dass der Geist eines Phidias bei aller seiner Gewaltigkeit allein genügt habe, die bisher unmündige Kunst ohne vorbereitende Hülfe mit einem Schlage zur Selbstständigkeit zu erheben, das würde im Widerspruch mit allen analogen Erschei- nungen auf dem allgemeinen Gebiete der Geschichte stehen. Und zum Glück sind wir auch hier nicht so arm, wie es nach dem Bisherigen scheinen könnte. Eine einzige grosse Entdeckung, die der aeginetischen Giebelstatuen, hat be- reits über viele Fragen Licht verbreitet. Aber auch in der Ge- schichte der Künstler bleiben uns noch einige Glieder übrig, die zur Vermittelung des scheinbaren Sprunges vielfältig bei- tragen. Hätten wir genauere Nachrichten, namentlich über Ageladas und Onatas, so würden wir sie wahrscheinlich eben- falls in diese kurze Uebergangsperiode setzen müssen. In Er- mangelung derselben knüpfen wir unsere Erörterung nur an drei Künstler, die einerseits Zeitgenossen der genannten, an- derseits auch noch des Phidias selbst sind, nemlich Kalamis, Pythagoras, Myron.
Kalamis.
Das Vaterland des Kalamis ist uns nicht bekannt, und seine Werke waren an vielen Orten zerstreut, so dass wir auch daraus über dasselbe nichts mit Sicherheit schliessen können. Da er aber in Athen arbeitete, auch einen Athener, den Praxias, zum Schüler hatte, so ist es wenigstens möglich, dass er dorthin zu setzen ist. -- Für die Bestimmung sei- ner Zeit gewährt uns das Gespann des Hieron, an dem er in der 78sten Ol. mit Onatas zugleich beschäftigt war, einen festen Haltpunkt. Er musste also damals schon einen gewissen Ruf besitzen, und es wäre demnach nicht unmöglich, dass er an den Knabenstatuen, welche die Agrigentiner wegen der Besiegung von Motya nach Olympia weihten1), schon früher, bald nach Ol. 75, gearbeitet hätte, sofern sich nemlich die Vermuthung Meyer's2) beweisen liesse, dass der Sieg über diese von phönikischen Völkern bewohnte Stadt3) mit dem des Gelo über die Karthager zusammenfalle. Ganz vereinzelt dagegen steht eine Angabe, durch welche Kalamis unter My- ron und Phidias herabgerückt wird, während er nach den
1) Paus. V, 25, 2.
2) zu Winckelm. VI, II, S. 122.
3) Thuc. VI, 2.
dass der Geist eines Phidias bei aller seiner Gewaltigkeit allein genügt habe, die bisher unmündige Kunst ohne vorbereitende Hülfe mit einem Schlage zur Selbstständigkeit zu erheben, das würde im Widerspruch mit allen analogen Erschei- nungen auf dem allgemeinen Gebiete der Geschichte stehen. Und zum Glück sind wir auch hier nicht so arm, wie es nach dem Bisherigen scheinen könnte. Eine einzige grosse Entdeckung, die der aeginetischen Giebelstatuen, hat be- reits über viele Fragen Licht verbreitet. Aber auch in der Ge- schichte der Künstler bleiben uns noch einige Glieder übrig, die zur Vermittelung des scheinbaren Sprunges vielfältig bei- tragen. Hätten wir genauere Nachrichten, namentlich über Ageladas und Onatas, so würden wir sie wahrscheinlich eben- falls in diese kurze Uebergangsperiode setzen müssen. In Er- mangelung derselben knüpfen wir unsere Erörterung nur an drei Künstler, die einerseits Zeitgenossen der genannten, an- derseits auch noch des Phidias selbst sind, nemlich Kalamis, Pythagoras, Myron.
Kalamis.
Das Vaterland des Kalamis ist uns nicht bekannt, und seine Werke waren an vielen Orten zerstreut, so dass wir auch daraus über dasselbe nichts mit Sicherheit schliessen können. Da er aber in Athen arbeitete, auch einen Athener, den Praxias, zum Schüler hatte, so ist es wenigstens möglich, dass er dorthin zu setzen ist. — Für die Bestimmung sei- ner Zeit gewährt uns das Gespann des Hieron, an dem er in der 78sten Ol. mit Onatas zugleich beschäftigt war, einen festen Haltpunkt. Er musste also damals schon einen gewissen Ruf besitzen, und es wäre demnach nicht unmöglich, dass er an den Knabenstatuen, welche die Agrigentiner wegen der Besiegung von Motya nach Olympia weihten1), schon früher, bald nach Ol. 75, gearbeitet hätte, sofern sich nemlich die Vermuthung Meyer’s2) beweisen liesse, dass der Sieg über diese von phönikischen Völkern bewohnte Stadt3) mit dem des Gelo über die Karthager zusammenfalle. Ganz vereinzelt dagegen steht eine Angabe, durch welche Kalamis unter My- ron und Phidias herabgerückt wird, während er nach den
1) Paus. V, 25, 2.
2) zu Winckelm. VI, II, S. 122.
3) Thuc. VI, 2.
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dass der Geist eines Phidias bei aller seiner Gewaltigkeit allein
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das würde im Widerspruch mit allen analogen Erschei-
nungen auf dem allgemeinen Gebiete der Geschichte stehen.
Und zum Glück sind wir auch hier nicht so arm, wie es
nach dem Bisherigen scheinen könnte. Eine einzige grosse
Entdeckung, die der aeginetischen Giebelstatuen, hat be-
reits über viele Fragen Licht verbreitet. Aber auch in der Ge-
schichte der Künstler bleiben uns noch einige Glieder übrig,
die zur Vermittelung des scheinbaren Sprunges vielfältig bei-
tragen. Hätten wir genauere Nachrichten, namentlich über
Ageladas und Onatas, so würden wir sie wahrscheinlich eben-
falls in diese kurze Uebergangsperiode setzen müssen. In Er-
mangelung derselben knüpfen wir unsere Erörterung nur an
drei Künstler, die einerseits Zeitgenossen der genannten, an-
derseits auch noch des Phidias selbst sind, nemlich Kalamis,
Pythagoras, Myron.
Kalamis.
Das Vaterland des Kalamis ist uns nicht bekannt, und
seine Werke waren an vielen Orten zerstreut, so dass wir
auch daraus über dasselbe nichts mit Sicherheit schliessen
können. Da er aber in Athen arbeitete, auch einen Athener,
den Praxias, zum Schüler hatte, so ist es wenigstens möglich,
dass er dorthin zu setzen ist. — Für die Bestimmung sei-
ner Zeit gewährt uns das Gespann des Hieron, an dem er
in der 78sten Ol. mit Onatas zugleich beschäftigt war, einen
festen Haltpunkt. Er musste also damals schon einen gewissen
Ruf besitzen, und es wäre demnach nicht unmöglich, dass er
an den Knabenstatuen, welche die Agrigentiner wegen der
Besiegung von Motya nach Olympia weihten 1), schon früher,
bald nach Ol. 75, gearbeitet hätte, sofern sich nemlich die
Vermuthung Meyer’s 2) beweisen liesse, dass der Sieg über
diese von phönikischen Völkern bewohnte Stadt 3) mit dem
des Gelo über die Karthager zusammenfalle. Ganz vereinzelt
dagegen steht eine Angabe, durch welche Kalamis unter My-
ron und Phidias herabgerückt wird, während er nach den
1) Paus. V, 25, 2.
2) zu Winckelm. VI, II, S. 122.
3) Thuc. VI, 2.
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/138>, abgerufen am 21.11.2024.
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