Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.
Ferner zeiget sich in allem, ob du noch so sehr dich steifst, Daß du auch das allerkleinste, gründ- und wirklich nicht be- greifst. Sage mir, was ist ein Staub, was ist Wasser, Feuer, Erde? Sprich, wie eine Frucht im Samen wachs und zugerichtet werde, Was die Schwehre, was das Licht, was die Luft? Kurz; al- lerley, Was wir an und in uns haben, eigentlich und wirklich sey? Kannst du wissen, ob es Gott nicht sowohl, als wie das Leben, Auch das Denken, wenn er wollte, der Materie zu geben, Die du todt glaubst, möglich sey? Tadelst du an deinen Augen, Daß, ob sie gleich vieles sehn, alles nicht zu sehen taugen? Es behelfen die Gelehrten sich mit der Wahrscheinlichkeit, Die sich leichtlich finden läßt, und der Aufgeblasenheit Jhres Geistes so bequem. Diese nennen sie das Wissen. Kurz; sie sind sich selbst zu täuschen, als auch andre, stets ge- flissen. "Daß du meynst, wenn die Vernunft sich betriegen könnt und irren, "Könnt und würde sie uns stets auch betriegen und verwirren, "Und so würde man so dann stets getäuscht vom falschen Schein, "Vom Betrug, von Fehl und Jrrthum nimmermehr gesichert seyn. "Ja man würde, (wie du sprichst,) fast die Gottheit selber können, "Da sie uns Verstand geschenkt, alles Jrrthums Ursprung nennen: So
Ferner zeiget ſich in allem, ob du noch ſo ſehr dich ſteifſt, Daß du auch das allerkleinſte, gruͤnd- und wirklich nicht be- greifſt. Sage mir, was iſt ein Staub, was iſt Waſſer, Feuer, Erde? Sprich, wie eine Frucht im Samen wachſ und zugerichtet werde, Was die Schwehre, was das Licht, was die Luft? Kurz; al- lerley, Was wir an und in uns haben, eigentlich und wirklich ſey? Kannſt du wiſſen, ob es Gott nicht ſowohl, als wie das Leben, Auch das Denken, wenn er wollte, der Materie zu geben, Die du todt glaubſt, moͤglich ſey? Tadelſt du an deinen Augen, Daß, ob ſie gleich vieles ſehn, alles nicht zu ſehen taugen? Es behelfen die Gelehrten ſich mit der Wahrſcheinlichkeit, Die ſich leichtlich finden laͤßt, und der Aufgeblaſenheit Jhres Geiſtes ſo bequem. Dieſe nennen ſie das Wiſſen. Kurz; ſie ſind ſich ſelbſt zu taͤuſchen, als auch andre, ſtets ge- fliſſen. „Daß du meynſt, wenn die Vernunft ſich betriegen koͤnnt und irren, „Koͤnnt und wuͤrde ſie uns ſtets auch betriegen und verwirren, „Und ſo wuͤrde man ſo dann ſtets getaͤuſcht vom falſchen Schein, „Vom Betrug, von Fehl und Jrrthum nimmermehr geſichert ſeyn. „Ja man wuͤrde, (wie du ſprichſt,) faſt die Gottheit ſelber koͤnnen, „Da ſie uns Verſtand geſchenkt, alles Jrrthums Urſprung neñen: So
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Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
Dieſes iſt die erſte Probe deiner uͤbereilten Schluͤſſe,
Und wie wenig man ſich ſelber hierin trauen koͤnn’ und muͤſſe.
Ferner zeiget ſich in allem, ob du noch ſo ſehr dich ſteifſt,
Daß du auch das allerkleinſte, gruͤnd- und wirklich nicht be-
greifſt.
Sage mir, was iſt ein Staub, was iſt Waſſer, Feuer, Erde?
Sprich, wie eine Frucht im Samen wachſ und zugerichtet
werde,
Was die Schwehre, was das Licht, was die Luft? Kurz; al-
lerley,
Was wir an und in uns haben, eigentlich und wirklich ſey?
Kannſt du wiſſen, ob es Gott nicht ſowohl, als wie das Leben,
Auch das Denken, wenn er wollte, der Materie zu geben,
Die du todt glaubſt, moͤglich ſey? Tadelſt du an deinen Augen,
Daß, ob ſie gleich vieles ſehn, alles nicht zu ſehen taugen?
Es behelfen die Gelehrten ſich mit der Wahrſcheinlichkeit,
Die ſich leichtlich finden laͤßt, und der Aufgeblaſenheit
Jhres Geiſtes ſo bequem. Dieſe nennen ſie das Wiſſen.
Kurz; ſie ſind ſich ſelbſt zu taͤuſchen, als auch andre, ſtets ge-
fliſſen.
„Daß du meynſt, wenn die Vernunft ſich betriegen koͤnnt
und irren,
„Koͤnnt und wuͤrde ſie uns ſtets auch betriegen und verwirren,
„Und ſo wuͤrde man ſo dann ſtets getaͤuſcht vom falſchen
Schein,
„Vom Betrug, von Fehl und Jrrthum nimmermehr geſichert
ſeyn.
„Ja man wuͤrde, (wie du ſprichſt,) faſt die Gottheit ſelber
koͤnnen,
„Da ſie uns Verſtand geſchenkt, alles Jrrthums Urſprung neñen:
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