Was wäre doch die Phantasey, wenn sie zugleich nicht überlegte, Und durch die Wirkung des Verstandes der Vorwürf' Unterscheid erwägte? Sie wär ein bloßer todter Spiegel, und ohne sich zu- gleich dabey Jm Denken etwas vorzustellen. Einfolglich, sonder Phantasey Wär der Verstand auch anders nichts, als eine Hand- lung sonder Schranken: Ohn Absicht, sonder Zweck und Vorwurf, sich bloß be- wegende Gedanken, Jn einer stetigen Verwirrung ununterschieden. Zu ge- schweigen, Daß, bey verwirrter Phantasey, sich auch verwirrte Schlüsse zeigen Und falsche Sätze folgen würden. So wird auch kein Gedächtniß können, Von einer Kraft, was vorzustellen, sich jemals scheiden oder trennen.
Es scheint demnach in unsrer Seele, wenn wir diesel- be recht ergründen, Als ob in ihren dreyen Kräften fast ein gedrittes Eins zu finden, Und daß sie fast mit einer Schnur, die dreyfach, zu ver- gleichen sey. Doch spüren wir dennoch vornehmlich, daß alle drey nicht einerley, Und daß man eine von der andern verschiedlich nehmen könn' und müsse; Es sind in der Religion so gar erweislich diese Schlüsse.
Der
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zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.
Was waͤre doch die Phantaſey, wenn ſie zugleich nicht uͤberlegte, Und durch die Wirkung des Verſtandes der Vorwuͤrf’ Unterſcheid erwaͤgte? Sie waͤr ein bloßer todter Spiegel, und ohne ſich zu- gleich dabey Jm Denken etwas vorzuſtellen. Einfolglich, ſonder Phantaſey Waͤr der Verſtand auch anders nichts, als eine Hand- lung ſonder Schranken: Ohn Abſicht, ſonder Zweck und Vorwurf, ſich bloß be- wegende Gedanken, Jn einer ſtetigen Verwirrung ununterſchieden. Zu ge- ſchweigen, Daß, bey verwirrter Phantaſey, ſich auch verwirrte Schluͤſſe zeigen Und falſche Saͤtze folgen wuͤrden. So wird auch kein Gedaͤchtniß koͤnnen, Von einer Kraft, was vorzuſtellen, ſich jemals ſcheiden oder trennen.
Es ſcheint demnach in unſrer Seele, wenn wir dieſel- be recht ergruͤnden, Als ob in ihren dreyen Kraͤften faſt ein gedrittes Eins zu finden, Und daß ſie faſt mit einer Schnur, die dreyfach, zu ver- gleichen ſey. Doch ſpuͤren wir dennoch vornehmlich, daß alle drey nicht einerley, Und daß man eine von der andern verſchiedlich nehmen koͤnn’ und muͤſſe; Es ſind in der Religion ſo gar erweislich dieſe Schluͤſſe.
Der
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zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.
Was waͤre doch die Phantaſey, wenn ſie zugleich nicht
uͤberlegte,
Und durch die Wirkung des Verſtandes der Vorwuͤrf’
Unterſcheid erwaͤgte?
Sie waͤr ein bloßer todter Spiegel, und ohne ſich zu-
gleich dabey
Jm Denken etwas vorzuſtellen. Einfolglich, ſonder
Phantaſey
Waͤr der Verſtand auch anders nichts, als eine Hand-
lung ſonder Schranken:
Ohn Abſicht, ſonder Zweck und Vorwurf, ſich bloß be-
wegende Gedanken,
Jn einer ſtetigen Verwirrung ununterſchieden. Zu ge-
ſchweigen,
Daß, bey verwirrter Phantaſey, ſich auch verwirrte
Schluͤſſe zeigen
Und falſche Saͤtze folgen wuͤrden. So wird auch kein
Gedaͤchtniß koͤnnen,
Von einer Kraft, was vorzuſtellen, ſich jemals ſcheiden
oder trennen.
Es ſcheint demnach in unſrer Seele, wenn wir dieſel-
be recht ergruͤnden,
Als ob in ihren dreyen Kraͤften faſt ein gedrittes Eins zu
finden,
Und daß ſie faſt mit einer Schnur, die dreyfach, zu ver-
gleichen ſey.
Doch ſpuͤren wir dennoch vornehmlich, daß alle drey
nicht einerley,
Und daß man eine von der andern verſchiedlich nehmen
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Es ſind in der Religion ſo gar erweislich dieſe Schluͤſſe.
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/487>, abgerufen am 22.11.2024.
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