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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

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in der Betrachtung vom Nichts.
Wenn man das, was eigentlich das Begreifen sey, erwegt,
Und daß Eigenliebe nur bloß dazu den Grundstein legt.

Wenn die Seele soll und will, etwas zu begreifen, taugen
Hat sie bloß ihr eignes Jch, ihre Trefflichkeit, vor Augen;
Sie will finden, sie will fassen, sie will das Vergnügen haben,
Durch ihr' eigne Kraft und Kunst, das, was andern ganz ver-
steckt,

Und die Wahrheit, ob sie gleich in den tiefsten Vorn vergraben,
Ganz allein hervorgezogen, ausgefunden, aufgedeckt,
Und allein gefaßt zu haben. Wird die Eigenehr allein
Folglich der alleinge Grund unsrer Wissenschaften seyn.
Sage nicht: Es könne dieses auch bey Gottes Ehr
bestehen,

Weil wir ihn ja für den Schöpfer unsrer Seelen
anzusehen;

Folglich, daß je mehr zum Wissen sie die Fähig-
keit bekommen,

Gott in ihr geehret würde. Dieser Einwurf scheinet
zwar,

Sieht man ihn nur obenhin, und nicht auf den Grund an,
wahr.

Aber, wenn (den Grund des Einwurfs vor der Hand noch
ausgenommen,)

Man das menschliche Betragen mit den Wissenschaften sieht,
Wie sich jeder, seinen Satz zu befestigen, bemüht.
Mit des Gegentheils Verspottung, wie fast jedermann allein
Seines Gegners Ueberwinder, mit Gewalt der Sieger seyn,
Und das Recht behalten will; sollte man daraus nicht schliessen,
Und unwidersprechlich leider! dieß daraus nicht folgern müssen,
Daß, anstatt des Schöpfers Ruhm zu erhöhen, zu vermehren,
Man auf anders nichts gedenk, als nur sich allein zu ehren?
Hiezu
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in der Betrachtung vom Nichts.
Wenn man das, was eigentlich das Begreifen ſey, erwegt,
Und daß Eigenliebe nur bloß dazu den Grundſtein legt.

Wenn die Seele ſoll und will, etwas zu begreifen, taugen
Hat ſie bloß ihr eignes Jch, ihre Trefflichkeit, vor Augen;
Sie will finden, ſie will faſſen, ſie will das Vergnuͤgen haben,
Durch ihr’ eigne Kraft und Kunſt, das, was andern ganz ver-
ſteckt,

Und die Wahrheit, ob ſie gleich in den tiefſten Vorn vergraben,
Ganz allein hervorgezogen, ausgefunden, aufgedeckt,
Und allein gefaßt zu haben. Wird die Eigenehr allein
Folglich der alleinge Grund unſrer Wiſſenſchaften ſeyn.
Sage nicht: Es koͤnne dieſes auch bey Gottes Ehr
beſtehen,

Weil wir ihn ja fuͤr den Schoͤpfer unſrer Seelen
anzuſehen;

Folglich, daß je mehr zum Wiſſen ſie die Faͤhig-
keit bekommen,

Gott in ihr geehret wuͤrde. Dieſer Einwurf ſcheinet
zwar,

Sieht man ihn nur obenhin, und nicht auf den Grund an,
wahr.

Aber, wenn (den Grund des Einwurfs vor der Hand noch
ausgenommen,)

Man das menſchliche Betragen mit den Wiſſenſchaften ſieht,
Wie ſich jeder, ſeinen Satz zu befeſtigen, bemuͤht.
Mit des Gegentheils Verſpottung, wie faſt jedermann allein
Seines Gegners Ueberwinder, mit Gewalt der Sieger ſeyn,
Und das Recht behalten will; ſollte man daraus nicht ſchlieſſen,
Und unwiderſprechlich leider! dieß daraus nicht folgern muͤſſen,
Daß, anſtatt des Schoͤpfers Ruhm zu erhoͤhen, zu vermehren,
Man auf anders nichts gedenk, als nur ſich allein zu ehren?
Hiezu
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[693/0717] in der Betrachtung vom Nichts. Wenn man das, was eigentlich das Begreifen ſey, erwegt, Und daß Eigenliebe nur bloß dazu den Grundſtein legt. Wenn die Seele ſoll und will, etwas zu begreifen, taugen Hat ſie bloß ihr eignes Jch, ihre Trefflichkeit, vor Augen; Sie will finden, ſie will faſſen, ſie will das Vergnuͤgen haben, Durch ihr’ eigne Kraft und Kunſt, das, was andern ganz ver- ſteckt, Und die Wahrheit, ob ſie gleich in den tiefſten Vorn vergraben, Ganz allein hervorgezogen, ausgefunden, aufgedeckt, Und allein gefaßt zu haben. Wird die Eigenehr allein Folglich der alleinge Grund unſrer Wiſſenſchaften ſeyn. Sage nicht: Es koͤnne dieſes auch bey Gottes Ehr beſtehen, Weil wir ihn ja fuͤr den Schoͤpfer unſrer Seelen anzuſehen; Folglich, daß je mehr zum Wiſſen ſie die Faͤhig- keit bekommen, Gott in ihr geehret wuͤrde. Dieſer Einwurf ſcheinet zwar, Sieht man ihn nur obenhin, und nicht auf den Grund an, wahr. Aber, wenn (den Grund des Einwurfs vor der Hand noch ausgenommen,) Man das menſchliche Betragen mit den Wiſſenſchaften ſieht, Wie ſich jeder, ſeinen Satz zu befeſtigen, bemuͤht. Mit des Gegentheils Verſpottung, wie faſt jedermann allein Seines Gegners Ueberwinder, mit Gewalt der Sieger ſeyn, Und das Recht behalten will; ſollte man daraus nicht ſchlieſſen, Und unwiderſprechlich leider! dieß daraus nicht folgern muͤſſen, Daß, anſtatt des Schoͤpfers Ruhm zu erhoͤhen, zu vermehren, Man auf anders nichts gedenk, als nur ſich allein zu ehren? Hiezu X x 3

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 693. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/717>, abgerufen am 14.06.2024.