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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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kommensten Wirksamkeit, die Naturkraft in ihrem Schaffen
nach einem höheren, in sich nothwendigen Gesetze. -- Es mag
vielleicht scheinen, dass bei dieser Betrachtungsweise der
künstlerischen Freiheit, der Begeisterung, dem freien Walten
des Genius zu geringe Rechnung getragen, dem Wissen und
dem Erkennen der Bildungsgesetze eine zu hohe Bedeutung
beigelegt sei. Allerdings ist die Freiheit bedingt durch die
ewigen Gesetze der Natur. Allerdings wird die Kenntniss die-
ser Gesetze als das Erste und Nothwendigste voraussgesetzt.
Aber "das Werk des Künstlers soll nicht von diesem Wissen,
sondern von dem urkräftigen Walten eines in sich sicheren,
das Gesetz der Kunst nicht als ein Aeusseres befolgenden,
sondern als ein Inneres erfüllenden Geistes zeugen 1)." Der
Künstler soll nicht sein Werk nach den Gesetzen construiren,
sondern indem dieselben in seinem Geiste ruhen, sollen sie
ihn beim Schaffen des Werkes so leiten, dass dasselbe eine
höhere innere Wahrheit habe, nichts Willkürliches, sondern
etwas seiner Natur nach Nothwendiges sei. Der Genius aber
wird sich zeigen in der Schärfe, in der Hoheit, mit welcher
er die Grundidee findet, erfasst, ihr Form giebt, sie organisch
in allen Theilen und im Ganzen harmonisch durchbildet. Die
Göttlichkeit der Kunst wird sich gerade dadurch bewähren,
dass sie uns nicht menschliche Satzungen und Willkür, son-
dern das strenge Walten des höheren göttlichen Gesetzes in
ihren Schöpfungen zur Anschauung bringt.

Wir kehren endlich wieder zu Phidias zurück, den wir
scheinbar ganz aus den Augen verloren hatten. Allein beken-
nen wir es nur, Phidias selbst hat uns den Weg vorgezeich-
net, den wir in unserer Erörterung eingeschlagen haben. Man
erzählt, dass ihm die Frage vorgelegt worden sei, nach wel-
chem Muster (paradeigma) er den Zeus in Olympia bilden
wolle 2). Was antwortet nun Phidias? Etwa, wie Philostra-
tus 3) meint, er stelle sich vor den Zeus xun ourano kai
orais kai astrois? Nein er verweist auf die Worte des Ho-
mer 4):

e kai kuaneesin ep' ophrusi neuse Kronion,

1) E. Müller Gesch. d. Theorie d. Kunst. I, S. 2.
2) Strabo VIII, p.
354. Valer. Max. III, 7, ext. 4. Dio Chrys. XII, p. 200 ed. Morelli. Macrob.
V, 13.
3) vit. Apollon. VI, p. 118 Kayser.
4) Iliad. A, 528.

kommensten Wirksamkeit, die Naturkraft in ihrem Schaffen
nach einem höheren, in sich nothwendigen Gesetze. — Es mag
vielleicht scheinen, dass bei dieser Betrachtungsweise der
künstlerischen Freiheit, der Begeisterung, dem freien Walten
des Genius zu geringe Rechnung getragen, dem Wissen und
dem Erkennen der Bildungsgesetze eine zu hohe Bedeutung
beigelegt sei. Allerdings ist die Freiheit bedingt durch die
ewigen Gesetze der Natur. Allerdings wird die Kenntniss die-
ser Gesetze als das Erste und Nothwendigste voraussgesetzt.
Aber „das Werk des Künstlers soll nicht von diesem Wissen,
sondern von dem urkräftigen Walten eines in sich sicheren,
das Gesetz der Kunst nicht als ein Aeusseres befolgenden,
sondern als ein Inneres erfüllenden Geistes zeugen 1).” Der
Künstler soll nicht sein Werk nach den Gesetzen construiren,
sondern indem dieselben in seinem Geiste ruhen, sollen sie
ihn beim Schaffen des Werkes so leiten, dass dasselbe eine
höhere innere Wahrheit habe, nichts Willkürliches, sondern
etwas seiner Natur nach Nothwendiges sei. Der Genius aber
wird sich zeigen in der Schärfe, in der Hoheit, mit welcher
er die Grundidee findet, erfasst, ihr Form giebt, sie organisch
in allen Theilen und im Ganzen harmonisch durchbildet. Die
Göttlichkeit der Kunst wird sich gerade dadurch bewähren,
dass sie uns nicht menschliche Satzungen und Willkür, son-
dern das strenge Walten des höheren göttlichen Gesetzes in
ihren Schöpfungen zur Anschauung bringt.

