Erst jetzt wird sich uns auch der tiefere Grund offenbaren, weshalb Praxiteles, wie Skopas, dem Marmor vor der Bronze den Vorzug gab, weshalb er diesen Stoff auch mit grösserem Erfolge bearbeitete. Der Marmor entspricht nemlich durchaus dieser Behandlung der Form. Die spröde, undurchsichtige Bronze wird sich, wo irgend nur ein Streben nach Illusion sich geltend zu machen sucht, als unvortheilhaft erweisen; ihrem Wesen nach strebt sie vielmehr, jede Form in ihren streng- sten und feinsten Umgrenzungen darzustellen. Der Marmor dagegen, welcher wegen der Durchsichtigkeit seiner Oberfläche die feinsten Abstufungen von Licht und Schatten wiederzuge- ben vermag, ist eben dadurch geeignet, die Rundung und Fülle der Formen, die Verbindung der Flächen in leisen Uebergängen der Wirklichkeit oder vielmehr dem Eindrucke der Wirklich- keit täuschender nachzubilden, und die Form der lebensthätigen Theile, wie im Leben nur durch die Umhüllung der Haut, so seiner Seits in dem Kunstwerke nur durch die Weichheit der Oberfläche durchschimmern und gewissermassen ahnen zu lassen. Dass aber Praxiteles wirklich den Marmor zum Zweck einer so täuschenden Naturnachahmung benutzte, lehren nicht nur die erhaltenen Werke, welche wir als Nachahmungen der sei- nigen anerkennen müssen, die Gestalten der Aphrodite und der Satyrn, sondern noch ganz besonders die Nachricht, der zufolge er auf die Färbung seiner Marmorstatuen den höchsten Werth legte. Denn wenn es sich dabei auch nicht um einen förm- lichen malerischen Effect handeln konnte, so kann doch der Zweck dieser circumlitio kein anderer gewesen sein, als eben durch Unterstützung der Farbe beim Beschauer einen der wirk- lichen Erscheinung ähnlichen Eindruck, und da die Farbe doch nicht der Form, sondern nur dem Stoffe der Körper anhaftet, Täuschung, Illusion hervorzubringen.
Wir haben es für nöthig erachtet, um das Wesen praxi- telischer Gestalten in ihrer körperlichen Erscheinung uns deut- lich vor Augen zu stellen, bis auf die technischen Eigenthüm- lichkeiten des Künstlers zurückzugehen. Um so mehr steht zu erwarten, dass auch nach der entgegengesetzten Richtung hin, da, wo es sich um den Ausdruck von Geist und Gefühl handelt, die Eigenthümlichkeit des Künstlers sich in entspre- chender Weise entwickelt zeigen wird. Wir blicken zuerst wieder auf die Aphrodite und ihre Schilderung bei Lucian.
Erst jetzt wird sich uns auch der tiefere Grund offenbaren, weshalb Praxiteles, wie Skopas, dem Marmor vor der Bronze den Vorzug gab, weshalb er diesen Stoff auch mit grösserem Erfolge bearbeitete. Der Marmor entspricht nemlich durchaus dieser Behandlung der Form. Die spröde, undurchsichtige Bronze wird sich, wo irgend nur ein Streben nach Illusion sich geltend zu machen sucht, als unvortheilhaft erweisen; ihrem Wesen nach strebt sie vielmehr, jede Form in ihren streng- sten und feinsten Umgrenzungen darzustellen. Der Marmor dagegen, welcher wegen der Durchsichtigkeit seiner Oberfläche die feinsten Abstufungen von Licht und Schatten wiederzuge- ben vermag, ist eben dadurch geeignet, die Rundung und Fülle der Formen, die Verbindung der Flächen in leisen Uebergängen der Wirklichkeit oder vielmehr dem Eindrucke der Wirklich- keit täuschender nachzubilden, und die Form der lebensthätigen Theile, wie im Leben nur durch die Umhüllung der Haut, so seiner Seits in dem Kunstwerke nur durch die Weichheit der Oberfläche durchschimmern und gewissermassen ahnen zu lassen. Dass aber Praxiteles wirklich den Marmor zum Zweck einer so täuschenden Naturnachahmung benutzte, lehren nicht nur die erhaltenen Werke, welche wir als Nachahmungen der sei- nigen anerkennen müssen, die Gestalten der Aphrodite und der Satyrn, sondern noch ganz besonders die Nachricht, der zufolge er auf die Färbung seiner Marmorstatuen den höchsten Werth legte. Denn wenn es sich dabei auch nicht um einen förm- lichen malerischen Effect handeln konnte, so kann doch der Zweck dieser circumlitio kein anderer gewesen sein, als eben durch Unterstützung der Farbe beim Beschauer einen der wirk- lichen Erscheinung ähnlichen Eindruck, und da die Farbe doch nicht der Form, sondern nur dem Stoffe der Körper anhaftet, Täuschung, Illusion hervorzubringen.
