Jhr sagt, erzählt, erwies, war alles, zwar angehört, doch gleich vertrieben, Aus ihrer gar zu bangen Seele, bis daß sie allen Muth verlohr. Was sie erblickte, that und hörte, kam ihr als lauter Sün- de vor. Sie liebte nur die Einsamkeit. Um aus den vorgestellten Ketten, Nam sie sich endlich ernstlich vor, durch vieles Bethen, sich zu retten. An allen Orten, wo sie war, war sie auf Bethen nur bedacht; Sie bethet früh, sie bethet spät, sie bethete die ganze Nacht, Bis daß sie endlich dergestalt den abgezehrten Körper schwächte, Daß sie ins Sterbe-Bette fiel. An statt nun, daß sie den- ken sollte, Wie sie den schwachen Körper stärken, und Ruhe sich ver- schaffen wollte, So ächzte, senfzt und bethete sie unaufhörlich ganze Nächte, Voll Sorg und Grämen, daß zuletzt sie ganz von allen Kräf- ten kam, Und, ob sie, kurz für ihrem Tode, zuletzt annoch gleich, für ihr Leben, Und länger auf der Welt zu seyn, gar gern ich weis nicht was gegeben, Doch wie sie sahe, daß ihr Gott, dem sie gedienet, zu sich rief; Sie, in beständger Zuversicht auf seine Gnade, sanft ent- schlief, Und in gelassener Geduld den Thränen-würdgen Abschied nahm, So daß ihr zwar Gottlob! im Tod, ihr vorges Grämen nicht gehindert, Doch hat es ihr, im ganzen Leben, vergönnte Freuden oft gemindert.
Dieß
Br.VI.Th. O o
Gedanken uͤber den Tod der Beliſe.
Jhr ſagt, erzaͤhlt, erwies, war alles, zwar angehoͤrt, doch gleich vertrieben, Aus ihrer gar zu bangen Seele, bis daß ſie allen Muth verlohr. Was ſie erblickte, that und hoͤrte, kam ihr als lauter Suͤn- de vor. Sie liebte nur die Einſamkeit. Um aus den vorgeſtellten Ketten, Nam ſie ſich endlich ernſtlich vor, durch vieles Bethen, ſich zu retten. An allen Orten, wo ſie war, war ſie auf Bethen nur bedacht; Sie bethet fruͤh, ſie bethet ſpaͤt, ſie bethete die ganze Nacht, Bis daß ſie endlich dergeſtalt den abgezehrten Koͤrper ſchwaͤchte, Daß ſie ins Sterbe-Bette fiel. An ſtatt nun, daß ſie den- ken ſollte, Wie ſie den ſchwachen Koͤrper ſtaͤrken, und Ruhe ſich ver- ſchaffen wollte, So aͤchzte, ſenfzt und bethete ſie unaufhoͤrlich ganze Naͤchte, Voll Sorg und Graͤmen, daß zuletzt ſie ganz von allen Kraͤf- ten kam, Und, ob ſie, kurz fuͤr ihrem Tode, zuletzt annoch gleich, fuͤr ihr Leben, Und laͤnger auf der Welt zu ſeyn, gar gern ich weis nicht was gegeben, Doch wie ſie ſahe, daß ihr Gott, dem ſie gedienet, zu ſich rief; Sie, in beſtaͤndger Zuverſicht auf ſeine Gnade, ſanft ent- ſchlief, Und in gelaſſener Geduld den Thraͤnen-wuͤrdgen Abſchied nahm, So daß ihr zwar Gottlob! im Tod, ihr vorges Graͤmen nicht gehindert, Doch hat es ihr, im ganzen Leben, vergoͤnnte Freuden oft gemindert.
Dieß
Br.VI.Th. O o
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Gedanken uͤber den Tod der Beliſe.
Jhr ſagt, erzaͤhlt, erwies, war alles, zwar angehoͤrt, doch
gleich vertrieben,
Aus ihrer gar zu bangen Seele, bis daß ſie allen Muth verlohr.
Was ſie erblickte, that und hoͤrte, kam ihr als lauter Suͤn-
de vor.
Sie liebte nur die Einſamkeit. Um aus den vorgeſtellten
Ketten,
Nam ſie ſich endlich ernſtlich vor, durch vieles Bethen, ſich zu
retten.
An allen Orten, wo ſie war, war ſie auf Bethen nur bedacht;
Sie bethet fruͤh, ſie bethet ſpaͤt, ſie bethete die ganze Nacht,
Bis daß ſie endlich dergeſtalt den abgezehrten Koͤrper
ſchwaͤchte,
Daß ſie ins Sterbe-Bette fiel. An ſtatt nun, daß ſie den-
ken ſollte,
Wie ſie den ſchwachen Koͤrper ſtaͤrken, und Ruhe ſich ver-
ſchaffen wollte,
So aͤchzte, ſenfzt und bethete ſie unaufhoͤrlich ganze Naͤchte,
Voll Sorg und Graͤmen, daß zuletzt ſie ganz von allen Kraͤf-
ten kam,
Und, ob ſie, kurz fuͤr ihrem Tode, zuletzt annoch gleich, fuͤr
ihr Leben,
Und laͤnger auf der Welt zu ſeyn, gar gern ich weis nicht was
gegeben,
Doch wie ſie ſahe, daß ihr Gott, dem ſie gedienet, zu ſich rief;
Sie, in beſtaͤndger Zuverſicht auf ſeine Gnade, ſanft ent-
ſchlief,
Und in gelaſſener Geduld den Thraͤnen-wuͤrdgen Abſchied nahm,
So daß ihr zwar Gottlob! im Tod, ihr vorges Graͤmen nicht
gehindert,
Doch hat es ihr, im ganzen Leben, vergoͤnnte Freuden oft
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Br. VI. Th. O o
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/601>, abgerufen am 22.11.2024.
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