Wir kehren endlich wieder zu Phidias zurück, den wir
scheinbar ganz aus den Augen verloren hatten. Allein beken-
nen wir es nur, Phidias selbst hat uns den Weg vorgezeich-
net, den wir in unserer Erörterung eingeschlagen haben. Man
erzählt, dass ihm die Frage vorgelegt worden sei, nach wel-
chem Muster (παράδειγμα) er den Zeus in Olympia bilden
wolle 2). Was antwortet nun Phidias? Etwa, wie Philostra-
tus 3) meint, er stelle sich vor den Zeus ξὺν οὐρανῷ καὶ
ὥραις καὶ ἄστροις? Nein er verweist auf die Worte des Ho-
mer 4):

ἦ καὶ κυανέῃσιν ἐπ᾽ ὀφρύσι νεῦσε Κρονίων,

1) E. Müller Gesch. d. Theorie d. Kunst. I, S. 2.
2) Strabo VIII, p.
354. Valer. Max. III, 7, ext. 4. Dio Chrys. XII, p. 200 ed. Morelli. Macrob.
V, 13.
3) vit. Apollon. VI, p. 118 Kayser.
4) Iliad. A, 528.
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[200/0213] kommensten Wirksamkeit, die Naturkraft in ihrem Schaffen nach einem höheren, in sich nothwendigen Gesetze. — Es mag vielleicht scheinen, dass bei dieser Betrachtungsweise der künstlerischen Freiheit, der Begeisterung, dem freien Walten des Genius zu geringe Rechnung getragen, dem Wissen und dem Erkennen der Bildungsgesetze eine zu hohe Bedeutung beigelegt sei. Allerdings ist die Freiheit bedingt durch die ewigen Gesetze der Natur. Allerdings wird die Kenntniss die- ser Gesetze als das Erste und Nothwendigste voraussgesetzt. Aber „das Werk des Künstlers soll nicht von diesem Wissen, sondern von dem urkräftigen Walten eines in sich sicheren, das Gesetz der Kunst nicht als ein Aeusseres befolgenden, sondern als ein Inneres erfüllenden Geistes zeugen 1).” Der Künstler soll nicht sein Werk nach den Gesetzen construiren, sondern indem dieselben in seinem Geiste ruhen, sollen sie ihn beim Schaffen des Werkes so leiten, dass dasselbe eine höhere innere Wahrheit habe, nichts Willkürliches, sondern etwas seiner Natur nach Nothwendiges sei. Der Genius aber wird sich zeigen in der Schärfe, in der Hoheit, mit welcher er die Grundidee findet, erfasst, ihr Form giebt, sie organisch in allen Theilen und im Ganzen harmonisch durchbildet. Die Göttlichkeit der Kunst wird sich gerade dadurch bewähren, dass sie uns nicht menschliche Satzungen und Willkür, son- dern das strenge Walten des höheren göttlichen Gesetzes in ihren Schöpfungen zur Anschauung bringt. Wir kehren endlich wieder zu Phidias zurück, den wir scheinbar ganz aus den Augen verloren hatten. Allein beken- nen wir es nur, Phidias selbst hat uns den Weg vorgezeich- net, den wir in unserer Erörterung eingeschlagen haben. Man erzählt, dass ihm die Frage vorgelegt worden sei, nach wel- chem Muster (παράδειγμα) er den Zeus in Olympia bilden wolle 2). Was antwortet nun Phidias? Etwa, wie Philostra- tus 3) meint, er stelle sich vor den Zeus ξὺν οὐρανῷ καὶ ὥραις καὶ ἄστροις? Nein er verweist auf die Worte des Ho- mer 4): ἦ καὶ κυανέῃσιν ἐπ᾽ ὀφρύσι νεῦσε Κρονίων, 1) E. Müller Gesch. d. Theorie d. Kunst. I, S. 2. 2) Strabo VIII, p. 354. Valer. Max. III, 7, ext. 4. Dio Chrys. XII, p. 200 ed. Morelli. Macrob. V, 13. 3) vit. Apollon. VI, p. 118 Kayser. 4) Iliad. A, 528.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/213>, abgerufen am 22.11.2024.