Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

Nach der Predigt wandte er sich an seine Zuhörer,
und ersuchte sie, ihn nach Astrakan mitzunehmen.
Ob nun gleich damals viele Feldofficiers von seiner
Religion zugegen waren, so war doch keiner so höflich,
ihm dieses Anerbieten zu thun, worüber er sehr be-
stürzt zu seyn schien. Jch gieng daher zu ihm, und
sagte, wenn er die Reisegesellschaft eines Ketzers an-
nehmen wollte, so solle er mir in meiner Cajüte will-
kommen seyn, welches er mit vielem Danke annahm.
Jch muß auch gestehen, daß ich niemals mit einem
angenehmern Gesellschafter gereiset bin, der mir bey
aller Gelegenheit die größte Dankbarkeit bewiesen hat.
Als wir in Astrakan ankamen, erhielt er die Stelle ei-
nes andern Mönches, der unlängst gestorben war,
und blieb also daselbst, welches in Ansehung des üb-
len Zustandes, in dem sich Persien damals befand,
ein glücklicher Umstand für ihn war.

Unsere Flotte fuhr den 10ten Junii, unter Com-
mando des Admirals Apraxin, ab. Wir fanden ei-
ne Menge Spargel, der wild an den Ufern des Flus-
ses wuchs, welches von dem Austreten seines Wassers
herrührte, das im Frühlinge, wenn der Schnee
schmilzt, geschieht. Wir kamen den 11ten nach
Basiligorod, auf der rechten Seite der Wolga, die
der Tyrann gleiches Namens als eine Grenzfestung
wider die Einfälle der Czeremissen erbauet hat. Seit-
dem aber die Russen ihre Eroberungen auf dieser Sei-
te bis an das Caspische Meer über die Tartarn ausge-
breitet haben, ist dieser Ort sehr aus der Acht gelas-
sen worden, und gelicht jetzt bloß einem Dorfe.

Czeremissi-
sche Tar-
tarn.

Die Czeremissischen Tartarn bewohnen beyde
Seiten der Wolga von hier bis nach Cafan. Sie

sind

Nach der Predigt wandte er ſich an ſeine Zuhoͤrer,
und erſuchte ſie, ihn nach Aſtrakan mitzunehmen.
Ob nun gleich damals viele Feldofficiers von ſeiner
Religion zugegen waren, ſo war doch keiner ſo hoͤflich,
ihm dieſes Anerbieten zu thun, woruͤber er ſehr be-
ſtuͤrzt zu ſeyn ſchien. Jch gieng daher zu ihm, und
ſagte, wenn er die Reiſegeſellſchaft eines Ketzers an-
nehmen wollte, ſo ſolle er mir in meiner Cajuͤte will-
kommen ſeyn, welches er mit vielem Danke annahm.
Jch muß auch geſtehen, daß ich niemals mit einem
angenehmern Geſellſchafter gereiſet bin, der mir bey
aller Gelegenheit die groͤßte Dankbarkeit bewieſen hat.
Als wir in Aſtrakan ankamen, erhielt er die Stelle ei-
nes andern Moͤnches, der unlaͤngſt geſtorben war,
und blieb alſo daſelbſt, welches in Anſehung des uͤb-
len Zuſtandes, in dem ſich Perſien damals befand,
ein gluͤcklicher Umſtand fuͤr ihn war.

Unſere Flotte fuhr den 10ten Junii, unter Com-
mando des Admirals Apraxin, ab. Wir fanden ei-
ne Menge Spargel, der wild an den Ufern des Fluſ-
ſes wuchs, welches von dem Austreten ſeines Waſſers
herruͤhrte, das im Fruͤhlinge, wenn der Schnee
ſchmilzt, geſchieht. Wir kamen den 11ten nach
Baſiligorod, auf der rechten Seite der Wolga, die
der Tyrann gleiches Namens als eine Grenzfeſtung
wider die Einfaͤlle der Czeremiſſen erbauet hat. Seit-
dem aber die Ruſſen ihre Eroberungen auf dieſer Sei-
te bis an das Caspiſche Meer uͤber die Tartarn ausge-
breitet haben, iſt dieſer Ort ſehr aus der Acht gelaſ-
ſen worden, und gelicht jetzt bloß einem Dorfe.

Czeremiſſi-
ſche Tar-
tarn.

Die Czeremiſſiſchen Tartarn bewohnen beyde
Seiten der Wolga von hier bis nach Cafan. Sie

