Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
Gedanken im Herbst, wenns trübe.
Verschiedne taumeln jetzt recht Schaaren-weis herab,
Und suchen ihr bestimmtes Grab;
Doch viele sitzen noch auf ihrer vorgen Stelle,
Und machen Luft und Welt, auch selbst im Sterben, helle.
Jch fühle wenigstens, durch sanften Drang gezwungen,
Bey der Gelegenheit in mir den Trieb
Zu schreiben, was ich einst schon schrieb;
Zu singen, was ich einst gesungen:
ARIA.
Bleiche Blätter, bunte Büsche,
Gelbe Stauden, röthlichs Rohr,
Euer flüsterndes Gezische
Kommt mir, wie ein Sterblied, vor.
Aber, da ihr, wenn ihr sterbet,
(Wie in einer hellern Gluht
Ein verlöschend Fünkgen thut)
Euch am allerschönsten färbet:
Wird, durch euer buntes Kleid,
Nicht nur Aug' und Herz erfreut,
Und zu Gottes Ruhm geführet;
Sondern, auf besondre Weise,
Durch so holden Schmuck gerühret,
Wünscht mein Herz, nicht minder schön,
Zu des Allerhöchsten Preise,
Wenn ich sterbe, zu vergehn!


Betrach-
P 3
Gedanken im Herbſt, wenns truͤbe.
Verſchiedne taumeln jetzt recht Schaaren-weiſ herab,
Und ſuchen ihr beſtimmtes Grab;
Doch viele ſitzen noch auf ihrer vorgen Stelle,
Und machen Luft und Welt, auch ſelbſt im Sterben, helle.
Jch fuͤhle wenigſtens, durch ſanften Drang gezwungen,
Bey der Gelegenheit in mir den Trieb
Zu ſchreiben, was ich einſt ſchon ſchrieb;
Zu ſingen, was ich einſt geſungen:
ARIA.
Bleiche Blaͤtter, bunte Buͤſche,
Gelbe Stauden, roͤthlichs Rohr,
Euer fluͤſterndes Geziſche
Kommt mir, wie ein Sterblied, vor.
Aber, da ihr, wenn ihr ſterbet,
(Wie in einer hellern Gluht
Ein verloͤſchend Fuͤnkgen thut)
Euch am allerſchoͤnſten faͤrbet:
Wird, durch euer buntes Kleid,
Nicht nur Aug’ und Herz erfreut,
Und zu Gottes Ruhm gefuͤhret;
Sondern, auf beſondre Weiſe,
Durch ſo holden Schmuck geruͤhret,
Wuͤnſcht mein Herz, nicht minder ſchoͤn,
Zu des Allerhoͤchſten Preiſe,
Wenn ich ſterbe, zu vergehn!


Betrach-
P 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0243" n="229"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Gedanken im Herb&#x017F;t, wenns tru&#x0364;be.</hi> </fw><lb/>
              <lg n="9">
                <l>Ver&#x017F;chiedne taumeln jetzt recht Schaaren-wei&#x017F; herab,</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;uchen ihr be&#x017F;timmtes Grab;</l><lb/>
                <l>Doch viele &#x017F;itzen noch auf ihrer vorgen Stelle,</l><lb/>
                <l>Und machen Luft und Welt, auch &#x017F;elb&#x017F;t im Sterben, helle.</l><lb/>
                <l>Jch fu&#x0364;hle wenig&#x017F;tens, durch &#x017F;anften Drang gezwungen,</l><lb/>
                <l>Bey der Gelegenheit in mir den Trieb</l><lb/>
                <l>Zu &#x017F;chreiben, was ich ein&#x017F;t &#x017F;chon &#x017F;chrieb;</l><lb/>
                <l>Zu &#x017F;ingen, was ich ein&#x017F;t ge&#x017F;ungen:</l>
              </lg>
            </lg><lb/>
            <lg type="poem">
              <head> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">ARIA</hi>.</hi> </head><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Bleiche Bla&#x0364;tter, bunte Bu&#x0364;&#x017F;che,</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Gelbe Stauden, ro&#x0364;thlichs Rohr,</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Euer flu&#x0364;&#x017F;terndes Gezi&#x017F;che</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Kommt mir, wie ein Sterblied, vor.</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Aber, da ihr, wenn ihr &#x017F;terbet,</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">(Wie in einer hellern Gluht</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Ein verlo&#x0364;&#x017F;chend Fu&#x0364;nkgen thut)</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Euch am aller&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten fa&#x0364;rbet:</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Wird, durch euer buntes Kleid,</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Nicht nur Aug&#x2019; und Herz erfreut,</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Und zu Gottes Ruhm gefu&#x0364;hret;</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Sondern, auf be&#x017F;ondre Wei&#x017F;e,</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Durch &#x017F;o holden Schmuck geru&#x0364;hret,</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Wu&#x0364;n&#x017F;cht mein Herz, nicht minder &#x017F;cho&#x0364;n,</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Zu des Allerho&#x0364;ch&#x017F;ten Prei&#x017F;e,</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Wenn ich &#x017F;terbe, zu vergehn!</hi> </l>
            </lg>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">P 3</fw>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Betrach-</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0243] Gedanken im Herbſt, wenns truͤbe. Verſchiedne taumeln jetzt recht Schaaren-weiſ herab, Und ſuchen ihr beſtimmtes Grab; Doch viele ſitzen noch auf ihrer vorgen Stelle, Und machen Luft und Welt, auch ſelbſt im Sterben, helle. Jch fuͤhle wenigſtens, durch ſanften Drang gezwungen, Bey der Gelegenheit in mir den Trieb Zu ſchreiben, was ich einſt ſchon ſchrieb; Zu ſingen, was ich einſt geſungen: ARIA. Bleiche Blaͤtter, bunte Buͤſche, Gelbe Stauden, roͤthlichs Rohr, Euer fluͤſterndes Geziſche Kommt mir, wie ein Sterblied, vor. Aber, da ihr, wenn ihr ſterbet, (Wie in einer hellern Gluht Ein verloͤſchend Fuͤnkgen thut) Euch am allerſchoͤnſten faͤrbet: Wird, durch euer buntes Kleid, Nicht nur Aug’ und Herz erfreut, Und zu Gottes Ruhm gefuͤhret; Sondern, auf beſondre Weiſe, Durch ſo holden Schmuck geruͤhret, Wuͤnſcht mein Herz, nicht minder ſchoͤn, Zu des Allerhoͤchſten Preiſe, Wenn ich ſterbe, zu vergehn! Betrach- P 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/243
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/243>, abgerufen am 21.11.2024.