Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
in einem Neu-Jahrs-Gedichte.
Jn großer Anzahl, auf der Tafel; allein, sie waren kalt
und leer.

Es murrte der betrübte Magen, bey diesem Reichthum,
immer mehr.

Das Geld und Gold, ein wahrer Proteus, der sich in
allerley verkehrt,

Wenn er sich nicht verwandeln kann, verlieret alsbald
seinen Wehrt,

Und hat nicht den geringsten Nutzen. Sie wollten sich
zur Ruhe legen;

Kein aufgemachtes Bett war da: Kein Knecht, kein
Mädchen, war zugegen;

Ein jeder muß sich selbst entkleiden. Früh zeigte sich
dieselbe Noth:

Es war nicht Kleid, nicht Wäsche, da; es mangelte
das Morgen-Brodt.

Und kurz: Sie wurden bald gewahr, daß Reiche unter
sich allein,

Mit lauter Reichen, sonder Arme, unmöglich können
glücklich seyn;

Ja, daß sie selbsten arm ohn' Arme, mit allem Reich-
thum, werden müssen.

Sie würden sonder Kleider gehn, und sonder Schuh'
an ihren Füssen:

Sie müßten, mitten in dem Golde, selbst hacken, gra-
ben, pflügen, sä'n;

Selbst backen, brauen, Kleider machen, selbst waschen,
spinnen, egen, mäh'n.
Die Armen könnten ebenfals unmöglich ohne Reiche
leben:

Wem wollen sie, von ihrem Fleiß, die Frucht; wem
ihrer Stirne Schweiß,
Der
T 4
in einem Neu-Jahrs-Gedichte.
Jn großer Anzahl, auf der Tafel; allein, ſie waren kalt
und leer.

Es murrte der betruͤbte Magen, bey dieſem Reichthum,
immer mehr.

Das Geld und Gold, ein wahrer Proteus, der ſich in
allerley verkehrt,

Wenn er ſich nicht verwandeln kann, verlieret alsbald
ſeinen Wehrt,

Und hat nicht den geringſten Nutzen. Sie wollten ſich
zur Ruhe legen;

Kein aufgemachtes Bett war da: Kein Knecht, kein
Maͤdchen, war zugegen;

Ein jeder muß ſich ſelbſt entkleiden. Fruͤh zeigte ſich
dieſelbe Noth:

Es war nicht Kleid, nicht Waͤſche, da; es mangelte
das Morgen-Brodt.

Und kurz: Sie wurden bald gewahr, daß Reiche unter
ſich allein,

Mit lauter Reichen, ſonder Arme, unmoͤglich koͤnnen
gluͤcklich ſeyn;

Ja, daß ſie ſelbſten arm ohn’ Arme, mit allem Reich-
thum, werden muͤſſen.

Sie wuͤrden ſonder Kleider gehn, und ſonder Schuh’
an ihren Fuͤſſen:

Sie muͤßten, mitten in dem Golde, ſelbſt hacken, gra-
ben, pfluͤgen, ſaͤ’n;

Selbſt backen, brauen, Kleider machen, ſelbſt waſchen,
ſpinnen, egen, maͤh’n.
Die Armen koͤnnten ebenfals unmoͤglich ohne Reiche
leben:

Wem wollen ſie, von ihrem Fleiß, die Frucht; wem
ihrer Stirne Schweiß,
Der
T 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0309" n="295"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">in einem Neu-Jahrs-Gedichte.</hi> </fw><lb/>
              <lg n="16">
                <l>Jn großer Anzahl, auf der Tafel; allein, &#x017F;ie waren kalt<lb/><hi rendition="#et">und leer.</hi></l><lb/>
                <l>Es murrte der betru&#x0364;bte Magen, bey die&#x017F;em Reichthum,<lb/><hi rendition="#et">immer mehr.</hi></l><lb/>
                <l>Das Geld und Gold, ein wahrer Proteus, der &#x017F;ich in<lb/><hi rendition="#et">allerley verkehrt,</hi></l><lb/>
                <l>Wenn er &#x017F;ich nicht verwandeln kann, verlieret alsbald<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;einen Wehrt,</hi></l><lb/>
                <l>Und hat nicht den gering&#x017F;ten Nutzen. Sie wollten &#x017F;ich<lb/><hi rendition="#et">zur Ruhe legen;</hi></l><lb/>
                <l>Kein aufgemachtes Bett war da: Kein Knecht, kein<lb/><hi rendition="#et">Ma&#x0364;dchen, war zugegen;</hi></l><lb/>
                <l>Ein jeder muß &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t entkleiden. Fru&#x0364;h zeigte &#x017F;ich<lb/><hi rendition="#et">die&#x017F;elbe Noth:</hi></l><lb/>
                <l>Es war nicht Kleid, nicht Wa&#x0364;&#x017F;che, da; es mangelte<lb/><hi rendition="#et">das Morgen-Brodt.</hi></l><lb/>
                <l>Und kurz: Sie wurden bald gewahr, daß Reiche unter<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ich allein,</hi></l><lb/>
                <l>Mit lauter Reichen, &#x017F;onder Arme, unmo&#x0364;glich ko&#x0364;nnen<lb/><hi rendition="#et">glu&#x0364;cklich &#x017F;eyn;</hi></l><lb/>
                <l>Ja, daß &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;ten arm ohn&#x2019; Arme, mit allem Reich-<lb/><hi rendition="#et">thum, werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</hi></l><lb/>
                <l>Sie wu&#x0364;rden &#x017F;onder Kleider gehn, und &#x017F;onder Schuh&#x2019;<lb/><hi rendition="#et">an ihren Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en:</hi></l><lb/>
                <l>Sie mu&#x0364;ßten, mitten in dem Golde, &#x017F;elb&#x017F;t hacken, gra-<lb/><hi rendition="#et">ben, pflu&#x0364;gen, &#x017F;a&#x0364;&#x2019;n;</hi></l><lb/>
                <l>Selb&#x017F;t backen, brauen, Kleider machen, &#x017F;elb&#x017F;t wa&#x017F;chen,<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;pinnen, egen, ma&#x0364;h&#x2019;n.</hi></l>
              </lg><lb/>
              <lg n="17">
                <l>Die Armen ko&#x0364;nnten ebenfals unmo&#x0364;glich ohne Reiche<lb/><hi rendition="#et">leben:</hi></l><lb/>
                <l>Wem wollen &#x017F;ie, von ihrem Fleiß, die Frucht; wem<lb/><hi rendition="#et">ihrer Stirne Schweiß,</hi></l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">T 4</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[295/0309] in einem Neu-Jahrs-Gedichte. Jn großer Anzahl, auf der Tafel; allein, ſie waren kalt und leer. Es murrte der betruͤbte Magen, bey dieſem Reichthum, immer mehr. Das Geld und Gold, ein wahrer Proteus, der ſich in allerley verkehrt, Wenn er ſich nicht verwandeln kann, verlieret alsbald ſeinen Wehrt, Und hat nicht den geringſten Nutzen. Sie wollten ſich zur Ruhe legen; Kein aufgemachtes Bett war da: Kein Knecht, kein Maͤdchen, war zugegen; Ein jeder muß ſich ſelbſt entkleiden. Fruͤh zeigte ſich dieſelbe Noth: Es war nicht Kleid, nicht Waͤſche, da; es mangelte das Morgen-Brodt. Und kurz: Sie wurden bald gewahr, daß Reiche unter ſich allein, Mit lauter Reichen, ſonder Arme, unmoͤglich koͤnnen gluͤcklich ſeyn; Ja, daß ſie ſelbſten arm ohn’ Arme, mit allem Reich- thum, werden muͤſſen. Sie wuͤrden ſonder Kleider gehn, und ſonder Schuh’ an ihren Fuͤſſen: Sie muͤßten, mitten in dem Golde, ſelbſt hacken, gra- ben, pfluͤgen, ſaͤ’n; Selbſt backen, brauen, Kleider machen, ſelbſt waſchen, ſpinnen, egen, maͤh’n. Die Armen koͤnnten ebenfals unmoͤglich ohne Reiche leben: Wem wollen ſie, von ihrem Fleiß, die Frucht; wem ihrer Stirne Schweiß, Der T 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/309
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/309>, abgerufen am 24.11.2024.