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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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als freie Poesie erfasst wird; aber wie in der Dicht- und Ton-
kunst durch Wort und Ton, so spricht sich diese Idee in der
bildenden Kunst durch eine Gestalt aus, deren Darstellung ein
bestimmtes Wissen, eine Kenntniss der Formen derselben vor-
aussetzt; und damit beides in die Wirklichkeit trete, bedarf
es eines Stoffes, an welchem die Gestalt als Trägerin der Idee
zur Anschauung gebracht wird, und dessen Behandlung zu
diesem Zwecke den technischen Theil der künstlerischen Thä-
tigkeit ausmacht. Diese Thätigkeit gliedert sich also in eine
poetische, eine formelle, d. h. auf der Kenntniss der Form
beruhende, und eine technische; und wir werden demnach den
Phidias unter diesen drei Gesichtspunkten zu betrachten ha-
ben, nur dass wir in aufsteigender Ordnung zuerst von dem
letzteren, von der Technik, handeln.

Schon in dieser zeigt sich das Umfassende des Phidias.
Er beherrscht in technischer Beziehung die verschiedenen Ge-
biete der Kunst sämmtlich, wenn er auch nicht auf allen eine
gleiche Thätigkeit entwickelt 1). Wir wissen nichts von selbst-
ständigen Bauten. Aber mag auch die Aufsicht über den Bau
des Parthenon mit dem speciell architektonischen Detail nichts
zu thun gehabt haben, so verlangt sogar ein Theil der statua-
rischen Werke, die Errichtung der Kolosse von Gold und El-
fenbein, des Zeus, der Athene, eine genaue Kenntniss gerade
des Mechanischen und des Technischen in der Architektur. Die
Malerei übte Phidias freilich nur in seiner Jugend selbst aus.
Wo sie später zur Verherrlichung seiner Werke sich nothwen-
dig oder vortheilhaft erwies, scheint er die Ausführung stets
seinem Neffen Panaenos übertragen zu haben. Aber auch nur
eines solchen Künstlers sich nützlich zu bedienen, setzt schon
eigene Einsicht und Erfahrung voraus. -- Gehen wir nun zur
Sculptur und Plastik, dem eigentlichen Felde der Thätigkeit
des Phidias, über, so dürfen wir nicht übersehen, dass die
Werke in Marmor der Zahl nach sehr gering sind: es werden
angeführt zwei Bilder der Aphrodite, ein Hermes, ein Akro-
lith der Athene. Hier aber werden wir nothwendig in Betracht
ziehen müssen, wie viel wohl an Marmorwerken unter seiner

1) sophos lithourgos Aristot. Ethic. ad Nicom. VI, 7 Pheidiai lithoxooi.
Hesych. II, p. 1506. glupheus Dion. Hal. de Dinarcho, kai andriantas khal-
kourgon kai gluphon de kai xeon Tzetzes Chil. VIII, 192, v. 328.

als freie Poesie erfasst wird; aber wie in der Dicht- und Ton-
kunst durch Wort und Ton, so spricht sich diese Idee in der
bildenden Kunst durch eine Gestalt aus, deren Darstellung ein
bestimmtes Wissen, eine Kenntniss der Formen derselben vor-
aussetzt; und damit beides in die Wirklichkeit trete, bedarf
es eines Stoffes, an welchem die Gestalt als Trägerin der Idee
zur Anschauung gebracht wird, und dessen Behandlung zu
diesem Zwecke den technischen Theil der künstlerischen Thä-
tigkeit ausmacht. Diese Thätigkeit gliedert sich also in eine
poetische, eine formelle, d. h. auf der Kenntniss der Form
beruhende, und eine technische; und wir werden demnach den
Phidias unter diesen drei Gesichtspunkten zu betrachten ha-
ben, nur dass wir in aufsteigender Ordnung zuerst von dem
letzteren, von der Technik, handeln.

