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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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Bei einem Rückblick auf den allgemeinen Charakter der
athenischen Kunst in früheren Zeiten werden wir leicht be-
merken, dass sie denselben auch in dieser späteren Zeil noch
nicht völlig eingebüsst hat. Wir finden Bilder von Göttern
oder göttergleichen Heroen, selbst ein Portrait in göttlicher
Gestaltung, Karyatiden, Altäre und Vasen, welche fast ohne
Ausnahme zum Schmucke geweihter Räume bestimmt gewesen
zu sein scheinen. So sehr auch bei einzelnen dieser Werke
ein Streben nach einer allgemein menschlichen Anmuth hervor-
treten mag: immer bleibt die Thätigkeit für Zwecke der Re-
ligion und in Folge davon die Richtung auf ideale Gestaltung
ein charakteristisches Kennzeichen dieser Schule.

Was uns aber die noch erhaltenen Werke lehren, das
findet in den übrigen Nachrichten über attische Kunst, sowohl
in Rom, als in Athen selbst und anderwärts, die vollste Be-
stätigung. Denn was etwa von zahlreichen Ehrenstatuen ge-
meldet wird, darf auf unser Urtheil keinen bestimmenden Ein-
fluss ausüben: diese Thätigkeit gewährte der Kunst, so zu
sagen, das tägliche Brot, nicht aber den Antrieb zu höherem
künstlerischen Schaffen; und nicht anders mochte es sich mit
den von Plinius ganz summarisch behandelten Statuen von
Athleten, Bewaffneten, Jägern und Opfernden verhalten. Da-
gegen beruht gleich am Anfange dieser Periode das hohe An-
sehen des Polykles und seiner Umgebung auf einer Reihe von
Götterbildern im Porticus der Octavia; nicht weniger sind in
Griechenland selbst seine Söhne Timokles und Timarchides,
ferner Eucheir und Eubulides gerade durch ihre Götterbilder
bekannt geworden; und, wenn ich richtig vermuthet habe,
war auch das Bild des höchsten römischen Gottes, des capito-
linischen Juppiter, das Werk des Atheners Apollonios.

Ist sonach die Verwandtschaft der alt- und neu-attischen
Kunst im Allgemeinen als eine sichere Thatsache anzunehmen,
so bleibt nur zu untersuchen, bis zu welchem Grade sich die-
selbe im Einzelnen verfolgen lässt. Es ist schon früher der
auffallenden Erscheinung gedacht worden, dass wir von atti-
schen Künstlern während der Periode der Diadochen durchaus
keine Nachricht haben; und da wir diesen Mangel doch nicht
rein auf Rechnung des Zufalls werden setzen dürfen, so bleibt
uns nur die Annahme übrig, dass damals die attische Kunst,
wenn sie auch keineswegs gänzlich untergegangen war, doch

Bei einem Rückblick auf den allgemeinen Charakter der
athenischen Kunst in früheren Zeiten werden wir leicht be-
merken, dass sie denselben auch in dieser späteren Zeil noch
nicht völlig eingebüsst hat. Wir finden Bilder von Göttern
oder göttergleichen Heroen, selbst ein Portrait in göttlicher
Gestaltung, Karyatiden, Altäre und Vasen, welche fast ohne
Ausnahme zum Schmucke geweihter Räume bestimmt gewesen
zu sein scheinen. So sehr auch bei einzelnen dieser Werke
ein Streben nach einer allgemein menschlichen Anmuth hervor-
treten mag: immer bleibt die Thätigkeit für Zwecke der Re-
ligion und in Folge davon die Richtung auf ideale Gestaltung
ein charakteristisches Kennzeichen dieser Schule.

