Während meines Aufenthalts in Moskau wur-Des Czars Geburt und Vermäh- lung. den mir folgende besondere Umstände von dem Czar erzählt. Er war 1672 gebohren, und 1690 im 18 Jahre seines Alters an Ottokeßa, eines Bojaren Tochter, verheirathet worden, mit welcher er den Prinzen Alexis gezeuget hatte. Einige Zeit hernach verstieß er sie, und that sie in ein Kloster, weil er sie in Verdacht hatte, als ob sie ihm untreu sey. Man sagt, daß sie dem Fürsten Menzikof einsmals aus Ei- fersucht aufgetragen, zwey Huren zum Czar zu füh- ren, die er vorher gekannt und welchen er Kuchen ab- gekauft hatte, und ihm also dadurch sein voriges Verhalten vorgeworfen hätte, und daß Menzikof her- nach einen unversöhnlichen Haß gegen sie und gegen ihren Sohn gehabt habe. Nach dieser Trennung stand eine gewisse Jungfer Mons, ein sehr schönes Frauenzimmer, die in Moskau von fremden Aeltern gebohren war, bey dem Czar in großen Gnaden; als er aber auf Reisen war, machte sich Herr Keyserling, damaliger Gesandter des Königs von Preußen in Moskau, an sie, und heirathete sie. Als der Czar zurück kam, war er über den Keyserling so aufge- bracht, daß er ihm sich von Moskau zu entfernen be- fahl, worauf er denn sogleich von dem Könige seinem Herrn zurück berufen wurde, der einen andern an sei- ne Stelle schickte. Man glaubt, daß er, wenn ihn sein Charakter nicht geschützt hätte, seiner Majestät Mißfallen nachdrücklich gefühlt haben würde.
Der Czar verliebte sich kurz darauf in ein anderesEin tugend- haftes jun- ges Frauen- zimmer. schönes junges Frauenzimmer, die Tochter eines frem- den Kaufmanns in dieser Stadt. Er sahe sie zum ersten Mahle in ihres Vaters Hause, wo er einsmals zu
Mittage
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Waͤhrend meines Aufenthalts in Moskau wur-Des Czars Geburt und Vermaͤh- lung. den mir folgende beſondere Umſtaͤnde von dem Czar erzaͤhlt. Er war 1672 gebohren, und 1690 im 18 Jahre ſeines Alters an Ottokeßa, eines Bojaren Tochter, verheirathet worden, mit welcher er den Prinzen Alexis gezeuget hatte. Einige Zeit hernach verſtieß er ſie, und that ſie in ein Kloſter, weil er ſie in Verdacht hatte, als ob ſie ihm untreu ſey. Man ſagt, daß ſie dem Fuͤrſten Menzikof einsmals aus Ei- ferſucht aufgetragen, zwey Huren zum Czar zu fuͤh- ren, die er vorher gekannt und welchen er Kuchen ab- gekauft hatte, und ihm alſo dadurch ſein voriges Verhalten vorgeworfen haͤtte, und daß Menzikof her- nach einen unverſoͤhnlichen Haß gegen ſie und gegen ihren Sohn gehabt habe. Nach dieſer Trennung ſtand eine gewiſſe Jungfer Mons, ein ſehr ſchoͤnes Frauenzimmer, die in Moskau von fremden Aeltern gebohren war, bey dem Czar in großen Gnaden; als er aber auf Reiſen war, machte ſich Herr Keyſerling, damaliger Geſandter des Koͤnigs von Preußen in Moskau, an ſie, und heirathete ſie. Als der Czar zuruͤck kam, war er uͤber den Keyſerling ſo aufge- bracht, daß er ihm ſich von Moskau zu entfernen be- fahl, worauf er denn ſogleich von dem Koͤnige ſeinem Herrn zuruͤck berufen wurde, der einen andern an ſei- ne Stelle ſchickte. Man glaubt, daß er, wenn ihn ſein Charakter nicht geſchuͤtzt haͤtte, ſeiner Majeſtaͤt Mißfallen nachdruͤcklich gefuͤhlt haben wuͤrde.
Der Czar verliebte ſich kurz darauf in ein anderesEin tugend- haftes jun- ges Frauen- zimmer. ſchoͤnes junges Frauenzimmer, die Tochter eines frem- den Kaufmanns in dieſer Stadt. Er ſahe ſie zum erſten Mahle in ihres Vaters Hauſe, wo er einsmals zu
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Waͤhrend meines Aufenthalts in Moskau wur-
den mir folgende beſondere Umſtaͤnde von dem Czar
erzaͤhlt. Er war 1672 gebohren, und 1690 im
18 Jahre ſeines Alters an Ottokeßa, eines Bojaren
Tochter, verheirathet worden, mit welcher er den
Prinzen Alexis gezeuget hatte. Einige Zeit hernach
verſtieß er ſie, und that ſie in ein Kloſter, weil er ſie
in Verdacht hatte, als ob ſie ihm untreu ſey. Man
ſagt, daß ſie dem Fuͤrſten Menzikof einsmals aus Ei-
ferſucht aufgetragen, zwey Huren zum Czar zu fuͤh-
ren, die er vorher gekannt und welchen er Kuchen ab-
gekauft hatte, und ihm alſo dadurch ſein voriges
Verhalten vorgeworfen haͤtte, und daß Menzikof her-
nach einen unverſoͤhnlichen Haß gegen ſie und gegen
ihren Sohn gehabt habe. Nach dieſer Trennung
ſtand eine gewiſſe Jungfer Mons, ein ſehr ſchoͤnes
Frauenzimmer, die in Moskau von fremden Aeltern
gebohren war, bey dem Czar in großen Gnaden; als
er aber auf Reiſen war, machte ſich Herr Keyſerling,
damaliger Geſandter des Koͤnigs von Preußen in
Moskau, an ſie, und heirathete ſie. Als der Czar
zuruͤck kam, war er uͤber den Keyſerling ſo aufge-
bracht, daß er ihm ſich von Moskau zu entfernen be-
fahl, worauf er denn ſogleich von dem Koͤnige ſeinem
Herrn zuruͤck berufen wurde, der einen andern an ſei-
ne Stelle ſchickte. Man glaubt, daß er, wenn ihn
ſein Charakter nicht geſchuͤtzt haͤtte, ſeiner Majeſtaͤt
Mißfallen nachdruͤcklich gefuͤhlt haben wuͤrde.
Des Czars
Geburt und
Vermaͤh-
lung.
Der Czar verliebte ſich kurz darauf in ein anderes
ſchoͤnes junges Frauenzimmer, die Tochter eines frem-
den Kaufmanns in dieſer Stadt. Er ſahe ſie zum
erſten Mahle in ihres Vaters Hauſe, wo er einsmals zu
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Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/115>, abgerufen am 24.11.2024.
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