Schon in dieser zeigt sich das Umfassende des Phidias.
Er beherrscht in technischer Beziehung die verschiedenen Ge-
biete der Kunst sämmtlich, wenn er auch nicht auf allen eine
gleiche Thätigkeit entwickelt 1). Wir wissen nichts von selbst-
ständigen Bauten. Aber mag auch die Aufsicht über den Bau
des Parthenon mit dem speciell architektonischen Detail nichts
zu thun gehabt haben, so verlangt sogar ein Theil der statua-
rischen Werke, die Errichtung der Kolosse von Gold und El-
fenbein, des Zeus, der Athene, eine genaue Kenntniss gerade
des Mechanischen und des Technischen in der Architektur. Die
Malerei übte Phidias freilich nur in seiner Jugend selbst aus.
Wo sie später zur Verherrlichung seiner Werke sich nothwen-
dig oder vortheilhaft erwies, scheint er die Ausführung stets
seinem Neffen Panaenos übertragen zu haben. Aber auch nur
eines solchen Künstlers sich nützlich zu bedienen, setzt schon
eigene Einsicht und Erfahrung voraus. — Gehen wir nun zur
Sculptur und Plastik, dem eigentlichen Felde der Thätigkeit
des Phidias, über, so dürfen wir nicht übersehen, dass die
Werke in Marmor der Zahl nach sehr gering sind: es werden
angeführt zwei Bilder der Aphrodite, ein Hermes, ein Akro-
lith der Athene. Hier aber werden wir nothwendig in Betracht
ziehen müssen, wie viel wohl an Marmorwerken unter seiner

1) σοφὸς λιϑουργὸς Aristot. Ethic. ad Nicom. VI, 7 Φειδίαι λιϑοξόοι.
Hesych. II, p. 1506. γλυφεὺς Dion. Hal. de Dinarcho, καὶ ἀνδριάντας χαλ-
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[190/0203] als freie Poesie erfasst wird; aber wie in der Dicht- und Ton- kunst durch Wort und Ton, so spricht sich diese Idee in der bildenden Kunst durch eine Gestalt aus, deren Darstellung ein bestimmtes Wissen, eine Kenntniss der Formen derselben vor- aussetzt; und damit beides in die Wirklichkeit trete, bedarf es eines Stoffes, an welchem die Gestalt als Trägerin der Idee zur Anschauung gebracht wird, und dessen Behandlung zu diesem Zwecke den technischen Theil der künstlerischen Thä- tigkeit ausmacht. Diese Thätigkeit gliedert sich also in eine poetische, eine formelle, d. h. auf der Kenntniss der Form beruhende, und eine technische; und wir werden demnach den Phidias unter diesen drei Gesichtspunkten zu betrachten ha- ben, nur dass wir in aufsteigender Ordnung zuerst von dem letzteren, von der Technik, handeln. Schon in dieser zeigt sich das Umfassende des Phidias. Er beherrscht in technischer Beziehung die verschiedenen Ge- biete der Kunst sämmtlich, wenn er auch nicht auf allen eine gleiche Thätigkeit entwickelt 1). Wir wissen nichts von selbst- ständigen Bauten. Aber mag auch die Aufsicht über den Bau des Parthenon mit dem speciell architektonischen Detail nichts zu thun gehabt haben, so verlangt sogar ein Theil der statua- rischen Werke, die Errichtung der Kolosse von Gold und El- fenbein, des Zeus, der Athene, eine genaue Kenntniss gerade des Mechanischen und des Technischen in der Architektur. Die Malerei übte Phidias freilich nur in seiner Jugend selbst aus. Wo sie später zur Verherrlichung seiner Werke sich nothwen- dig oder vortheilhaft erwies, scheint er die Ausführung stets seinem Neffen Panaenos übertragen zu haben. Aber auch nur eines solchen Künstlers sich nützlich zu bedienen, setzt schon eigene Einsicht und Erfahrung voraus. — Gehen wir nun zur Sculptur und Plastik, dem eigentlichen Felde der Thätigkeit des Phidias, über, so dürfen wir nicht übersehen, dass die Werke in Marmor der Zahl nach sehr gering sind: es werden angeführt zwei Bilder der Aphrodite, ein Hermes, ein Akro- lith der Athene. Hier aber werden wir nothwendig in Betracht ziehen müssen, wie viel wohl an Marmorwerken unter seiner 1) σοφὸς λιϑουργὸς Aristot. Ethic. ad Nicom. VI, 7 Φειδίαι λιϑοξόοι. Hesych. II, p. 1506. γλυφεὺς Dion. Hal. de Dinarcho, καὶ ἀνδριάντας χαλ- κουργῶν καὶ γλύφων δὲ καὶ ξέων Tzetzes Chil. VIII, 192, v. 328.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/203>, abgerufen am 22.11.2024.