ſind
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0282" n="272"/>
Nach der Predigt wandte er &#x017F;ich an &#x017F;eine Zuho&#x0364;rer,<lb/>
und er&#x017F;uchte &#x017F;ie, ihn nach A&#x017F;trakan mitzunehmen.<lb/>
Ob nun gleich damals viele Feldofficiers von &#x017F;einer<lb/>
Religion zugegen waren, &#x017F;o war doch keiner &#x017F;o ho&#x0364;flich,<lb/>
ihm die&#x017F;es Anerbieten zu thun, woru&#x0364;ber er &#x017F;ehr be-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rzt zu &#x017F;eyn &#x017F;chien. Jch gieng daher zu ihm, und<lb/>
&#x017F;agte, wenn er die Rei&#x017F;ege&#x017F;ell&#x017F;chaft eines Ketzers an-<lb/>
nehmen wollte, &#x017F;o &#x017F;olle er mir in meiner Caju&#x0364;te will-<lb/>
kommen &#x017F;eyn, welches er mit vielem Danke annahm.<lb/>
Jch muß auch ge&#x017F;tehen, daß ich niemals mit einem<lb/>
angenehmern Ge&#x017F;ell&#x017F;chafter gerei&#x017F;et bin, der mir bey<lb/>
aller Gelegenheit die gro&#x0364;ßte Dankbarkeit bewie&#x017F;en hat.<lb/>
Als wir in A&#x017F;trakan ankamen, erhielt er die Stelle ei-<lb/>
nes andern Mo&#x0364;nches, der unla&#x0364;ng&#x017F;t ge&#x017F;torben war,<lb/>
und blieb al&#x017F;o da&#x017F;elb&#x017F;t, welches in An&#x017F;ehung des u&#x0364;b-<lb/>
len Zu&#x017F;tandes, in dem &#x017F;ich Per&#x017F;ien damals befand,<lb/>
ein glu&#x0364;cklicher Um&#x017F;tand fu&#x0364;r ihn war.</p><lb/>
        <p>Un&#x017F;ere Flotte fuhr den 10ten Junii, unter Com-<lb/>
mando des Admirals Apraxin, ab. Wir fanden ei-<lb/>
ne Menge Spargel, der wild an den Ufern des Flu&#x017F;-<lb/>
&#x017F;es wuchs, welches von dem Austreten &#x017F;eines Wa&#x017F;&#x017F;ers<lb/>
herru&#x0364;hrte, das im Fru&#x0364;hlinge, wenn der Schnee<lb/>
&#x017F;chmilzt, ge&#x017F;chieht. Wir kamen den 11ten nach<lb/>
Ba&#x017F;iligorod, auf der rechten Seite der Wolga, die<lb/>
der Tyrann gleiches Namens als eine Grenzfe&#x017F;tung<lb/>
wider die Einfa&#x0364;lle der Czeremi&#x017F;&#x017F;en erbauet hat. Seit-<lb/>
dem aber die Ru&#x017F;&#x017F;en ihre Eroberungen auf die&#x017F;er Sei-<lb/>
te bis an das Caspi&#x017F;che Meer u&#x0364;ber die Tartarn ausge-<lb/>
breitet haben, i&#x017F;t die&#x017F;er Ort &#x017F;ehr aus der Acht gela&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en worden, und gelicht jetzt bloß einem Dorfe.</p><lb/>
        <note place="left">Czeremi&#x017F;&#x017F;i-<lb/>
&#x017F;che Tar-<lb/>
tarn.</note>
        <p>Die <hi rendition="#fr">Czeremi&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen</hi> Tartarn bewohnen beyde<lb/>
Seiten der Wolga von hier bis nach Cafan. Sie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ind</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0282] Nach der Predigt wandte er ſich an ſeine Zuhoͤrer, und erſuchte ſie, ihn nach Aſtrakan mitzunehmen. Ob nun gleich damals viele Feldofficiers von ſeiner Religion zugegen waren, ſo war doch keiner ſo hoͤflich, ihm dieſes Anerbieten zu thun, woruͤber er ſehr be- ſtuͤrzt zu ſeyn ſchien. Jch gieng daher zu ihm, und ſagte, wenn er die Reiſegeſellſchaft eines Ketzers an- nehmen wollte, ſo ſolle er mir in meiner Cajuͤte will- kommen ſeyn, welches er mit vielem Danke annahm. Jch muß auch geſtehen, daß ich niemals mit einem angenehmern Geſellſchafter gereiſet bin, der mir bey aller Gelegenheit die groͤßte Dankbarkeit bewieſen hat. Als wir in Aſtrakan ankamen, erhielt er die Stelle ei- nes andern Moͤnches, der unlaͤngſt geſtorben war, und blieb alſo daſelbſt, welches in Anſehung des uͤb- len Zuſtandes, in dem ſich Perſien damals befand, ein gluͤcklicher Umſtand fuͤr ihn war. Unſere Flotte fuhr den 10ten Junii, unter Com- mando des Admirals Apraxin, ab. Wir fanden ei- ne Menge Spargel, der wild an den Ufern des Fluſ- ſes wuchs, welches von dem Austreten ſeines Waſſers herruͤhrte, das im Fruͤhlinge, wenn der Schnee ſchmilzt, geſchieht. Wir kamen den 11ten nach Baſiligorod, auf der rechten Seite der Wolga, die der Tyrann gleiches Namens als eine Grenzfeſtung wider die Einfaͤlle der Czeremiſſen erbauet hat. Seit- dem aber die Ruſſen ihre Eroberungen auf dieſer Sei- te bis an das Caspiſche Meer uͤber die Tartarn ausge- breitet haben, iſt dieſer Ort ſehr aus der Acht gelaſ- ſen worden, und gelicht jetzt bloß einem Dorfe. Die Czeremiſſiſchen Tartarn bewohnen beyde Seiten der Wolga von hier bis nach Cafan. Sie ſind

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/282
Zitationshilfe: Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/282>, abgerufen am 21.11.2024.