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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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ren, und nur in seiner Durchdringung mit neuen, fremden Ele-
menten Bestand und Kraft zu neuen Entwickelungen zu ge-
winnen. Die alten natürlichen, traditionellen Verhältnisse wa-
ren gelöst; sie liessen sich in die neue Ordnung der Dinge
nicht übertragen, sondern mussten sich nach bestimmten Ab-
sichten und für bestimmte Zwecke je nach den besonderen
Umständen neu gestalten; und darum tritt überall an die Stelle
der Unmittelbarkeit früherer Entwickelungen die reflectirende
bewusste Berechnung1).

In Hinsicht auf die Kunst haben wir schon früher behaup-
tet, dass ihre Entwickelung um die Zeit Alexanders trotz der
wesentlichsten Unterschiede durchaus als eine Fortsetzung der
glänzenden perikleischen Epoche erscheine. Beiden Perioden
war in Hinsicht auf künstlerisches Schaffen die Unmittelbar-
keit in der Auffassung der Natur gemeinsam; der Künstler
ordnete seine Persönlichkeit durchaus seinem Werke unter,
damit dieses seinen Gegenstand ganz erfülle. Zugleich muss-
ten wir jedoch zugeben, dass sich die Beobachtung allmählig
immer mehr von dem inneren Wesen der Dinge ab und auf
das Aeusserliche und Zufällige gewendet hatte. Je grösseren
Werth man auf diese Weise den zufälligen Einzelnheiten, dem
äusseren Scheine beizulegen sich gewöhnte, um so mehr musste
die Kenntniss und das Verständniss der festen Normen und
Grundgesetze, auf denen bisher die Ausübung der Kunst be-
ruht hatte, verloren gehen; es musste Schwanken und Unent-
schiedenheit über das Verhältniss einer reinen Nachahmung
der Wirklichkeit zu den Forderungen künstlerischer Stylisi-
rung entstehen. Gerade damals aber, als sich die Wirkungen
dieser Unsicherheit zu zeigen beginnen, tritt der Umschwung
in allen politischen Verhältnissen ein, in Folge dessen die al-
ten Kunstschulen in ihren Hauptsitzen zu Athen, Sikyon und
Argos zerfallen. Die Stetigkeit der Entwickelung in den frü-
her verfolgten Richtungen ist damit unterbrochen; die Sicher-
heit der Tradition, wie sie der Zusammenhang einer vielver-
zweigten Schule gewährt, ist verloren; und sie musste um so
mehr verloren gehen, je weniger die zunächst folgenden Wir-
ren und Kämpfe unter den Nachfolgern Alexanders künstle-
rische Unternehmungen überhaupt begünstigten. Sobald wieder

1) Vgl. Droysen Hellenismus I, in der Einleitung.

ren, und nur in seiner Durchdringung mit neuen, fremden Ele-
menten Bestand und Kraft zu neuen Entwickelungen zu ge-
winnen. Die alten natürlichen, traditionellen Verhältnisse wa-
ren gelöst; sie liessen sich in die neue Ordnung der Dinge
nicht übertragen, sondern mussten sich nach bestimmten Ab-
sichten und für bestimmte Zwecke je nach den besonderen
Umständen neu gestalten; und darum tritt überall an die Stelle
der Unmittelbarkeit früherer Entwickelungen die reflectirende
bewusste Berechnung1).