Wir haben es für nöthig erachtet, um das Wesen praxi- telischer Gestalten in ihrer körperlichen Erscheinung uns deut- lich vor Augen zu stellen, bis auf die technischen Eigenthüm- lichkeiten des Künstlers zurückzugehen. Um so mehr steht zu erwarten, dass auch nach der entgegengesetzten Richtung hin, da, wo es sich um den Ausdruck von Geist und Gefühl handelt, die Eigenthümlichkeit des Künstlers sich in entspre- chender Weise entwickelt zeigen wird. Wir blicken zuerst wieder auf die Aphrodite und ihre Schilderung bei Lucian.
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Erst jetzt wird sich uns auch der tiefere Grund offenbaren,
weshalb Praxiteles, wie Skopas, dem Marmor vor der Bronze
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Erfolge bearbeitete. Der Marmor entspricht nemlich durchaus
dieser Behandlung der Form. Die spröde, undurchsichtige
Bronze wird sich, wo irgend nur ein Streben nach Illusion sich
geltend zu machen sucht, als unvortheilhaft erweisen; ihrem
Wesen nach strebt sie vielmehr, jede Form in ihren streng-
sten und feinsten Umgrenzungen darzustellen. Der Marmor
dagegen, welcher wegen der Durchsichtigkeit seiner Oberfläche
die feinsten Abstufungen von Licht und Schatten wiederzuge-
ben vermag, ist eben dadurch geeignet, die Rundung und Fülle
der Formen, die Verbindung der Flächen in leisen Uebergängen
der Wirklichkeit oder vielmehr dem Eindrucke der Wirklich-
keit täuschender nachzubilden, und die Form der lebensthätigen
Theile, wie im Leben nur durch die Umhüllung der Haut, so
seiner Seits in dem Kunstwerke nur durch die Weichheit der
Oberfläche durchschimmern und gewissermassen ahnen zu lassen.
Dass aber Praxiteles wirklich den Marmor zum Zweck einer
so täuschenden Naturnachahmung benutzte, lehren nicht nur
die erhaltenen Werke, welche wir als Nachahmungen der sei-
nigen anerkennen müssen, die Gestalten der Aphrodite und der
Satyrn, sondern noch ganz besonders die Nachricht, der zufolge
er auf die Färbung seiner Marmorstatuen den höchsten Werth
legte. Denn wenn es sich dabei auch nicht um einen förm-
lichen malerischen Effect handeln konnte, so kann doch der
Zweck dieser circumlitio kein anderer gewesen sein, als eben
durch Unterstützung der Farbe beim Beschauer einen der wirk-
lichen Erscheinung ähnlichen Eindruck, und da die Farbe doch
nicht der Form, sondern nur dem Stoffe der Körper anhaftet,
Täuschung, Illusion hervorzubringen.
Wir haben es für nöthig erachtet, um das Wesen praxi-
telischer Gestalten in ihrer körperlichen Erscheinung uns deut-
lich vor Augen zu stellen, bis auf die technischen Eigenthüm-
lichkeiten des Künstlers zurückzugehen. Um so mehr steht
zu erwarten, dass auch nach der entgegengesetzten Richtung
hin, da, wo es sich um den Ausdruck von Geist und Gefühl
handelt, die Eigenthümlichkeit des Künstlers sich in entspre-
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/367>, abgerufen am 22.11.2024.
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