Die Meynung hat, als Königinn, sich auf den Thron der Welt geschwungen, Sie herrschet und tyrannisiret. Doch wird ihr Wesen nicht erkannt. Sie wird vermuthlich auch so leicht von ihrem Sitze nicht verdrungen, Seitdem sie meynt, und wir mit ihr: sie heiße und sie sey Verstand.
Erwägte man doch diesen Lehrsatz mit mehr Bedacht- samkeit und Fleiß! Ein Wesen, welches auf einmal so viel und auch so we- nig weis, Dem scheint sein wesentlicher Zustand nichts, als nur die- ses, zu erlauben: Jm Sinn- und Leiblichen zu meynen, im Gött- und Geist- lichen zu glauben.
Erwägt, wie nah sich Lust und Leid, wie wenig sie sich unterscheiden Jm Ausdruck unsrer Leidenschaft: Man seufzt für Lust, man weint für Freuden.
Was
Lehrreiche Sinnſpruͤche.
Die Meynung.
Die Meynung hat, als Koͤniginn, ſich auf den Thron der Welt geſchwungen, Sie herrſchet und tyranniſiret. Doch wird ihr Weſen nicht erkannt. Sie wird vermuthlich auch ſo leicht von ihrem Sitze nicht verdrungen, Seitdem ſie meynt, und wir mit ihr: ſie heiße und ſie ſey Verſtand.
Erwaͤgte man doch dieſen Lehrſatz mit mehr Bedacht- ſamkeit und Fleiß! Ein Weſen, welches auf einmal ſo viel und auch ſo we- nig weis, Dem ſcheint ſein weſentlicher Zuſtand nichts, als nur die- ſes, zu erlauben: Jm Sinn- und Leiblichen zu meynen, im Goͤtt- und Geiſt- lichen zu glauben.
Erwaͤgt, wie nah ſich Luſt und Leid, wie wenig ſie ſich unterſcheiden Jm Ausdruck unſrer Leidenſchaft: Man ſeufzt fuͤr Luſt, man weint fuͤr Freuden.
Was
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Lehrreiche Sinnſpruͤche.
Die Meynung.
Die Meynung hat, als Koͤniginn, ſich auf den
Thron der Welt geſchwungen,
Sie herrſchet und tyranniſiret. Doch wird
ihr Weſen nicht erkannt.
Sie wird vermuthlich auch ſo leicht von ihrem Sitze
nicht verdrungen,
Seitdem ſie meynt, und wir mit ihr: ſie heiße und ſie
ſey Verſtand.
Erwaͤgte man doch dieſen Lehrſatz mit mehr Bedacht-
ſamkeit und Fleiß!
Ein Weſen, welches auf einmal ſo viel und auch ſo we-
nig weis,
Dem ſcheint ſein weſentlicher Zuſtand nichts, als nur die-
ſes, zu erlauben:
Jm Sinn- und Leiblichen zu meynen, im Goͤtt- und Geiſt-
lichen zu glauben.
Erwaͤgt, wie nah ſich Luſt und Leid, wie wenig ſie
ſich unterſcheiden
Jm Ausdruck unſrer Leidenſchaft: Man ſeufzt fuͤr Luſt,
man weint fuͤr Freuden.
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/545>, abgerufen am 22.11.2024.
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