uns Gott vorzustellen, scheinen einander entgegen gesetzt zu seyn; allein sie sind es deswegen in der That nicht. Gott ist vor unsern Sinnen verborgen; Er offenbahret sich aber in unserer Vernunft. Gott ist auch selbst unsrer Vernunft verborgen, wenn sie Jhn in den ordentlichen und gemeinen Begriffen, welche sie von Dingen hat, suchen will; doch of- fenbahret Er sich auch eben dieser Vernunft, wenn sie ihre Begriffe von alle dem, was sie vom Cörperlichen bey sich haben, reiniget, und wenn sie ihnen alle die Geistigkeiten giebt, die sie zu haben fähig ist. Gott ist ein Gott, der sich der verwegenen Vermessenheit einer hochmüthigen Seele verbirgt, die sich unterstehet, die göttlichen Tiefen zu er- gründen, und das Unendliche, so zu sagen, zu messen, indem sie alles, was Gott ist, begreifen will; die aber doch, wenn sie Jhn nicht begreifen, u. ganz u. gar in ihren Begriff einschlies- sen kann, denselben nicht erkennet, und nichts von Jhm weiß.
Fast eben so, als wie sich ein Mensch unvermögend machen würde, die Sonne anzusehen, wenn er sie gar zu scharf ansehen wollte. Hingegen ist Gott ein Gott, der sich einer weisen und demüthigen Vernunft offenbahret, die sich unfähig achtet, alles das, was Gott ist, zu erkennen, und die sich begnüget, zu erkennen, daß er sey, Jhn in Sei- nen Werken zu finden, den Schöpfer in den Geschöpfen zu sehen, und Jhn unter der Decke gewahr zu werden, worun- ter Er Seine Hoheit vor uns verstecket.
Darum kann man eben das von Gott sagen, was man von dem Lichte gesaget hat, das nichts sey, welches mehr bekannt, und auch zugleich mehr unbekannt sey. Es ist kein Künstler, kein Schiffmann, kein Soldat, der nicht das Licht kennete; gleichwol aber giebt es keine Philosophen u. keinen so tiefsinnigen Verstand, der erklären könnte, was es sey.
Anleitung
8 Theil. Q q
Die unerlaubte Gruͤbeley.
uns Gott vorzuſtellen, ſcheinen einander entgegen geſetzt zu ſeyn; allein ſie ſind es deswegen in der That nicht. Gott iſt vor unſern Sinnen verborgen; Er offenbahret ſich aber in unſerer Vernunft. Gott iſt auch ſelbſt unſrer Vernunft verborgen, wenn ſie Jhn in den ordentlichen und gemeinen Begriffen, welche ſie von Dingen hat, ſuchen will; doch of- fenbahret Er ſich auch eben dieſer Vernunft, wenn ſie ihre Begriffe von alle dem, was ſie vom Coͤrperlichen bey ſich haben, reiniget, und wenn ſie ihnen alle die Geiſtigkeiten giebt, die ſie zu haben faͤhig iſt. Gott iſt ein Gott, der ſich der verwegenen Vermeſſenheit einer hochmuͤthigen Seele verbirgt, die ſich unterſtehet, die goͤttlichen Tiefen zu er- gruͤnden, und das Unendliche, ſo zu ſagen, zu meſſen, indem ſie alles, was Gott iſt, begreifen will; die aber doch, wenn ſie Jhn nicht begreifen, u. ganz u. gar in ihren Begriff einſchlieſ- ſen kann, denſelben nicht erkennet, und nichts von Jhm weiß.
Faſt eben ſo, als wie ſich ein Menſch unvermoͤgend machen wuͤrde, die Sonne anzuſehen, wenn er ſie gar zu ſcharf anſehen wollte. Hingegen iſt Gott ein Gott, der ſich einer weiſen und demuͤthigen Vernunft offenbahret, die ſich unfaͤhig achtet, alles das, was Gott iſt, zu erkennen, und die ſich begnuͤget, zu erkennen, daß er ſey, Jhn in Sei- nen Werken zu finden, den Schoͤpfer in den Geſchoͤpfen zu ſehen, und Jhn unter der Decke gewahr zu werden, worun- ter Er Seine Hoheit vor uns verſtecket.
Darum kann man eben das von Gott ſagen, was man von dem Lichte geſaget hat, das nichts ſey, welches mehr bekannt, und auch zugleich mehr unbekannt ſey. Es iſt kein Kuͤnſtler, kein Schiffmann, kein Soldat, der nicht das Licht kennete; gleichwol aber giebt es keine Philoſophen u. keinen ſo tiefſinnigen Verſtand, der erklaͤren koͤnnte, was es ſey.
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8 Theil. Q q
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Die unerlaubte Gruͤbeley.
uns Gott vorzuſtellen, ſcheinen einander entgegen geſetzt zu
ſeyn; allein ſie ſind es deswegen in der That nicht. Gott
iſt vor unſern Sinnen verborgen; Er offenbahret ſich aber
in unſerer Vernunft. Gott iſt auch ſelbſt unſrer Vernunft
verborgen, wenn ſie Jhn in den ordentlichen und gemeinen
Begriffen, welche ſie von Dingen hat, ſuchen will; doch of-
fenbahret Er ſich auch eben dieſer Vernunft, wenn ſie ihre
Begriffe von alle dem, was ſie vom Coͤrperlichen bey ſich
haben, reiniget, und wenn ſie ihnen alle die Geiſtigkeiten
giebt, die ſie zu haben faͤhig iſt. Gott iſt ein Gott, der ſich
der verwegenen Vermeſſenheit einer hochmuͤthigen Seele
verbirgt, die ſich unterſtehet, die goͤttlichen Tiefen zu er-
gruͤnden, und das Unendliche, ſo zu ſagen, zu meſſen, indem
ſie alles, was Gott iſt, begreifen will; die aber doch, wenn ſie
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ſen kann, denſelben nicht erkennet, und nichts von Jhm weiß.
Faſt eben ſo, als wie ſich ein Menſch unvermoͤgend
machen wuͤrde, die Sonne anzuſehen, wenn er ſie gar zu
ſcharf anſehen wollte. Hingegen iſt Gott ein Gott, der
ſich einer weiſen und demuͤthigen Vernunft offenbahret, die
ſich unfaͤhig achtet, alles das, was Gott iſt, zu erkennen,
und die ſich begnuͤget, zu erkennen, daß er ſey, Jhn in Sei-
nen Werken zu finden, den Schoͤpfer in den Geſchoͤpfen zu
ſehen, und Jhn unter der Decke gewahr zu werden, worun-
ter Er Seine Hoheit vor uns verſtecket.
Darum kann man eben das von Gott ſagen, was man
von dem Lichte geſaget hat, das nichts ſey, welches mehr
bekannt, und auch zugleich mehr unbekannt ſey. Es iſt kein
Kuͤnſtler, kein Schiffmann, kein Soldat, der nicht das Licht
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 609. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/623>, abgerufen am 26.06.2024.
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