blöden. Wer lehrt die Thiere, sich zu nähren? Wer lehrt die Vögel Nester machen? Wer lehrt die kleinen Kinder saugen? Wer wirkt so viel ver- borgne Sachen, Auf Erden, in der Luft, im Meer? Wer? Die Natur, spricht jedermann; Ja, zeigt man seine Meynung nicht in dem gewohnten Sprich- wort an: Es wirken Gott und die Natur nie was verge- bens? Scheint es nicht, Daß man von zwey verschiednen Wesen auf eine solche Weise spricht;
Als
Misbrauch des Worts Natur.
Misbrauch des Worts Natur.
Zwey Dinge ſind, die viele Menſchen zu einem Goͤtzendienſt verfuͤhren. Das erſte, die Erbarmens-wuͤrdig’ und Gott-verkleinernde Jdee, Von einem großen alten Mann, dort oben in des Himmels Hoͤh. Das andre, da wir ungeſcheut im Jrrthum uns ſo weit ver- lieren, Daß wir auch eine Goͤttinn machen, die wir ihm gleichſam zu- geſellen, Und ſie mit ſeiner Majeſtaͤt zum oͤftern in Vergleichung ſtellen.
Die Goͤttinn heißet die Natur, die wir, in allen unſern Reden, Als thaͤt ſie alles, was geſchicht, uns vorzuſtellen, nicht ent- bloͤden. Wer lehrt die Thiere, ſich zu naͤhren? Wer lehrt die Voͤgel Neſter machen? Wer lehrt die kleinen Kinder ſaugen? Wer wirkt ſo viel ver- borgne Sachen, Auf Erden, in der Luft, im Meer? Wer? Die Natur, ſpricht jedermann; Ja, zeigt man ſeine Meynung nicht in dem gewohnten Sprich- wort an: Es wirken Gott und die Natur nie was verge- bens? Scheint es nicht, Daß man von zwey verſchiednen Weſen auf eine ſolche Weiſe ſpricht;
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Misbrauch des Worts Natur.
Misbrauch
des Worts Natur.
Zwey Dinge ſind, die viele Menſchen zu einem Goͤtzendienſt
verfuͤhren.
Das erſte, die Erbarmens-wuͤrdig’ und Gott-verkleinernde
Jdee,
Von einem großen alten Mann, dort oben in des Himmels Hoͤh.
Das andre, da wir ungeſcheut im Jrrthum uns ſo weit ver-
lieren,
Daß wir auch eine Goͤttinn machen, die wir ihm gleichſam zu-
geſellen,
Und ſie mit ſeiner Majeſtaͤt zum oͤftern in Vergleichung ſtellen.
Die Goͤttinn heißet die Natur, die wir, in allen unſern
Reden,
Als thaͤt ſie alles, was geſchicht, uns vorzuſtellen, nicht ent-
bloͤden.
Wer lehrt die Thiere, ſich zu naͤhren? Wer lehrt die Voͤgel
Neſter machen?
Wer lehrt die kleinen Kinder ſaugen? Wer wirkt ſo viel ver-
borgne Sachen,
Auf Erden, in der Luft, im Meer? Wer? Die Natur, ſpricht
jedermann;
Ja, zeigt man ſeine Meynung nicht in dem gewohnten Sprich-
wort an:
Es wirken Gott und die Natur nie was verge-
bens? Scheint es nicht,
Daß man von zwey verſchiednen Weſen auf eine ſolche Weiſe
ſpricht;
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/334>, abgerufen am 24.11.2024.
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