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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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Zwecke am sichersten erreichen möchte. Indessen, wenn wir
auch diese Absicht bemerken, dürfen wir doch den Künstler
von dem Vorwurfe freisprechen, dass er den Beschauer durch
technische Meisterschaft habe blenden wollen. Nicht ganz so
günstig vermochten wir über den Laokoon zu urtheilen. Wir
mussten zugeben, dass zwar dieses Werk an sich einen hohen
Grad technischer Meisterschaft bedingt, dass aber die Künst-
ler gerade durch die absichtlich von ihnen gewählte Art der
Behandlung uns diese Meisterschaft noch mehr empfinden las-
sen wollen, als das Werk selbst es erfordert. So hat hier die
Technik schon einen eigenen, selbstständigen Zweck, der in-
dessen neben anderen Zwecken noch in einigermassen beschei-
dener Weise hervortritt. Dass dies aber keineswegs immer
der Fall war, lehrt der eiserne Herakles des Alkon, bei dessen
Ausführung der Künstler gewissermassen als ein Nebenbuhler
des Heros in der Ueberwindung unsäglicher Mühen gelten
wollte. Nehmen wir dazu, dass wahrscheinlich in diese Pe-
riode die sogenannten Kleinkünstler, Myrmekides und Kalli-
krates gehören, welche ihren Ruhm in Arbeiten suchten, deren
einzelne Theile mit blossem Auge kaum zu erkennen waren,
so sind wir endlich auf dem Punkte angekommen, wo die
ganze Kunst in technischen Spitzfindigkeiten aufgegangen ist.
Wir haben hier also ganz dieselben Erscheinungen, welche auf
dem Felde der Poesie unter den Alexandrinern die Metrik dar-
bietet: man übt die einfachen alten Metra in guter, ja gestei-
gerter und gesuchter Reinheit, erfindet einzelne neue gekün-
stelte Maasse und verliert sich endlich in die Spielereien der
tekhnopaignia, um durch längere oder kürzere Versreihen be-
stimmte Figuren, Flügel, Altäre, Aexte u. a. darzustellen.

Wollen wir diese Vergleichungen mit Erscheinungen der
Litteratur auch auf die übrigen Gebiete der künstlerischen Thä-
tigkeit ausdehnen, so finden wir hier Analogien von fast noch
schlagenderer Art. Die ganze Litteratur ist durchdrungen von
grammatischen, rhetorischen, realwissenschaftlichen Studien.
Nirgends finden wir eine eigentlich geniale Schöpferkraft, über-
all dagegen das Streben, dieselbe durch gelehrte Forschung
zu ersetzen. Das Gelehrte, Schwierige, Künstliche tritt über-
all an die Stelle des Einfachen und Natürlichen; und wenn
man in einzelnen Dichtungsarten, wie namentlich im Idyll,
recht absichtlich zu dem unschuldigen, unverdorbenen Natur-

Zwecke am sichersten erreichen möchte. Indessen, wenn wir
auch diese Absicht bemerken, dürfen wir doch den Künstler
von dem Vorwurfe freisprechen, dass er den Beschauer durch
technische Meisterschaft habe blenden wollen. Nicht ganz so
günstig vermochten wir über den Laokoon zu urtheilen. Wir
mussten zugeben, dass zwar dieses Werk an sich einen hohen
Grad technischer Meisterschaft bedingt, dass aber die Künst-
ler gerade durch die absichtlich von ihnen gewählte Art der
Behandlung uns diese Meisterschaft noch mehr empfinden las-
sen wollen, als das Werk selbst es erfordert. So hat hier die
Technik schon einen eigenen, selbstständigen Zweck, der in-
dessen neben anderen Zwecken noch in einigermassen beschei-
dener Weise hervortritt. Dass dies aber keineswegs immer
der Fall war, lehrt der eiserne Herakles des Alkon, bei dessen
Ausführung der Künstler gewissermassen als ein Nebenbuhler
des Heros in der Ueberwindung unsäglicher Mühen gelten
wollte. Nehmen wir dazu, dass wahrscheinlich in diese Pe-
riode die sogenannten Kleinkünstler, Myrmekides und Kalli-
krates gehören, welche ihren Ruhm in Arbeiten suchten, deren
einzelne Theile mit blossem Auge kaum zu erkennen waren,
so sind wir endlich auf dem Punkte angekommen, wo die
ganze Kunst in technischen Spitzfindigkeiten aufgegangen ist.
Wir haben hier also ganz dieselben Erscheinungen, welche auf
dem Felde der Poesie unter den Alexandrinern die Metrik dar-
bietet: man übt die einfachen alten Metra in guter, ja gestei-
gerter und gesuchter Reinheit, erfindet einzelne neue gekün-
stelte Maasse und verliert sich endlich in die Spielereien der
τεχνοπαίγνια, um durch längere oder kürzere Versreihen be-
stimmte Figuren, Flügel, Altäre, Aexte u. a. darzustellen.

