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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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so wird sich uns manches, was vielleicht blos Folge technischer
Handgriffe, oder gar eine ungehörige Schärfe und Härte schien,
als mit der klarsten Absicht, mit dem bestimmtesten Bewusst-
sein gerade so, wie es ist, behandelt offenbaren; und was als
ein Mangel erschien, werden wir gerade als ein eigenthüm-
liches Verdienst erkennen.

Wir haben uns bis jetzt nur mit der Gestalt und den For-
men des Körpers beschäftigt. Bei einem Barbaren wird aber,
selbst wenn wir von der besonderen Handlung absehen, der ganze
Charakter und geistige Ausdruck in einem bestimmten Gegen-
satze zum Griechenthume stehen. Wir haben daher zu unter-
suchen, worin derselbe besteht, und in welcher Weise ihn der
Künstler aufgefasst hat.

Winckelmann sagt in der bekannten Stelle, wo er als das
vorzüglichste Kennzeichen der griechischen Kunst eine edle Ein-
falt und stille Grösse, sowohl in der Stellung als im Ausdruck
erkennen will: "So wie die Tiefe des Meeres allezeit ruhig
bleibt, die Oberfläche mag auch noch so wüthen, eben so zeigt
der Ausdruck von den Figuren der Griechen bei allen Leiden-
schaften eine grosse gesetzte Seele." Dieses Gleichniss möchte
man, wenn es eine Anwendung auf den Charakter des sich
tödtenden und des sterbenden Galliers finden soll, in das ge-
rade Gegentheil umkehren. Bei ihnen tobt der Sturm im tief-
sten Innern, mag auch das Aeussere sich dem Auge des Be-
schauers in noch so maassvoller Ruhe zeigen. Schwer ist es,
den Kampf der widersprechendsten Gefühle in dem Antlitze des
sterbenden Galliers zu beschreiben, einem Seelengemälde, wel-
ches noch unmittelbarer zum Gemüthe des Beschauers spricht,
als der verzweifelungsvolle Schmerz eines Laokoon? Das Haupt
ist vor Ermattung gesenkt; die Augen sind noch nicht starr,
aber von geistigem, wie von körperlichem Schmerze überwäl-
tigt, unfähig noch zu beobachten, was rings herum vorgeht,
matt und kraftlos niedergeschlagen, um bald gänzlich zu bre-
chen; die Lippen trocken und vor Schmerz erstarrt: nur we-
nige Augenblicke, und es entflieht auch der letzte Hauch des
Lebens. Aber wie verschieden ist der Ausdruck von der hei-
teren Ruhe, welche einen Sokrates selbst bis zum letzten Athem-
zuge nicht verliess? Denken wir uns den Krieger nur um we-
nige Augenblicke früher, oder besser: blicken wir auf die lu-
dovisische Gruppe des sich tödtenden Barbaren. Vergeblich ist

so wird sich uns manches, was vielleicht blos Folge technischer
Handgriffe, oder gar eine ungehörige Schärfe und Härte schien,
als mit der klarsten Absicht, mit dem bestimmtesten Bewusst-
sein gerade so, wie es ist, behandelt offenbaren; und was als
ein Mangel erschien, werden wir gerade als ein eigenthüm-
liches Verdienst erkennen.

Wir haben uns bis jetzt nur mit der Gestalt und den For-
men des Körpers beschäftigt. Bei einem Barbaren wird aber,
selbst wenn wir von der besonderen Handlung absehen, der ganze
Charakter und geistige Ausdruck in einem bestimmten Gegen-
satze zum Griechenthume stehen. Wir haben daher zu unter-
suchen, worin derselbe besteht, und in welcher Weise ihn der
Künstler aufgefasst hat.

