Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743.Schnee-Gestöber. Gesenkt, erhöht, gestürzt, und in die Höh' gerissen, Und hatte tausendfach sich drehen lassen müssen. Zuweilen stürzt und fiel ein Meer von Schnee so dicht, So dick von oben ab, es schien fast dem Gesicht Ein Wolken-Bruch von Schnee, es schien die ganze Luft Ein ungetrennter Dampf, ein weisser Nebel-Duft. So heftig war das heftige Bewegen: Für grosser Schnelligkeit schien sich fast nichts zu regen, Bis hie und da von Sturm getroffne Theile, Jn noch vermehrter Eile, Jn sichtbarn Linien noch heftiger gedrungen, Mit größrer Wut sich durch die andern schwungen, Und da sie sich bald hie, bald dorthin neigten, Die heftige Bewegung deutlich zeigten. Wer dieses, dacht' ich, so bequehm, Als ich, aus einem Zimmer sieht, Dem ist dieß Schauspiel angenehm. Jch dankt' auch, mit erkenntlichem Gemüht, Wie billig, GOtt dafür. Doch dacht' ich auch dabey: Wie hart die Witterung den Reisenden wohl sey! Da, ausser dem, was sie von scharfer Winde Schneiden An ihrer Haut und am Gesicht erleiden, Vom aufgethürmten Schnee, im Gehn, so Pfad als Steg, Wie auch zum Fahren Bahn und Weg, Verändert, ganz bedeckt, Unsichtbar, unbekannt, versteckt, Und gleichsam recht verschlungen wird. Fast, was man sieht, versinkt in eine helle Nacht, So daß, wer sonst des Wegs ganz kundig, leicht verirrt, Und oft nach langer Zeit erst wird zurecht gebracht. Weil ich für selbe nun nichts, als nur wünschen kann; So wünsch ich, daß doch jedermann, Den P p 4
Schnee-Geſtoͤber. Geſenkt, erhoͤht, geſtuͤrzt, und in die Hoͤh’ geriſſen, Und hatte tauſendfach ſich drehen laſſen muͤſſen. Zuweilen ſtuͤrzt und fiel ein Meer von Schnee ſo dicht, So dick von oben ab, es ſchien faſt dem Geſicht Ein Wolken-Bruch von Schnee, es ſchien die ganze Luft Ein ungetrennter Dampf, ein weiſſer Nebel-Duft. So heftig war das heftige Bewegen: Fuͤr groſſer Schnelligkeit ſchien ſich faſt nichts zu regen, Bis hie und da von Sturm getroffne Theile, Jn noch vermehrter Eile, Jn ſichtbarn Linien noch heftiger gedrungen, Mit groͤßrer Wut ſich durch die andern ſchwungen, Und da ſie ſich bald hie, bald dorthin neigten, Die heftige Bewegung deutlich zeigten. Wer dieſes, dacht’ ich, ſo bequehm, Als ich, aus einem Zimmer ſieht, Dem iſt dieß Schauſpiel angenehm. Jch dankt’ auch, mit erkenntlichem Gemuͤht, Wie billig, GOtt dafuͤr. Doch dacht’ ich auch dabey: Wie hart die Witterung den Reiſenden wohl ſey! Da, auſſer dem, was ſie von ſcharfer Winde Schneiden An ihrer Haut und am Geſicht erleiden, Vom aufgethuͤrmten Schnee, im Gehn, ſo Pfad als Steg, Wie auch zum Fahren Bahn und Weg, Veraͤndert, ganz bedeckt, Unſichtbar, unbekannt, verſteckt, Und gleichſam recht verſchlungen wird. Faſt, was man ſieht, verſinkt in eine helle Nacht, So daß, wer ſonſt des Wegs ganz kundig, leicht verirrt, Und oft nach langer Zeit erſt wird zurecht gebracht. Weil ich fuͤr ſelbe nun nichts, als nur wuͤnſchen kann; So wuͤnſch ich, daß doch jedermann, Den P p 4
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Schnee-Geſtoͤber.
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Und hatte tauſendfach ſich drehen laſſen muͤſſen.
Zuweilen ſtuͤrzt und fiel ein Meer von Schnee ſo dicht,
So dick von oben ab, es ſchien faſt dem Geſicht
Ein Wolken-Bruch von Schnee, es ſchien die ganze Luft
Ein ungetrennter Dampf, ein weiſſer Nebel-Duft.
So heftig war das heftige Bewegen:
Fuͤr groſſer Schnelligkeit ſchien ſich faſt nichts zu regen,
Bis hie und da von Sturm getroffne Theile,
Jn noch vermehrter Eile,
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Mit groͤßrer Wut ſich durch die andern ſchwungen,
Und da ſie ſich bald hie, bald dorthin neigten,
Die heftige Bewegung deutlich zeigten.
Wer dieſes, dacht’ ich, ſo bequehm,
Als ich, aus einem Zimmer ſieht,
Dem iſt dieß Schauſpiel angenehm.
Jch dankt’ auch, mit erkenntlichem Gemuͤht,
Wie billig, GOtt dafuͤr. Doch dacht’ ich auch dabey:
Wie hart die Witterung den Reiſenden wohl ſey!
Da, auſſer dem, was ſie von ſcharfer Winde Schneiden
An ihrer Haut und am Geſicht erleiden,
Vom aufgethuͤrmten Schnee, im Gehn, ſo Pfad als Steg,
Wie auch zum Fahren Bahn und Weg,
Veraͤndert, ganz bedeckt,
Unſichtbar, unbekannt, verſteckt,
Und gleichſam recht verſchlungen wird.
Faſt, was man ſieht, verſinkt in eine helle Nacht,
So daß, wer ſonſt des Wegs ganz kundig, leicht verirrt,
Und oft nach langer Zeit erſt wird zurecht gebracht.
Weil ich fuͤr ſelbe nun nichts, als nur wuͤnſchen kann;
So wuͤnſch ich, daß doch jedermann,
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