Die Schwalbe reinigt den Morast vom zähen Thon, und baut daraus, Ohn unsre Gegenwart zu scheuen, mit grosser Kunst, ihr hangend Haus; Oft sieht man sie mit ihrem Schnabel, vom Vieh und von der Schaafe Rücken, Jn öfters wiederholtem Ziehn, begierig Haar und Wolle pflücken; Oft stiehlt sie, von der Scheunen, Stroh, damit die Jungen sanft sich legen, Und, in dem wohlbesorgten Nest, bequem und wärmer ruhen mögen.
Wenn die geduld'ge Mutter nun, von Zärtlichkeit und Lieb' erhitzt, Wodurch sie, recht bewundernswehrt, beständig auf dem Neste sitzt; So sitzt das Männchen gegen über auf einem hoch erhabnen Ort, Und singt, mit unverdroßnem Gurgeln, die lange Weil' ihr gleichsam fort. Sie bittet ihr geliebtes Männchen, auf kurze Zeit sich zu bequemen, Und, da sie kärglich Futter nimmt, den Platz auf ihrem Nest zu nehmen.
Jndessen kömmt die Zeit heran, da die genug gewärmte Jungen Sich ausgedehnt, die, da ihr Kerker, als ihnen nun zu eng', zersprungen,
Sich
Fruͤhlings-Gedicht.
Die Schwalbe reinigt den Moraſt vom zaͤhen Thon, und baut daraus, Ohn unſre Gegenwart zu ſcheuen, mit groſſer Kunſt, ihr hangend Haus; Oft ſieht man ſie mit ihrem Schnabel, vom Vieh und von der Schaafe Ruͤcken, Jn oͤfters wiederholtem Ziehn, begierig Haar und Wolle pfluͤcken; Oft ſtiehlt ſie, von der Scheunen, Stroh, damit die Jungen ſanft ſich legen, Und, in dem wohlbeſorgten Neſt, bequem und waͤrmer ruhen moͤgen.
Wenn die geduld’ge Mutter nun, von Zaͤrtlichkeit und Lieb’ erhitzt, Wodurch ſie, recht bewundernswehrt, beſtaͤndig auf dem Neſte ſitzt; So ſitzt das Maͤnnchen gegen uͤber auf einem hoch erhabnen Ort, Und ſingt, mit unverdroßnem Gurgeln, die lange Weil’ ihr gleichſam fort. Sie bittet ihr geliebtes Maͤnnchen, auf kurze Zeit ſich zu bequemen, Und, da ſie kaͤrglich Futter nimmt, den Platz auf ihrem Neſt zu nehmen.
Jndeſſen koͤmmt die Zeit heran, da die genug gewaͤrmte Jungen Sich ausgedehnt, die, da ihr Kerker, als ihnen nun zu eng’, zerſprungen,
Sich
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Fruͤhlings-Gedicht.
Die Schwalbe reinigt den Moraſt vom zaͤhen Thon, und baut
daraus,
Ohn unſre Gegenwart zu ſcheuen, mit groſſer Kunſt, ihr
hangend Haus;
Oft ſieht man ſie mit ihrem Schnabel, vom Vieh und von der
Schaafe Ruͤcken,
Jn oͤfters wiederholtem Ziehn, begierig Haar und Wolle
pfluͤcken;
Oft ſtiehlt ſie, von der Scheunen, Stroh, damit die Jungen
ſanft ſich legen,
Und, in dem wohlbeſorgten Neſt, bequem und waͤrmer ruhen
moͤgen.
Wenn die geduld’ge Mutter nun, von Zaͤrtlichkeit und
Lieb’ erhitzt,
Wodurch ſie, recht bewundernswehrt, beſtaͤndig auf dem
Neſte ſitzt;
So ſitzt das Maͤnnchen gegen uͤber auf einem hoch erhabnen
Ort,
Und ſingt, mit unverdroßnem Gurgeln, die lange Weil’ ihr
gleichſam fort.
Sie bittet ihr geliebtes Maͤnnchen, auf kurze Zeit ſich zu
bequemen,
Und, da ſie kaͤrglich Futter nimmt, den Platz auf ihrem Neſt
zu nehmen.
Jndeſſen koͤmmt die Zeit heran, da die genug gewaͤrmte
Jungen
Sich ausgedehnt, die, da ihr Kerker, als ihnen nun zu eng’,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/60>, abgerufen am 21.11.2024.
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