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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

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über das Reich der Pflanzen.
Wenn man, sag' ich, dieß erwäget,
Wird, mit Recht, von jedermann
Auf den Mund die Hand geleget,
Weil kein Witz begreifen kann,
Wie das Große so verkleinet,
Wie hier Leib und Geist vereinet,
So genau verknüpfet seyn:
Gott der Herr weis es allein!
Willt du Gottes Größe merken,
Und zugleich dein Nichts verstehn,
Mensch, du darfst, von allen Werken,
Nur zum Samenkörnlein gehn.
All' dein Sinnen, alles Denken,
Wird, verschlungen, sich versenken,
Sonder Grund und Wiederkehr,
Wie ein Tropfen in ein Meer.
Nicht nur unsre Augen sehen
Sich fast auf die Samen blind,
Der Verstand muß selbst gestehen,
Daß sie ihm unsichtbar sind.
Solcher großen Körpertheile
Unbegreiflich zarte Seile
Finden in der Kleinheit sich
Nie verwirrt, stets ordentlich.
Wenn ich der erhab'nen Eiche
Dicke, Breite, Größ' und Höh'
Mit der Eichelfrucht vergleiche,
Und sie bey einander seh':
Stutzt mein Geist, weil ich nicht finde,
Wie Stamm, Blätter, Wurzel, Rinde,
Wie so viel und mancherley
Drinn formirt gewesen sey.
Daß
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uͤber das Reich der Pflanzen.
Wenn man, ſag’ ich, dieß erwaͤget,
Wird, mit Recht, von jedermann
Auf den Mund die Hand geleget,
Weil kein Witz begreifen kann,
Wie das Große ſo verkleinet,
Wie hier Leib und Geiſt vereinet,
So genau verknuͤpfet ſeyn:
Gott der Herr weis es allein!
Willt du Gottes Groͤße merken,
Und zugleich dein Nichts verſtehn,
Menſch, du darfſt, von allen Werken,
Nur zum Samenkoͤrnlein gehn.
All’ dein Sinnen, alles Denken,
Wird, verſchlungen, ſich verſenken,
Sonder Grund und Wiederkehr,
Wie ein Tropfen in ein Meer.
Nicht nur unſre Augen ſehen
Sich faſt auf die Samen blind,
Der Verſtand muß ſelbſt geſtehen,
Daß ſie ihm unſichtbar ſind.
Solcher großen Koͤrpertheile
Unbegreiflich zarte Seile
Finden in der Kleinheit ſich
Nie verwirrt, ſtets ordentlich.
Wenn ich der erhab’nen Eiche
Dicke, Breite, Groͤß’ und Hoͤh’
Mit der Eichelfrucht vergleiche,
Und ſie bey einander ſeh’:
Stutzt mein Geiſt, weil ich nicht finde,
Wie Stamm, Blaͤtter, Wurzel, Rinde,
Wie ſo viel und mancherley
Drinn formirt geweſen ſey.
Daß
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[115/0135] uͤber das Reich der Pflanzen. Wenn man, ſag’ ich, dieß erwaͤget, Wird, mit Recht, von jedermann Auf den Mund die Hand geleget, Weil kein Witz begreifen kann, Wie das Große ſo verkleinet, Wie hier Leib und Geiſt vereinet, So genau verknuͤpfet ſeyn: Gott der Herr weis es allein! Willt du Gottes Groͤße merken, Und zugleich dein Nichts verſtehn, Menſch, du darfſt, von allen Werken, Nur zum Samenkoͤrnlein gehn. All’ dein Sinnen, alles Denken, Wird, verſchlungen, ſich verſenken, Sonder Grund und Wiederkehr, Wie ein Tropfen in ein Meer. Nicht nur unſre Augen ſehen Sich faſt auf die Samen blind, Der Verſtand muß ſelbſt geſtehen, Daß ſie ihm unſichtbar ſind. Solcher großen Koͤrpertheile Unbegreiflich zarte Seile Finden in der Kleinheit ſich Nie verwirrt, ſtets ordentlich. Wenn ich der erhab’nen Eiche Dicke, Breite, Groͤß’ und Hoͤh’ Mit der Eichelfrucht vergleiche, Und ſie bey einander ſeh’: Stutzt mein Geiſt, weil ich nicht finde, Wie Stamm, Blaͤtter, Wurzel, Rinde, Wie ſo viel und mancherley Drinn formirt geweſen ſey. Daß H 2

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/135>, abgerufen am 15.05.2024.