Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.Ueber die Veränderung der Raupen. Wirft mir jemand etwan ein: Sie wird eine Monas werden, sonder Gränzen und Figur; So gesteh' ich offenherzig: Einer Monadis Natur Fass' ich und begreif sie nicht. Wie ich denn dabey gestehe, Daß ich, ohn Verringerung vieler Vorzüg' unsrer Seelen, Die monadische Verwandlung, da sie uns was raubt, nicht sehe: Da, im Körper-losen Wesen, schöne Gegenwürfe fehlen, Und wir, in dergleichem Stande, eine ganze Welt ver- lieren, Welche wir vorher besessen; die der Schöpfer uns geschenkt, Jhrer fröhlich zu geniessen, wo man nur dabey gedenkt: Denn wir konnten hier auch denken, uns erinnern, überlegen. Wenn wir also klar verspühren, Daß man, bey dem Tausch, verliehrt; scheint es dem Begriff zugegen, Den wir vom Verbessern hegen, Beym beträchtlichen Verlust aller Schönheit dieser Erden, Diesen Widerspruch zu glauben, daß wir dadurch besser werden? Aber welch ein starker Einwurf fällt mir hier zuletzt noch ein! Können Engel, ohne Körper, seliger und weiser seyn; Warum nicht auch unsre Seelen? Dieser Schluß scheint von Gewicht; Dennoch überführt er mich, von der Folge, völlig nicht. Engel 8 Theil. M
Ueber die Veraͤnderung der Raupen. Wirft mir jemand etwan ein: Sie wird eine Monas werden, ſonder Graͤnzen und Figur; So geſteh’ ich offenherzig: Einer Monadis Natur Faſſ’ ich und begreif ſie nicht. Wie ich denn dabey geſtehe, Daß ich, ohn Verringerung vieler Vorzuͤg’ unſrer Seelen, Die monadiſche Verwandlung, da ſie uns was raubt, nicht ſehe: Da, im Koͤrper-loſen Weſen, ſchoͤne Gegenwuͤrfe fehlen, Und wir, in dergleichem Stande, eine ganze Welt ver- lieren, Welche wir vorher beſeſſen; die der Schoͤpfer uns geſchenkt, Jhrer froͤhlich zu genieſſen, wo man nur dabey gedenkt: Denn wir konnten hier auch denken, uns erinnern, uͤberlegen. Wenn wir alſo klar verſpuͤhren, Daß man, bey dem Tauſch, verliehrt; ſcheint es dem Begriff zugegen, Den wir vom Verbeſſern hegen, Beym betraͤchtlichen Verluſt aller Schoͤnheit dieſer Erden, Dieſen Widerſpruch zu glauben, daß wir dadurch beſſer werden? Aber welch ein ſtarker Einwurf faͤllt mir hier zuletzt noch ein! Koͤnnen Engel, ohne Koͤrper, ſeliger und weiſer ſeyn; Warum nicht auch unſre Seelen? Dieſer Schluß ſcheint von Gewicht; Dennoch uͤberfuͤhrt er mich, von der Folge, voͤllig nicht. Engel 8 Theil. M
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Ueber die Veraͤnderung der Raupen.
Wirft mir jemand etwan ein:
Sie wird eine Monas werden, ſonder Graͤnzen und
Figur;
So geſteh’ ich offenherzig: Einer Monadis Natur
Faſſ’ ich und begreif ſie nicht. Wie ich denn dabey
geſtehe,
Daß ich, ohn Verringerung vieler Vorzuͤg’ unſrer Seelen,
Die monadiſche Verwandlung, da ſie uns was raubt,
nicht ſehe:
Da, im Koͤrper-loſen Weſen, ſchoͤne Gegenwuͤrfe fehlen,
Und wir, in dergleichem Stande, eine ganze Welt ver-
lieren,
Welche wir vorher beſeſſen; die der Schoͤpfer uns
geſchenkt,
Jhrer froͤhlich zu genieſſen, wo man nur dabey gedenkt:
Denn wir konnten hier auch denken, uns erinnern,
uͤberlegen.
Wenn wir alſo klar verſpuͤhren,
Daß man, bey dem Tauſch, verliehrt; ſcheint es dem
Begriff zugegen,
Den wir vom Verbeſſern hegen,
Beym betraͤchtlichen Verluſt aller Schoͤnheit dieſer Erden,
Dieſen Widerſpruch zu glauben, daß wir dadurch beſſer
werden?
Aber welch ein ſtarker Einwurf faͤllt mir hier zuletzt
noch ein!
Koͤnnen Engel, ohne Koͤrper, ſeliger und weiſer ſeyn;
Warum nicht auch unſre Seelen? Dieſer Schluß ſcheint
von Gewicht;
Dennoch uͤberfuͤhrt er mich, von der Folge, voͤllig nicht.
Engel
8 Theil. M
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