Wollen wir diese Vergleichungen mit Erscheinungen der
Litteratur auch auf die übrigen Gebiete der künstlerischen Thä-
tigkeit ausdehnen, so finden wir hier Analogien von fast noch
schlagenderer Art. Die ganze Litteratur ist durchdrungen von
grammatischen, rhetorischen, realwissenschaftlichen Studien.
Nirgends finden wir eine eigentlich geniale Schöpferkraft, über-
all dagegen das Streben, dieselbe durch gelehrte Forschung
zu ersetzen. Das Gelehrte, Schwierige, Künstliche tritt über-
all an die Stelle des Einfachen und Natürlichen; und wenn
man in einzelnen Dichtungsarten, wie namentlich im Idyll,
recht absichtlich zu dem unschuldigen, unverdorbenen Natur-

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[516/0529] Zwecke am sichersten erreichen möchte. Indessen, wenn wir auch diese Absicht bemerken, dürfen wir doch den Künstler von dem Vorwurfe freisprechen, dass er den Beschauer durch technische Meisterschaft habe blenden wollen. Nicht ganz so günstig vermochten wir über den Laokoon zu urtheilen. Wir mussten zugeben, dass zwar dieses Werk an sich einen hohen Grad technischer Meisterschaft bedingt, dass aber die Künst- ler gerade durch die absichtlich von ihnen gewählte Art der Behandlung uns diese Meisterschaft noch mehr empfinden las- sen wollen, als das Werk selbst es erfordert. So hat hier die Technik schon einen eigenen, selbstständigen Zweck, der in- dessen neben anderen Zwecken noch in einigermassen beschei- dener Weise hervortritt. Dass dies aber keineswegs immer der Fall war, lehrt der eiserne Herakles des Alkon, bei dessen Ausführung der Künstler gewissermassen als ein Nebenbuhler des Heros in der Ueberwindung unsäglicher Mühen gelten wollte. Nehmen wir dazu, dass wahrscheinlich in diese Pe- riode die sogenannten Kleinkünstler, Myrmekides und Kalli- krates gehören, welche ihren Ruhm in Arbeiten suchten, deren einzelne Theile mit blossem Auge kaum zu erkennen waren, so sind wir endlich auf dem Punkte angekommen, wo die ganze Kunst in technischen Spitzfindigkeiten aufgegangen ist. Wir haben hier also ganz dieselben Erscheinungen, welche auf dem Felde der Poesie unter den Alexandrinern die Metrik dar- bietet: man übt die einfachen alten Metra in guter, ja gestei- gerter und gesuchter Reinheit, erfindet einzelne neue gekün- stelte Maasse und verliert sich endlich in die Spielereien der τεχνοπαίγνια, um durch längere oder kürzere Versreihen be- stimmte Figuren, Flügel, Altäre, Aexte u. a. darzustellen. Wollen wir diese Vergleichungen mit Erscheinungen der Litteratur auch auf die übrigen Gebiete der künstlerischen Thä- tigkeit ausdehnen, so finden wir hier Analogien von fast noch schlagenderer Art. Die ganze Litteratur ist durchdrungen von grammatischen, rhetorischen, realwissenschaftlichen Studien. Nirgends finden wir eine eigentlich geniale Schöpferkraft, über- all dagegen das Streben, dieselbe durch gelehrte Forschung zu ersetzen. Das Gelehrte, Schwierige, Künstliche tritt über- all an die Stelle des Einfachen und Natürlichen; und wenn man in einzelnen Dichtungsarten, wie namentlich im Idyll, recht absichtlich zu dem unschuldigen, unverdorbenen Natur-

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/529>, abgerufen am 24.11.2024.