Was uns aber die noch erhaltenen Werke lehren, das
findet in den übrigen Nachrichten über attische Kunst, sowohl
in Rom, als in Athen selbst und anderwärts, die vollste Be-
stätigung. Denn was etwa von zahlreichen Ehrenstatuen ge-
meldet wird, darf auf unser Urtheil keinen bestimmenden Ein-
fluss ausüben: diese Thätigkeit gewährte der Kunst, so zu
sagen, das tägliche Brot, nicht aber den Antrieb zu höherem
künstlerischen Schaffen; und nicht anders mochte es sich mit
den von Plinius ganz summarisch behandelten Statuen von
Athleten, Bewaffneten, Jägern und Opfernden verhalten. Da-
gegen beruht gleich am Anfange dieser Periode das hohe An-
sehen des Polykles und seiner Umgebung auf einer Reihe von
Götterbildern im Porticus der Octavia; nicht weniger sind in
Griechenland selbst seine Söhne Timokles und Timarchides,
ferner Eucheir und Eubulides gerade durch ihre Götterbilder
bekannt geworden; und, wenn ich richtig vermuthet habe,
war auch das Bild des höchsten römischen Gottes, des capito-
linischen Juppiter, das Werk des Atheners Apollonios.

Ist sonach die Verwandtschaft der alt- und neu-attischen
Kunst im Allgemeinen als eine sichere Thatsache anzunehmen,
so bleibt nur zu untersuchen, bis zu welchem Grade sich die-
selbe im Einzelnen verfolgen lässt. Es ist schon früher der
auffallenden Erscheinung gedacht worden, dass wir von atti-
schen Künstlern während der Periode der Diadochen durchaus
keine Nachricht haben; und da wir diesen Mangel doch nicht
rein auf Rechnung des Zufalls werden setzen dürfen, so bleibt
uns nur die Annahme übrig, dass damals die attische Kunst,
wenn sie auch keineswegs gänzlich untergegangen war, doch

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[560/0573] Bei einem Rückblick auf den allgemeinen Charakter der athenischen Kunst in früheren Zeiten werden wir leicht be- merken, dass sie denselben auch in dieser späteren Zeil noch nicht völlig eingebüsst hat. Wir finden Bilder von Göttern oder göttergleichen Heroen, selbst ein Portrait in göttlicher Gestaltung, Karyatiden, Altäre und Vasen, welche fast ohne Ausnahme zum Schmucke geweihter Räume bestimmt gewesen zu sein scheinen. So sehr auch bei einzelnen dieser Werke ein Streben nach einer allgemein menschlichen Anmuth hervor- treten mag: immer bleibt die Thätigkeit für Zwecke der Re- ligion und in Folge davon die Richtung auf ideale Gestaltung ein charakteristisches Kennzeichen dieser Schule. Was uns aber die noch erhaltenen Werke lehren, das findet in den übrigen Nachrichten über attische Kunst, sowohl in Rom, als in Athen selbst und anderwärts, die vollste Be- stätigung. Denn was etwa von zahlreichen Ehrenstatuen ge- meldet wird, darf auf unser Urtheil keinen bestimmenden Ein- fluss ausüben: diese Thätigkeit gewährte der Kunst, so zu sagen, das tägliche Brot, nicht aber den Antrieb zu höherem künstlerischen Schaffen; und nicht anders mochte es sich mit den von Plinius ganz summarisch behandelten Statuen von Athleten, Bewaffneten, Jägern und Opfernden verhalten. Da- gegen beruht gleich am Anfange dieser Periode das hohe An- sehen des Polykles und seiner Umgebung auf einer Reihe von Götterbildern im Porticus der Octavia; nicht weniger sind in Griechenland selbst seine Söhne Timokles und Timarchides, ferner Eucheir und Eubulides gerade durch ihre Götterbilder bekannt geworden; und, wenn ich richtig vermuthet habe, war auch das Bild des höchsten römischen Gottes, des capito- linischen Juppiter, das Werk des Atheners Apollonios. Ist sonach die Verwandtschaft der alt- und neu-attischen Kunst im Allgemeinen als eine sichere Thatsache anzunehmen, so bleibt nur zu untersuchen, bis zu welchem Grade sich die- selbe im Einzelnen verfolgen lässt. Es ist schon früher der auffallenden Erscheinung gedacht worden, dass wir von atti- schen Künstlern während der Periode der Diadochen durchaus keine Nachricht haben; und da wir diesen Mangel doch nicht rein auf Rechnung des Zufalls werden setzen dürfen, so bleibt uns nur die Annahme übrig, dass damals die attische Kunst, wenn sie auch keineswegs gänzlich untergegangen war, doch

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 560. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/573>, abgerufen am 22.11.2024.