In Hinsicht auf die Kunst haben wir schon früher behaup-
tet, dass ihre Entwickelung um die Zeit Alexanders trotz der
wesentlichsten Unterschiede durchaus als eine Fortsetzung der
glänzenden perikleischen Epoche erscheine. Beiden Perioden
war in Hinsicht auf künstlerisches Schaffen die Unmittelbar-
keit in der Auffassung der Natur gemeinsam; der Künstler
ordnete seine Persönlichkeit durchaus seinem Werke unter,
damit dieses seinen Gegenstand ganz erfülle. Zugleich muss-
ten wir jedoch zugeben, dass sich die Beobachtung allmählig
immer mehr von dem inneren Wesen der Dinge ab und auf
das Aeusserliche und Zufällige gewendet hatte. Je grösseren
Werth man auf diese Weise den zufälligen Einzelnheiten, dem
äusseren Scheine beizulegen sich gewöhnte, um so mehr musste
die Kenntniss und das Verständniss der festen Normen und
Grundgesetze, auf denen bisher die Ausübung der Kunst be-
ruht hatte, verloren gehen; es musste Schwanken und Unent-
schiedenheit über das Verhältniss einer reinen Nachahmung
der Wirklichkeit zu den Forderungen künstlerischer Stylisi-
rung entstehen. Gerade damals aber, als sich die Wirkungen
dieser Unsicherheit zu zeigen beginnen, tritt der Umschwung
in allen politischen Verhältnissen ein, in Folge dessen die al-
ten Kunstschulen in ihren Hauptsitzen zu Athen, Sikyon und
Argos zerfallen. Die Stetigkeit der Entwickelung in den frü-
her verfolgten Richtungen ist damit unterbrochen; die Sicher-
heit der Tradition, wie sie der Zusammenhang einer vielver-
zweigten Schule gewährt, ist verloren; und sie musste um so
mehr verloren gehen, je weniger die zunächst folgenden Wir-
ren und Kämpfe unter den Nachfolgern Alexanders künstle-
rische Unternehmungen überhaupt begünstigten. Sobald wieder

1) Vgl. Droysen Hellenismus I, in der Einleitung.
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[514/0527] ren, und nur in seiner Durchdringung mit neuen, fremden Ele- menten Bestand und Kraft zu neuen Entwickelungen zu ge- winnen. Die alten natürlichen, traditionellen Verhältnisse wa- ren gelöst; sie liessen sich in die neue Ordnung der Dinge nicht übertragen, sondern mussten sich nach bestimmten Ab- sichten und für bestimmte Zwecke je nach den besonderen Umständen neu gestalten; und darum tritt überall an die Stelle der Unmittelbarkeit früherer Entwickelungen die reflectirende bewusste Berechnung 1). In Hinsicht auf die Kunst haben wir schon früher behaup- tet, dass ihre Entwickelung um die Zeit Alexanders trotz der wesentlichsten Unterschiede durchaus als eine Fortsetzung der glänzenden perikleischen Epoche erscheine. Beiden Perioden war in Hinsicht auf künstlerisches Schaffen die Unmittelbar- keit in der Auffassung der Natur gemeinsam; der Künstler ordnete seine Persönlichkeit durchaus seinem Werke unter, damit dieses seinen Gegenstand ganz erfülle. Zugleich muss- ten wir jedoch zugeben, dass sich die Beobachtung allmählig immer mehr von dem inneren Wesen der Dinge ab und auf das Aeusserliche und Zufällige gewendet hatte. Je grösseren Werth man auf diese Weise den zufälligen Einzelnheiten, dem äusseren Scheine beizulegen sich gewöhnte, um so mehr musste die Kenntniss und das Verständniss der festen Normen und Grundgesetze, auf denen bisher die Ausübung der Kunst be- ruht hatte, verloren gehen; es musste Schwanken und Unent- schiedenheit über das Verhältniss einer reinen Nachahmung der Wirklichkeit zu den Forderungen künstlerischer Stylisi- rung entstehen. Gerade damals aber, als sich die Wirkungen dieser Unsicherheit zu zeigen beginnen, tritt der Umschwung in allen politischen Verhältnissen ein, in Folge dessen die al- ten Kunstschulen in ihren Hauptsitzen zu Athen, Sikyon und Argos zerfallen. Die Stetigkeit der Entwickelung in den frü- her verfolgten Richtungen ist damit unterbrochen; die Sicher- heit der Tradition, wie sie der Zusammenhang einer vielver- zweigten Schule gewährt, ist verloren; und sie musste um so mehr verloren gehen, je weniger die zunächst folgenden Wir- ren und Kämpfe unter den Nachfolgern Alexanders künstle- rische Unternehmungen überhaupt begünstigten. Sobald wieder 1) Vgl. Droysen Hellenismus I, in der Einleitung.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/527>, abgerufen am 24.11.2024.