Die reine Wahrheit zu gestehen, halt ich, bey dir für meine Pflicht. Es ist der Anfang meiner Lieder und auch der Schluß: Jch weis es nicht. Es träumet meiner eingeschränkten und wankenden Phi- losophie Von einem gründlichen Begreifen, und einem strengen Wissen, nie, Jhr Grundstein ist: daß wir allhie zum Wissen nicht, nur bloß zum Meynen, Worinn doch oft die Wahrheit steckt, geformet und be- schieden scheinen. Jch habe meiner Seelen Kräfte nach allen Kräften un- tersucht, Was ich dir hier entdecken will, war meiner Untersu- chung Frucht: Dieß fand ich, daß, wenn meine Seele der Sinnen Werkzeug und die Welt Zu Lehrerinnen nicht empfangen, sie von sich selbst das dummste Wesen Gewesen und geblieben wäre. Nichts hätte sich ihr vor- gestellt, Sie hätte keine Lehren hören, sie hätte keine Schriften lesen, Nicht Licht, nicht Farben sehen können. Woher denn hätten doch Jdeen, Woher Gedanken, Ueberlegen, woher doch Schlüss' in ihr entstehen, Sie zur Vernunft gelangen können? Dieß ist der Grund, warum ich meyn': Es müssen Sinnen, Welt und Seelen, zum Licht der Wahrheit zu gelangen,
Nicht
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zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.
Die reine Wahrheit zu geſtehen, halt ich, bey dir fuͤr meine Pflicht. Es iſt der Anfang meiner Lieder und auch der Schluß: Jch weis es nicht. Es traͤumet meiner eingeſchraͤnkten und wankenden Phi- loſophie Von einem gruͤndlichen Begreifen, und einem ſtrengen Wiſſen, nie, Jhr Grundſtein iſt: daß wir allhie zum Wiſſen nicht, nur bloß zum Meynen, Worinn doch oft die Wahrheit ſteckt, geformet und be- ſchieden ſcheinen. Jch habe meiner Seelen Kraͤfte nach allen Kraͤften un- terſucht, Was ich dir hier entdecken will, war meiner Unterſu- chung Frucht: Dieß fand ich, daß, wenn meine Seele der Sinnen Werkzeug und die Welt Zu Lehrerinnen nicht empfangen, ſie von ſich ſelbſt das dummſte Weſen Geweſen und geblieben waͤre. Nichts haͤtte ſich ihr vor- geſtellt, Sie haͤtte keine Lehren hoͤren, ſie haͤtte keine Schriften leſen, Nicht Licht, nicht Farben ſehen koͤnnen. Woher denn haͤtten doch Jdeen, Woher Gedanken, Ueberlegen, woher doch Schluͤſſ’ in ihr entſtehen, Sie zur Vernunft gelangen koͤnnen? Dieß iſt der Grund, warum ich meyn’: Es muͤſſen Sinnen, Welt und Seelen, zum Licht der Wahrheit zu gelangen,
Nicht
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zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.
Die reine Wahrheit zu geſtehen, halt ich, bey dir fuͤr
meine Pflicht.
Es iſt der Anfang meiner Lieder und auch der Schluß:
Jch weis es nicht.
Es traͤumet meiner eingeſchraͤnkten und wankenden Phi-
loſophie
Von einem gruͤndlichen Begreifen, und einem ſtrengen
Wiſſen, nie,
Jhr Grundſtein iſt: daß wir allhie zum Wiſſen nicht,
nur bloß zum Meynen,
Worinn doch oft die Wahrheit ſteckt, geformet und be-
ſchieden ſcheinen.
Jch habe meiner Seelen Kraͤfte nach allen Kraͤften un-
terſucht,
Was ich dir hier entdecken will, war meiner Unterſu-
chung Frucht:
Dieß fand ich, daß, wenn meine Seele der Sinnen
Werkzeug und die Welt
Zu Lehrerinnen nicht empfangen, ſie von ſich ſelbſt das
dummſte Weſen
Geweſen und geblieben waͤre. Nichts haͤtte ſich ihr vor-
geſtellt,
Sie haͤtte keine Lehren hoͤren, ſie haͤtte keine Schriften
leſen,
Nicht Licht, nicht Farben ſehen koͤnnen. Woher denn
haͤtten doch Jdeen,
Woher Gedanken, Ueberlegen, woher doch Schluͤſſ’ in ihr
entſtehen,
Sie zur Vernunft gelangen koͤnnen? Dieß iſt der Grund,
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Es muͤſſen Sinnen, Welt und Seelen, zum Licht der
Wahrheit zu gelangen,
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/519>, abgerufen am 22.11.2024.
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