Sie suchen hie und dort aus Sträuchen, aus Stroh, aus Mooß und andern Sachen, So sie in ihren Schnäbeln holen, für ihre Zucht ein Nest zu machen.
Wie nun bey uns das zahme Vieh die Macht der holden Liebe fühlt, So merkt man, wie die süsse Flamme auch in den wilden Thieren wühlt. Es brüllt der starke Stier voll Brunst, und sucht mit ange- flammtem Lauf Bald die geliebte glatte Kuh, bald seinen frechen Gegner auf Die gelbe Löwinn sucht den Löwen, mit ihm sich brünstig zu vermischen. Der lahme Wolf lechzt nach der Wölfinn; der plumpe Bär, in dunklen Büschen, Begehet sich mit seiner Bärinn. Der bunte Tyger, dessen Grimm Fast aller Grimm noch übertrifft, macht, durch die fürchter- liche Stimm, Sein schrecklich Liebes-Feuer kund. Der holde Frühling läßt so gar Selbst in des Meeres tiefen Gründen der glatt-beschuppten Fische Schaar, Ja selbst den grossen Wasser-Wundern, der Liebe süsse Flam- men fühlen. Woselbst sie bald in dunkler Tiefe, bald auf der hellen Fläche, spielen.
Doch laßt uns dort die Schäfer sehn, und ihre Feldschall- meyen hören! Sie sitzen dort auf einem Hügel, sehn ihre Heerd' im Grase gehn,
Worinn
Fruͤhlings-Gedicht.
Sie ſuchen hie und dort aus Straͤuchen, aus Stroh, aus Mooß und andern Sachen, So ſie in ihren Schnaͤbeln holen, fuͤr ihre Zucht ein Neſt zu machen.
Wie nun bey uns das zahme Vieh die Macht der holden Liebe fuͤhlt, So merkt man, wie die ſuͤſſe Flamme auch in den wilden Thieren wuͤhlt. Es bruͤllt der ſtarke Stier voll Brunſt, und ſucht mit ange- flammtem Lauf Bald die geliebte glatte Kuh, bald ſeinen frechen Gegner auf Die gelbe Loͤwinn ſucht den Loͤwen, mit ihm ſich bruͤnſtig zu vermiſchen. Der lahme Wolf lechzt nach der Woͤlfinn; der plumpe Baͤr, in dunklen Buͤſchen, Begehet ſich mit ſeiner Baͤrinn. Der bunte Tyger, deſſen Grimm Faſt aller Grimm noch uͤbertrifft, macht, durch die fuͤrchter- liche Stimm, Sein ſchrecklich Liebes-Feuer kund. Der holde Fruͤhling laͤßt ſo gar Selbſt in des Meeres tiefen Gruͤnden der glatt-beſchuppten Fiſche Schaar, Ja ſelbſt den groſſen Waſſer-Wundern, der Liebe ſuͤſſe Flam- men fuͤhlen. Woſelbſt ſie bald in dunkler Tiefe, bald auf der hellen Flaͤche, ſpielen.
Doch laßt uns dort die Schaͤfer ſehn, und ihre Feldſchall- meyen hoͤren! Sie ſitzen dort auf einem Huͤgel, ſehn ihre Heerd’ im Graſe gehn,
Worinn
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Fruͤhlings-Gedicht.
Sie ſuchen hie und dort aus Straͤuchen, aus Stroh, aus
Mooß und andern Sachen,
So ſie in ihren Schnaͤbeln holen, fuͤr ihre Zucht ein Neſt zu
machen.
Wie nun bey uns das zahme Vieh die Macht der holden
Liebe fuͤhlt,
So merkt man, wie die ſuͤſſe Flamme auch in den wilden
Thieren wuͤhlt.
Es bruͤllt der ſtarke Stier voll Brunſt, und ſucht mit ange-
flammtem Lauf
Bald die geliebte glatte Kuh, bald ſeinen frechen Gegner auf
Die gelbe Loͤwinn ſucht den Loͤwen, mit ihm ſich bruͤnſtig zu
vermiſchen.
Der lahme Wolf lechzt nach der Woͤlfinn; der plumpe Baͤr,
in dunklen Buͤſchen,
Begehet ſich mit ſeiner Baͤrinn. Der bunte Tyger, deſſen
Grimm
Faſt aller Grimm noch uͤbertrifft, macht, durch die fuͤrchter-
liche Stimm,
Sein ſchrecklich Liebes-Feuer kund. Der holde Fruͤhling
laͤßt ſo gar
Selbſt in des Meeres tiefen Gruͤnden der glatt-beſchuppten
Fiſche Schaar,
Ja ſelbſt den groſſen Waſſer-Wundern, der Liebe ſuͤſſe Flam-
men fuͤhlen.
Woſelbſt ſie bald in dunkler Tiefe, bald auf der hellen
Flaͤche, ſpielen.
Doch laßt uns dort die Schaͤfer ſehn, und ihre Feldſchall-
meyen hoͤren!
Sie ſitzen dort auf einem Huͤgel, ſehn ihre Heerd’ im Graſe
gehn,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/64>, abgerufen am 21.11.2024.
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