Es scheinet, als ob unsre Seele Sich, durch die künstlichen Canäle Der Sinnen, mit der Welt vermähle. Denn, ohne Sinnen, wüßten wir, Von unsrer Erden Pracht und Zier, Von Formen, Farben, Ordnung, Licht, Von allem, das geringste nicht.
"Ja, denk' ich recht, die Seele könnte, "Wenn Gott ihr nicht die Sinnen gönnte, "Sich ihrer selbst ganz unbewußt, "Daß sie ein Wesen, selbst nicht spühren: "Ja, sollte sie so gar die Gaben "Der Sinnen, und die Werkzeug', haben; "So würde sie dennoch nichts wissen, "Und sich selbst unbekannt seyn müssen, "Wenn keine Gegenwürfe wären, "Die ihr, sich, sie, und Gott, erklären.
Man stell sich eine junge Seele ohn' Hände, son- der Aug' und Ohr, Und, nebst dem Mangel aller Vorwürf', auch ohne Nas' und Zunge vor; Wie ist es möglich, daß Jdeen Jn einer solchen Seel' entstehen? Wie kann sie, ohn' Jdeen, denken?
Jhr
Genaue Unterſuchung unſerer Seelen.
Es ſcheinet, als ob unſre Seele Sich, durch die kuͤnſtlichen Canaͤle Der Sinnen, mit der Welt vermaͤhle. Denn, ohne Sinnen, wuͤßten wir, Von unſrer Erden Pracht und Zier, Von Formen, Farben, Ordnung, Licht, Von allem, das geringſte nicht.
“Ja, denk’ ich recht, die Seele koͤnnte, “Wenn Gott ihr nicht die Sinnen goͤnnte, “Sich ihrer ſelbſt ganz unbewußt, “Daß ſie ein Weſen, ſelbſt nicht ſpuͤhren: “Ja, ſollte ſie ſo gar die Gaben “Der Sinnen, und die Werkzeug’, haben; “So wuͤrde ſie dennoch nichts wiſſen, “Und ſich ſelbſt unbekannt ſeyn muͤſſen, “Wenn keine Gegenwuͤrfe waͤren, “Die ihr, ſich, ſie, und Gott, erklaͤren.
Man ſtell ſich eine junge Seele ohn’ Haͤnde, ſon- der Aug’ und Ohr, Und, nebſt dem Mangel aller Vorwuͤrf’, auch ohne Naſ’ und Zunge vor; Wie iſt es moͤglich, daß Jdeen Jn einer ſolchen Seel’ entſtehen? Wie kann ſie, ohn’ Jdeen, denken?
Jhr
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Genaue
Unterſuchung unſerer Seelen.
Es ſcheinet, als ob unſre Seele
Sich, durch die kuͤnſtlichen Canaͤle
Der Sinnen, mit der Welt vermaͤhle.
Denn, ohne Sinnen, wuͤßten wir,
Von unſrer Erden Pracht und Zier,
Von Formen, Farben, Ordnung, Licht,
Von allem, das geringſte nicht.
“Ja, denk’ ich recht, die Seele koͤnnte,
“Wenn Gott ihr nicht die Sinnen goͤnnte,
“Sich ihrer ſelbſt ganz unbewußt,
“Daß ſie ein Weſen, ſelbſt nicht ſpuͤhren:
“Ja, ſollte ſie ſo gar die Gaben
“Der Sinnen, und die Werkzeug’, haben;
“So wuͤrde ſie dennoch nichts wiſſen,
“Und ſich ſelbſt unbekannt ſeyn muͤſſen,
“Wenn keine Gegenwuͤrfe waͤren,
“Die ihr, ſich, ſie, und Gott, erklaͤren.
Man ſtell ſich eine junge Seele ohn’ Haͤnde, ſon-
der Aug’ und Ohr,
Und, nebſt dem Mangel aller Vorwuͤrf’, auch ohne
Naſ’ und Zunge vor;
Wie iſt es moͤglich, daß Jdeen
Jn einer ſolchen Seel’ entſtehen?
Wie kann ſie, ohn’ Jdeen, denken?
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/508>, abgerufen am 22.11.2024.
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