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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

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Anleitung

Bald wird man hier, bald dort geneckt und fortgestoßen,
ausgetrieben.

Doch was mich am meisten wundert: da wir den mor-
schen Körper lieben,

Was würde dann von uns geschehn, wenn er, von Pein
und Krankheit frey,

Jn unverrückter Dauer stünde. Man treibet uns fast
für und für

Aus unsrer Wohnung mit Gewalt, dem ungeachtet hangen
wir

Dem, der uns von sich treibet, an. Was würden wir
nicht dann erst thun,

Wenn wir uns wohl in ihm befänden, auf Rosenbetten
in ihm ruhn,

Uns stets in ihm vergnügen könnten? wie wär uns unsre
Sterblichkeit

Sodann mit größrem Rechte leid!
Wie würd' alsdann die Menschheit allen
So widrig seyn, so sehr misfallen!
Jtzt schwinden stündlich unsre Kräfte, der Leib wird welk.
Doch unser Sinn,

Von eitler Thorheit aufgebläht, hängt immer nach dem
Körper hin,

Und will das willig nicht verlassen, was ihn doch unge-
fragt verläßt.

Kann man was Thörichters verrichten? Besinne dich, wo
noch ein Rest

Von Klugheit sich bey dir befindet. Laß ohne Gram den
von dir fahren,

Dem du die Flucht nicht wehren k[verlorenes Material - Zeichen fehlt]st, und der nicht
bleiben will, a[verlorenes Material - Zeichen fehlt]em

Du einen groben Wirth ja findest, da auch die Herberg'
unbequem,

Und

Anleitung

Bald wird man hier, bald dort geneckt und fortgeſtoßen,
ausgetrieben.

Doch was mich am meiſten wundert: da wir den mor-
ſchen Koͤrper lieben,

Was wuͤrde dann von uns geſchehn, wenn er, von Pein
und Krankheit frey,

Jn unverruͤckter Dauer ſtuͤnde. Man treibet uns faſt
fuͤr und fuͤr

Aus unſrer Wohnung mit Gewalt, dem ungeachtet hangen
wir

Dem, der uns von ſich treibet, an. Was wuͤrden wir
nicht dann erſt thun,

Wenn wir uns wohl in ihm befaͤnden, auf Roſenbetten
in ihm ruhn,

Uns ſtets in ihm vergnuͤgen koͤnnten? wie waͤr uns unſre
Sterblichkeit

Sodann mit groͤßrem Rechte leid!
Wie wuͤrd’ alsdann die Menſchheit allen
So widrig ſeyn, ſo ſehr misfallen!
Jtzt ſchwinden ſtuͤndlich unſre Kraͤfte, der Leib wird welk.
Doch unſer Sinn,

Von eitler Thorheit aufgeblaͤht, haͤngt immer nach dem
Koͤrper hin,

Und will das willig nicht verlaſſen, was ihn doch unge-
fragt verlaͤßt.

Kann man was Thoͤrichters verrichten? Beſinne dich, wo
noch ein Reſt

Von Klugheit ſich bey dir befindet. Laß ohne Gram den
von dir fahren,

Dem du die Flucht nicht wehren k[verlorenes Material – Zeichen fehlt]ſt, und der nicht
bleiben will, a[verlorenes Material – Zeichen fehlt]em

Du einen groben Wirth ja findeſt, da auch die Herberg’
unbequem,

Und
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[600/0620] Anleitung Bald wird man hier, bald dort geneckt und fortgeſtoßen, ausgetrieben. Doch was mich am meiſten wundert: da wir den mor- ſchen Koͤrper lieben, Was wuͤrde dann von uns geſchehn, wenn er, von Pein und Krankheit frey, Jn unverruͤckter Dauer ſtuͤnde. Man treibet uns faſt fuͤr und fuͤr Aus unſrer Wohnung mit Gewalt, dem ungeachtet hangen wir Dem, der uns von ſich treibet, an. Was wuͤrden wir nicht dann erſt thun, Wenn wir uns wohl in ihm befaͤnden, auf Roſenbetten in ihm ruhn, Uns ſtets in ihm vergnuͤgen koͤnnten? wie waͤr uns unſre Sterblichkeit Sodann mit groͤßrem Rechte leid! Wie wuͤrd’ alsdann die Menſchheit allen So widrig ſeyn, ſo ſehr misfallen! Jtzt ſchwinden ſtuͤndlich unſre Kraͤfte, der Leib wird welk. Doch unſer Sinn, Von eitler Thorheit aufgeblaͤht, haͤngt immer nach dem Koͤrper hin, Und will das willig nicht verlaſſen, was ihn doch unge- fragt verlaͤßt. Kann man was Thoͤrichters verrichten? Beſinne dich, wo noch ein Reſt Von Klugheit ſich bey dir befindet. Laß ohne Gram den von dir fahren, Dem du die Flucht nicht wehren k_ ſt, und der nicht bleiben will, a_ em Du einen groben Wirth ja findeſt, da auch die Herberg’ unbequem, Und

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/620>, abgerufen am 22.11.2024.