einzigen bedeutsamen Moment concentrirt erscheint. Und so ist denn auch, wie Welcker sehr schön nachgewiesen hat, die Auffassung des Gegenstandes derjenigen entsprechend, welche in der Tragödie, und zwar von Sophokles ausgebildet vorlag. Der geistige Ausdruck aber ist durchdrungen vom höchsten Pathos, von einem Pathos, welches nicht in der inneren Natur der dargestellten Person begründet und daher dauernd ist, auch nicht, etwa wie bei der Niobe, sich rein als den Schmerz der Seele offenbart, sondern zunächst und hauptsächlich nur durch den einen flüchtigen Moment der Handlung mit aller ihrer körperlichen Anspannung verständlich erscheint.
Wenn wir nun in dieser Steigerung nach allen Richtun- gen hin nicht einen Fortschritt zu erkennen vermochten, wel- cher überall zum Frommen der wahren Kunst ausgeschlagen wäre, so müssen wir dagegen zugestehen, dass die Künstler einer Menge von Gefahren, welchen sie auf ihrer Bahn be- gegnen mussten, noch glücklich entgangen, nirgends in ganz willkürliche Satzungen und extreme Richtungen verfallen sind. So sehr wir auch oft finden, dass die Künstler uns an ihre Meisterschaft zu erinnern streben, so haben sie doch stets versucht, uns dieses Streben als in der Natur ihres Werkes begründet, als dadurch erst hervorgerufen zu zeigen; wir werden nirgends sagen können, dass sie auf Kosten des Kunstwerkes Kunststücke versucht haben. Die Meisterschaft der Technik scheint nothwendig zur Darstellung der Form; die Meisterschaft in Behandlung der Form wiederum nothwendig zur Darstellung der Bewegung. Die kunstreiche Verflech- tung aller Bewegungen schliesst nicht nur für das äussere Auge die ganze Gruppe zu einer Einheit zusammen, sie zeigt auch die Sicherheit des Wirkens der von den Göttern zur Strafe abgesandten Werkzeuge. Ueber dem Ganzen ist aber trotz aller körperlichen Anstrengung, trotz alles körperlichen Leidens eine gewisse geistige Ruhe und milde Wehmuth aus- gegossen; und, Alles in Allem genommen, verdienen "bei der niedrigeren Nachwelt, die nichts vermögend ist hervorzu- bringen, was diesem Werke nur entfernter Weise könnte verglichen werden", wie Winckelmann sagt, die Künstler des Laokoon die höchste Bewunderung. Stehen sie auch an reiner poetischer Schöpfungskraft, an Unmittelbarkeit der künstleri-
einzigen bedeutsamen Moment concentrirt erscheint. Und so ist denn auch, wie Welcker sehr schön nachgewiesen hat, die Auffassung des Gegenstandes derjenigen entsprechend, welche in der Tragödie, und zwar von Sophokles ausgebildet vorlag. Der geistige Ausdruck aber ist durchdrungen vom höchsten Pathos, von einem Pathos, welches nicht in der inneren Natur der dargestellten Person begründet und daher dauernd ist, auch nicht, etwa wie bei der Niobe, sich rein als den Schmerz der Seele offenbart, sondern zunächst und hauptsächlich nur durch den einen flüchtigen Moment der Handlung mit aller ihrer körperlichen Anspannung verständlich erscheint.
