Nach dieser Grund-Regel habe ich, bereits vor vielen Jahren, gewünschet, im Stande zu seyn, mein Leben ein- zurichten, auch bereits einen Anfang dazu gemacht, wie ich noch in der Welt war; woselbst ich es denn, ohne Ruhm, weiter als viele andere gebracht, ob ich gleich, wie leicht zu glauben, daselbst noch viele Verhinderungen angetroffen habe. Da ich nun, durch unzählbare Zu- fälle, an diesem Orte, von allen Menschen abgesondert, mich befinde: so habe ich destoweniger Hinderniß gehabt, mich mit mehrer Mühe darauf zu befleißigen. Wozu denn meine geliebte Gemahlinn, durch ihren erhabenen Geist, ein großes beygetragen hat, dergestalt, daß wir nunmehr sechs Jahre uns täglich damit beschäfftigen, uns zu vergnügen; in allen Vorwürfen die darinn durch Gottes Finger geprägte Weisheit zu bemerken, und zu bewundern. Jch kann euch, mein lieber Freund, nicht beschreiben, wie weit wir durch die tägliche Ge- wohnheit unsre sonst zerstreuten Gemüths-Kräfte ge- bracht haben; so daß wir nunmehr ohne Mühe un- sere Sinnen vernünftig gebrauchen können. Wir se- hen, was wir sehen, und hören, was wir hören. Wir riechen, fühlen und schmecken, was wir wirklich rie- chen, fühlen und schmecken.
Das zarte Gemüth unsers lieben Sohnes haben wir bey Zeiten dazu angeführet, welcher denn dadurch, daß er weniger Vorurtheile abzulegen und weniger Ge- wohnheits-Schwierigkeiten zu übersteigen gehabt, zu unser beyderseits nicht auszusprechendem Vergnügen, alles auf diesem Wege so leicht gefunden; daß wir uns gar oft, mit Lust, von ihm übertroffen sehen.
Was
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Eine Lehr-reiche Geſchichte.
Nach dieſer Grund-Regel habe ich, bereits vor vielen Jahren, gewuͤnſchet, im Stande zu ſeyn, mein Leben ein- zurichten, auch bereits einen Anfang dazu gemacht, wie ich noch in der Welt war; woſelbſt ich es denn, ohne Ruhm, weiter als viele andere gebracht, ob ich gleich, wie leicht zu glauben, daſelbſt noch viele Verhinderungen angetroffen habe. Da ich nun, durch unzaͤhlbare Zu- faͤlle, an dieſem Orte, von allen Menſchen abgeſondert, mich befinde: ſo habe ich deſtoweniger Hinderniß gehabt, mich mit mehrer Muͤhe darauf zu befleißigen. Wozu denn meine geliebte Gemahlinn, durch ihren erhabenen Geiſt, ein großes beygetragen hat, dergeſtalt, daß wir nunmehr ſechs Jahre uns taͤglich damit beſchaͤfftigen, uns zu vergnuͤgen; in allen Vorwuͤrfen die darinn durch Gottes Finger gepraͤgte Weisheit zu bemerken, und zu bewundern. Jch kann euch, mein lieber Freund, nicht beſchreiben, wie weit wir durch die taͤgliche Ge- wohnheit unſre ſonſt zerſtreuten Gemuͤths-Kraͤfte ge- bracht haben; ſo daß wir nunmehr ohne Muͤhe un- ſere Sinnen vernuͤnftig gebrauchen koͤnnen. Wir ſe- hen, was wir ſehen, und hoͤren, was wir hoͤren. Wir riechen, fuͤhlen und ſchmecken, was wir wirklich rie- chen, fuͤhlen und ſchmecken.
Das zarte Gemuͤth unſers lieben Sohnes haben wir bey Zeiten dazu angefuͤhret, welcher denn dadurch, daß er weniger Vorurtheile abzulegen und weniger Ge- wohnheits-Schwierigkeiten zu uͤberſteigen gehabt, zu unſer beyderſeits nicht auszuſprechendem Vergnuͤgen, alles auf dieſem Wege ſo leicht gefunden; daß wir uns gar oft, mit Luſt, von ihm uͤbertroffen ſehen.
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Eine Lehr-reiche Geſchichte.
Nach dieſer Grund-Regel habe ich, bereits vor vielen
Jahren, gewuͤnſchet, im Stande zu ſeyn, mein Leben ein-
zurichten, auch bereits einen Anfang dazu gemacht, wie
ich noch in der Welt war; woſelbſt ich es denn, ohne
Ruhm, weiter als viele andere gebracht, ob ich gleich, wie
leicht zu glauben, daſelbſt noch viele Verhinderungen
angetroffen habe. Da ich nun, durch unzaͤhlbare Zu-
faͤlle, an dieſem Orte, von allen Menſchen abgeſondert,
mich befinde: ſo habe ich deſtoweniger Hinderniß gehabt,
mich mit mehrer Muͤhe darauf zu befleißigen. Wozu
denn meine geliebte Gemahlinn, durch ihren erhabenen
Geiſt, ein großes beygetragen hat, dergeſtalt, daß wir
nunmehr ſechs Jahre uns taͤglich damit beſchaͤfftigen,
uns zu vergnuͤgen; in allen Vorwuͤrfen die darinn
durch Gottes Finger gepraͤgte Weisheit zu bemerken,
und zu bewundern. Jch kann euch, mein lieber Freund,
nicht beſchreiben, wie weit wir durch die taͤgliche Ge-
wohnheit unſre ſonſt zerſtreuten Gemuͤths-Kraͤfte ge-
bracht haben; ſo daß wir nunmehr ohne Muͤhe un-
ſere Sinnen vernuͤnftig gebrauchen koͤnnen. Wir ſe-
hen, was wir ſehen, und hoͤren, was wir hoͤren. Wir
riechen, fuͤhlen und ſchmecken, was wir wirklich rie-
chen, fuͤhlen und ſchmecken.
Das zarte Gemuͤth unſers lieben Sohnes haben wir
bey Zeiten dazu angefuͤhret, welcher denn dadurch, daß
er weniger Vorurtheile abzulegen und weniger Ge-
wohnheits-Schwierigkeiten zu uͤberſteigen gehabt, zu
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alles auf dieſem Wege ſo leicht gefunden; daß wir uns
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/641>, abgerufen am 28.11.2024.
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