Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.Bey dem Fall der Blätter im Herbst. Jch hatte diesem sanften Sinken, der Blätter lieb- lichem Gewühl, Und dem dadurch, in heitrer Luft, erregten angenehmen Spiel, Der bunten Tropfen schwebendem, im lindem Fall for- miertem, Drehn, Mit offnem Aug', und ernstem Denken, nun eine Zeitlang zugesehn; Als ihr von dem geliebten Baum freywilligs Scheiden (da durch Wind, Durch Regen, durch den scharfen Nord, sie nicht herab- gestreifet sind; Nein, willig ihren Sitz verlassen, in ihren ungezwungnen Fällen) Nach ernstem Denken, mich bewog, sie mir zum Bilde vorzustellen, Von einem wohlgeführten Alter, und sanftem Sterben: Die hingegen, Die, durch der Stürme strengen Hauch, durch scharfen Frost, durch schwehren Regen, Von ihren Zweigen abgestreift und abgerissen, kommen mir, Wie Menschen, die durch Krieg und Brand und Stahl gewaltsam fallen, für. Wie glücklich, dacht' ich, sind die Menschen, die den freywillgen Blättern gleichen, Und, wenn sie ihres Lebens Ziel, in sanfter Ruh' und Fried', erreichen; Der Ordnung der Natur zufolge, gelassen scheiden, und erbleichen! Zum P 4
Bey dem Fall der Blaͤtter im Herbſt. Jch hatte dieſem ſanften Sinken, der Blaͤtter lieb- lichem Gewuͤhl, Und dem dadurch, in heitrer Luft, erregten angenehmen Spiel, Der bunten Tropfen ſchwebendem, im lindem Fall for- miertem, Drehn, Mit offnem Aug’, und ernſtem Denken, nun eine Zeitlang zugeſehn; Als ihr von dem geliebten Baum freywilligs Scheiden (da durch Wind, Durch Regen, durch den ſcharfen Nord, ſie nicht herab- geſtreifet ſind; Nein, willig ihren Sitz verlaſſen, in ihren ungezwungnen Faͤllen) Nach ernſtem Denken, mich bewog, ſie mir zum Bilde vorzuſtellen, Von einem wohlgefuͤhrten Alter, und ſanftem Sterben: Die hingegen, Die, durch der Stuͤrme ſtrengen Hauch, durch ſcharfen Froſt, durch ſchwehren Regen, Von ihren Zweigen abgeſtreift und abgeriſſen, kommen mir, Wie Menſchen, die durch Krieg und Brand und Stahl gewaltſam fallen, fuͤr. Wie gluͤcklich, dacht’ ich, ſind die Menſchen, die den freywillgen Blaͤttern gleichen, Und, wenn ſie ihres Lebens Ziel, in ſanfter Ruh’ und Fried’, erreichen; Der Ordnung der Natur zufolge, gelaſſen ſcheiden, und erbleichen! Zum P 4
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Bey dem Fall der Blaͤtter im Herbſt.
Jch hatte dieſem ſanften Sinken, der Blaͤtter lieb-
lichem Gewuͤhl,
Und dem dadurch, in heitrer Luft, erregten angenehmen
Spiel,
Der bunten Tropfen ſchwebendem, im lindem Fall for-
miertem, Drehn,
Mit offnem Aug’, und ernſtem Denken, nun eine Zeitlang
zugeſehn;
Als ihr von dem geliebten Baum freywilligs Scheiden
(da durch Wind,
Durch Regen, durch den ſcharfen Nord, ſie nicht herab-
geſtreifet ſind;
Nein, willig ihren Sitz verlaſſen, in ihren ungezwungnen
Faͤllen)
Nach ernſtem Denken, mich bewog, ſie mir zum Bilde
vorzuſtellen,
Von einem wohlgefuͤhrten Alter, und ſanftem Sterben:
Die hingegen,
Die, durch der Stuͤrme ſtrengen Hauch, durch ſcharfen
Froſt, durch ſchwehren Regen,
Von ihren Zweigen abgeſtreift und abgeriſſen, kommen mir,
Wie Menſchen, die durch Krieg und Brand und
Stahl gewaltſam fallen, fuͤr.
Wie gluͤcklich, dacht’ ich, ſind die Menſchen, die
den freywillgen Blaͤttern gleichen,
Und, wenn ſie ihres Lebens Ziel, in ſanfter Ruh’
und Fried’, erreichen;
Der Ordnung der Natur zufolge, gelaſſen ſcheiden,
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