Winckelmann sagt in der bekannten Stelle, wo er als das
vorzüglichste Kennzeichen der griechischen Kunst eine edle Ein-
falt und stille Grösse, sowohl in der Stellung als im Ausdruck
erkennen will: „So wie die Tiefe des Meeres allezeit ruhig
bleibt, die Oberfläche mag auch noch so wüthen, eben so zeigt
der Ausdruck von den Figuren der Griechen bei allen Leiden-
schaften eine grosse gesetzte Seele.” Dieses Gleichniss möchte
man, wenn es eine Anwendung auf den Charakter des sich
tödtenden und des sterbenden Galliers finden soll, in das ge-
rade Gegentheil umkehren. Bei ihnen tobt der Sturm im tief-
sten Innern, mag auch das Aeussere sich dem Auge des Be-
schauers in noch so maassvoller Ruhe zeigen. Schwer ist es,
den Kampf der widersprechendsten Gefühle in dem Antlitze des
sterbenden Galliers zu beschreiben, einem Seelengemälde, wel-
ches noch unmittelbarer zum Gemüthe des Beschauers spricht,
als der verzweifelungsvolle Schmerz eines Laokoon? Das Haupt
ist vor Ermattung gesenkt; die Augen sind noch nicht starr,
aber von geistigem, wie von körperlichem Schmerze überwäl-
tigt, unfähig noch zu beobachten, was rings herum vorgeht,
matt und kraftlos niedergeschlagen, um bald gänzlich zu bre-
chen; die Lippen trocken und vor Schmerz erstarrt: nur we-
nige Augenblicke, und es entflieht auch der letzte Hauch des
Lebens. Aber wie verschieden ist der Ausdruck von der hei-
teren Ruhe, welche einen Sokrates selbst bis zum letzten Athem-
zuge nicht verliess? Denken wir uns den Krieger nur um we-
nige Augenblicke früher, oder besser: blicken wir auf die lu-
dovisische Gruppe des sich tödtenden Barbaren. Vergeblich ist

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[454/0467] so wird sich uns manches, was vielleicht blos Folge technischer Handgriffe, oder gar eine ungehörige Schärfe und Härte schien, als mit der klarsten Absicht, mit dem bestimmtesten Bewusst- sein gerade so, wie es ist, behandelt offenbaren; und was als ein Mangel erschien, werden wir gerade als ein eigenthüm- liches Verdienst erkennen. Wir haben uns bis jetzt nur mit der Gestalt und den For- men des Körpers beschäftigt. Bei einem Barbaren wird aber, selbst wenn wir von der besonderen Handlung absehen, der ganze Charakter und geistige Ausdruck in einem bestimmten Gegen- satze zum Griechenthume stehen. Wir haben daher zu unter- suchen, worin derselbe besteht, und in welcher Weise ihn der Künstler aufgefasst hat. Winckelmann sagt in der bekannten Stelle, wo er als das vorzüglichste Kennzeichen der griechischen Kunst eine edle Ein- falt und stille Grösse, sowohl in der Stellung als im Ausdruck erkennen will: „So wie die Tiefe des Meeres allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag auch noch so wüthen, eben so zeigt der Ausdruck von den Figuren der Griechen bei allen Leiden- schaften eine grosse gesetzte Seele.” Dieses Gleichniss möchte man, wenn es eine Anwendung auf den Charakter des sich tödtenden und des sterbenden Galliers finden soll, in das ge- rade Gegentheil umkehren. Bei ihnen tobt der Sturm im tief- sten Innern, mag auch das Aeussere sich dem Auge des Be- schauers in noch so maassvoller Ruhe zeigen. Schwer ist es, den Kampf der widersprechendsten Gefühle in dem Antlitze des sterbenden Galliers zu beschreiben, einem Seelengemälde, wel- ches noch unmittelbarer zum Gemüthe des Beschauers spricht, als der verzweifelungsvolle Schmerz eines Laokoon? Das Haupt ist vor Ermattung gesenkt; die Augen sind noch nicht starr, aber von geistigem, wie von körperlichem Schmerze überwäl- tigt, unfähig noch zu beobachten, was rings herum vorgeht, matt und kraftlos niedergeschlagen, um bald gänzlich zu bre- chen; die Lippen trocken und vor Schmerz erstarrt: nur we- nige Augenblicke, und es entflieht auch der letzte Hauch des Lebens. Aber wie verschieden ist der Ausdruck von der hei- teren Ruhe, welche einen Sokrates selbst bis zum letzten Athem- zuge nicht verliess? Denken wir uns den Krieger nur um we- nige Augenblicke früher, oder besser: blicken wir auf die lu- dovisische Gruppe des sich tödtenden Barbaren. Vergeblich ist

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/467>, abgerufen am 26.11.2024.