Wenn wir nun in dieser Steigerung nach allen Richtun- gen hin nicht einen Fortschritt zu erkennen vermochten, wel- cher überall zum Frommen der wahren Kunst ausgeschlagen wäre, so müssen wir dagegen zugestehen, dass die Künstler einer Menge von Gefahren, welchen sie auf ihrer Bahn be- gegnen mussten, noch glücklich entgangen, nirgends in ganz willkürliche Satzungen und extreme Richtungen verfallen sind. So sehr wir auch oft finden, dass die Künstler uns an ihre Meisterschaft zu erinnern streben, so haben sie doch stets versucht, uns dieses Streben als in der Natur ihres Werkes begründet, als dadurch erst hervorgerufen zu zeigen; wir werden nirgends sagen können, dass sie auf Kosten des Kunstwerkes Kunststücke versucht haben. Die Meisterschaft der Technik scheint nothwendig zur Darstellung der Form; die Meisterschaft in Behandlung der Form wiederum nothwendig zur Darstellung der Bewegung. Die kunstreiche Verflech- tung aller Bewegungen schliesst nicht nur für das äussere Auge die ganze Gruppe zu einer Einheit zusammen, sie zeigt auch die Sicherheit des Wirkens der von den Göttern zur Strafe abgesandten Werkzeuge. Ueber dem Ganzen ist aber trotz aller körperlichen Anstrengung, trotz alles körperlichen Leidens eine gewisse geistige Ruhe und milde Wehmuth aus- gegossen; und, Alles in Allem genommen, verdienen „bei der niedrigeren Nachwelt, die nichts vermögend ist hervorzu- bringen, was diesem Werke nur entfernter Weise könnte verglichen werden”, wie Winckelmann sagt, die Künstler des Laokoon die höchste Bewunderung. Stehen sie auch an reiner poetischer Schöpfungskraft, an Unmittelbarkeit der künstleri-
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[494/0507]
einzigen bedeutsamen Moment concentrirt erscheint. Und so
ist denn auch, wie Welcker sehr schön nachgewiesen hat,
die Auffassung des Gegenstandes derjenigen entsprechend,
welche in der Tragödie, und zwar von Sophokles ausgebildet
vorlag. Der geistige Ausdruck aber ist durchdrungen vom
höchsten Pathos, von einem Pathos, welches nicht in der
inneren Natur der dargestellten Person begründet und daher
dauernd ist, auch nicht, etwa wie bei der Niobe, sich rein
als den Schmerz der Seele offenbart, sondern zunächst und
hauptsächlich nur durch den einen flüchtigen Moment der
Handlung mit aller ihrer körperlichen Anspannung verständlich
erscheint.
Wenn wir nun in dieser Steigerung nach allen Richtun-
gen hin nicht einen Fortschritt zu erkennen vermochten, wel-
cher überall zum Frommen der wahren Kunst ausgeschlagen
wäre, so müssen wir dagegen zugestehen, dass die Künstler
einer Menge von Gefahren, welchen sie auf ihrer Bahn be-
gegnen mussten, noch glücklich entgangen, nirgends in ganz
willkürliche Satzungen und extreme Richtungen verfallen sind.
So sehr wir auch oft finden, dass die Künstler uns an ihre
Meisterschaft zu erinnern streben, so haben sie doch stets
versucht, uns dieses Streben als in der Natur ihres Werkes
begründet, als dadurch erst hervorgerufen zu zeigen; wir
werden nirgends sagen können, dass sie auf Kosten des
Kunstwerkes Kunststücke versucht haben. Die Meisterschaft
der Technik scheint nothwendig zur Darstellung der Form; die
Meisterschaft in Behandlung der Form wiederum nothwendig
zur Darstellung der Bewegung. Die kunstreiche Verflech-
tung aller Bewegungen schliesst nicht nur für das äussere
Auge die ganze Gruppe zu einer Einheit zusammen, sie zeigt
auch die Sicherheit des Wirkens der von den Göttern zur
Strafe abgesandten Werkzeuge. Ueber dem Ganzen ist aber
trotz aller körperlichen Anstrengung, trotz alles körperlichen
Leidens eine gewisse geistige Ruhe und milde Wehmuth aus-
gegossen; und, Alles in Allem genommen, verdienen „bei
der niedrigeren Nachwelt, die nichts vermögend ist hervorzu-
bringen, was diesem Werke nur entfernter Weise könnte
verglichen werden”, wie Winckelmann sagt, die Künstler des
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/507>, abgerufen am 24.11.2024.
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