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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

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Vermischte Gedichte


Ein Laster ist, wenn man noch nicht soll sterben, den-
noch sterben wollen.
Ein Laster ist es ebenfalls, nicht sterben wollen, wenn
wir sollen.


Nach der Beschaffenheit der Neigung und aller Kör-
per auf der Welt,
Jst nicht das, welches schön ist, schön: nur das ist
schön, was uns gefällt.


Es giebet von der Wahrheit Wesen mir dieß die deut-
lichst' Offenbarung,
Und den verständlichsten Begriff: die Wahrheit ist nichts,
als Erfahrung.


Jst nicht der Mensch fast lächerlich, der Menschen zu
verbessern trachtet,
Da keiner weder an den Thomson noch an die Pamela
sich kehrt?
Wofern man diese nicht gebrauchet, und sich, aus ih-
nen, nicht belehrt;
Wird, in der Pamela, die Tugend, im Thomson, die
Natur verachtet.


Bey einem Narren, der belesen, darf man auf keine
Bessrung harren:
Es sind die Narren, die gelehrt, die närrischten von al-
len Narren.
Es
Vermiſchte Gedichte


Ein Laſter iſt, wenn man noch nicht ſoll ſterben, den-
noch ſterben wollen.
Ein Laſter iſt es ebenfalls, nicht ſterben wollen, wenn
wir ſollen.


Nach der Beſchaffenheit der Neigung und aller Koͤr-
per auf der Welt,
Jſt nicht das, welches ſchoͤn iſt, ſchoͤn: nur das iſt
ſchoͤn, was uns gefaͤllt.


Es giebet von der Wahrheit Weſen mir dieß die deut-
lichſt’ Offenbarung,
Und den verſtaͤndlichſten Begriff: die Wahrheit iſt nichts,
als Erfahrung.


Jſt nicht der Menſch faſt laͤcherlich, der Menſchen zu
verbeſſern trachtet,
Da keiner weder an den Thomſon noch an die Pamela
ſich kehrt?
Wofern man dieſe nicht gebrauchet, und ſich, aus ih-
nen, nicht belehrt;
Wird, in der Pamela, die Tugend, im Thomſon, die
Natur verachtet.


Bey einem Narren, der beleſen, darf man auf keine
Beſſrung harren:
Es ſind die Narren, die gelehrt, die naͤrriſchten von al-
len Narren.
Es
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[542/0562] Vermiſchte Gedichte Ein Laſter iſt, wenn man noch nicht ſoll ſterben, den- noch ſterben wollen. Ein Laſter iſt es ebenfalls, nicht ſterben wollen, wenn wir ſollen. Nach der Beſchaffenheit der Neigung und aller Koͤr- per auf der Welt, Jſt nicht das, welches ſchoͤn iſt, ſchoͤn: nur das iſt ſchoͤn, was uns gefaͤllt. Es giebet von der Wahrheit Weſen mir dieß die deut- lichſt’ Offenbarung, Und den verſtaͤndlichſten Begriff: die Wahrheit iſt nichts, als Erfahrung. Jſt nicht der Menſch faſt laͤcherlich, der Menſchen zu verbeſſern trachtet, Da keiner weder an den Thomſon noch an die Pamela ſich kehrt? Wofern man dieſe nicht gebrauchet, und ſich, aus ih- nen, nicht belehrt; Wird, in der Pamela, die Tugend, im Thomſon, die Natur verachtet. Bey einem Narren, der beleſen, darf man auf keine Beſſrung harren: Es ſind die Narren, die gelehrt, die naͤrriſchten von al- len Narren. Es

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/562>, abgerufen am 22.11.2024.