Vieles bey zu tragen fähig. Daß fast nichts, als Zank und Streit, Jn der gegenwärtigen, so wie in vergangner Zeit, Jn der ganzen Welt geherrscht, daß ja, fast in allen Sachen, Ein beständigs Widersprechen, Haß, Verfolgung, Ketzer machen, Leider! überall gerast und noch raset, ist bekannt. Und von allen scheint der Grund, der nicht irrende Verstand, Den ein jeder glaubt zu haben. Da doch, bloß durch die- sen Satz, Der uns jämmerlich betriegt und verführt, der Wahrheit Schatz Unglückselig sich verliert. Möchten wir, eh wir uns zanken, Oder einen Satz verfechten, doch vorher die wahren Schranken Unsers Geistes untersuchen: Ob die Menschheit, in der That, Eine Seele, die untrieglich und die Wahrheit kennet, hat.
Sagen doch die Geistlichen, daß, nach Adams Fall, der Seelen Das vorhin beseßne Licht und die besten Kräfte fehlen, Und dennoch verfahren sie so, daß Adam nimmermehr Hätte fester schliessen können, wenn er nicht gefallen wär.
Viele gehen gar so weit, daß sie würgen und verbrennen Alle, die nicht so, wie sie, glauben und gedenken können. Da es doch, wenn jene nicht durch der Gründe Kraft besiegt, Oft sowohl an ihrer Gründe-als der Ketzer Schwäche, liegt. Zeigt nicht der uns vorgeschriebne Glaube deutlich selber an: Daß, durch Kräfte der Vernunft, man nur wenig fassen kann?
Die Philosophi nicht minder, ob sie gleich vor Augen sehen, Was den alten Seculis von den jüngern stets geschehen, Nemlich, daß die neuen Weisen nimmer eine Bündigkeit,
Jn
in der Betrachtung vom Nichts.
Vieles bey zu tragen faͤhig. Daß faſt nichts, als Zank und Streit, Jn der gegenwaͤrtigen, ſo wie in vergangner Zeit, Jn der ganzen Welt geherrſcht, daß ja, faſt in allen Sachen, Ein beſtaͤndigs Widerſprechen, Haß, Verfolgung, Ketzer machen, Leider! uͤberall geraſt und noch raſet, iſt bekannt. Und von allen ſcheint der Grund, der nicht irrende Verſtand, Den ein jeder glaubt zu haben. Da doch, bloß durch die- ſen Satz, Der uns jaͤmmerlich betriegt und verfuͤhrt, der Wahrheit Schatz Ungluͤckſelig ſich verliert. Moͤchten wir, eh wir uns zanken, Oder einen Satz verfechten, doch vorher die wahren Schranken Unſers Geiſtes unterſuchen: Ob die Menſchheit, in der That, Eine Seele, die untrieglich und die Wahrheit kennet, hat.
Sagen doch die Geiſtlichen, daß, nach Adams Fall, der Seelen Das vorhin beſeßne Licht und die beſten Kraͤfte fehlen, Und dennoch verfahren ſie ſo, daß Adam nimmermehr Haͤtte feſter ſchlieſſen koͤnnen, wenn er nicht gefallen waͤr.
Viele gehen gar ſo weit, daß ſie wuͤrgen und verbrennen Alle, die nicht ſo, wie ſie, glauben und gedenken koͤnnen. Da es doch, wenn jene nicht durch der Gruͤnde Kraft beſiegt, Oft ſowohl an ihrer Gruͤnde-als der Ketzer Schwaͤche, liegt. Zeigt nicht der uns vorgeſchriebne Glaube deutlich ſelber an: Daß, durch Kraͤfte der Vernunft, man nur wenig faſſen kann?
Die Philoſophi nicht minder, ob ſie gleich vor Augen ſehen, Was den alten Seculis von den juͤngern ſtets geſchehen, Nemlich, daß die neuen Weiſen nimmer eine Buͤndigkeit,
Jn
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in der Betrachtung vom Nichts.
Vieles bey zu tragen faͤhig. Daß faſt nichts, als Zank und
Streit,
Jn der gegenwaͤrtigen, ſo wie in vergangner Zeit,
Jn der ganzen Welt geherrſcht, daß ja, faſt in allen Sachen,
Ein beſtaͤndigs Widerſprechen, Haß, Verfolgung, Ketzer
machen,
Leider! uͤberall geraſt und noch raſet, iſt bekannt.
Und von allen ſcheint der Grund, der nicht irrende Verſtand,
Den ein jeder glaubt zu haben. Da doch, bloß durch die-
ſen Satz,
Der uns jaͤmmerlich betriegt und verfuͤhrt, der Wahrheit
Schatz
Ungluͤckſelig ſich verliert. Moͤchten wir, eh wir uns zanken,
Oder einen Satz verfechten, doch vorher die wahren Schranken
Unſers Geiſtes unterſuchen: Ob die Menſchheit, in der That,
Eine Seele, die untrieglich und die Wahrheit kennet, hat.
Sagen doch die Geiſtlichen, daß, nach Adams Fall, der
Seelen
Das vorhin beſeßne Licht und die beſten Kraͤfte fehlen,
Und dennoch verfahren ſie ſo, daß Adam nimmermehr
Haͤtte feſter ſchlieſſen koͤnnen, wenn er nicht gefallen waͤr.
Viele gehen gar ſo weit, daß ſie wuͤrgen und verbrennen
Alle, die nicht ſo, wie ſie, glauben und gedenken koͤnnen.
Da es doch, wenn jene nicht durch der Gruͤnde Kraft beſiegt,
Oft ſowohl an ihrer Gruͤnde-als der Ketzer Schwaͤche, liegt.
Zeigt nicht der uns vorgeſchriebne Glaube deutlich ſelber an:
Daß, durch Kraͤfte der Vernunft, man nur wenig faſſen kann?
Die Philoſophi nicht minder, ob ſie gleich vor Augen ſehen,
Was den alten Seculis von den juͤngern ſtets geſchehen,
Nemlich, daß die neuen Weiſen nimmer eine Buͤndigkeit,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 683. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/707>, abgerufen am 24.11.2024.
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