beabsichtigten. Ein gleiches Streben hat offenbar den Künstler des borghesischen Fechters geleitet. Denn wenn man auch zugeben kann, dass die Aufgabe, ein möglichst gedeckter Angriff gegen einen Reiter, an sich nicht eine durchaus ein- fache ist, so ist doch eben sowohl zuzugeben, dass der Künstler keineswegs den einfachsten Weg zu ihrer Lösung eingeschla- gen hat. Ein höheres geistiges Interesse hat er freilich auch so seinem Gegenstande nicht abzugewinnen gewusst: selbst der Kopf zeigt uns nichts, als die durch den Moment gebotene Spannung des Körpers, die der Beschauer theilt, ohne dass jetzt schon die Gefühle der Furcht oder des Mitleidens bei ihm Raum gewinnen könnten. Dagegen soll unsere Bewunde- rung erregt werden durch das Aussergewöhnliche und doch Geregelte der ganzen Stellung, die richtige Vertheilung aller Kräfte zwischen dem gewaltigen Vorwärtsdringen, der vor- sichtigen Abwehr und der wohl überlegten Vorbereitung zum Angriff, welche allein es möglich macht, dass der Kämpfer mitten in der höchsten Erregung jeder dieser drei Aufgaben gleichzeitig und in gleich hohem Grade gewachsen erscheint. Nicht weniger endlich sucht der Künstler uns durch den Reich- thum und die Fülle einzelner Formen in Anspruch zu nehmen. Denn je stärker und complicirter die ganze Bewegung ist, um so mannigfaltigere Kräfte werden auch für dieselbe in An- spruch genommen, und ihr Wirken erscheint daher in einer Fülle von Einzelnheiten auf der Oberfläche des Körpers sicht- bar. So liesse sich sogar darüber streiten, welcher Zweck bei dem Künstler der vorwiegende war, ob derjenige, die Hand- lung in ihrer lebendigen Bewegung und Spannung darzustellen, oder der andere, durch die Handlung das ganze Getriebe des Mechanismus im menschlichen Körper vor unseren Augen aus- zubreiten. Wie dem auch sei, immer war es die Absicht, in der Ueberwindung bedeutender Schwierigkeiten zu glänzen, welche den Künstler zu der von ihm gewählten Auffassung seines Gegenstandes vorzugsweise bestimmt hat.
Dieses Streben nach Effect, welches wir in ganz gleicher Weise an den rhodischen Künstlern beobachtet haben, stand aber bei diesen im engsten Zusammenhange mit der sonstigen Eigenthümlichkeit ihres künstlerischen Schaffens und Arbei- tens. Ihre Werke waren nicht die Erzeugnisse eines einfa- chen poetischen Gedankens, der, in einem Momente der Be-
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beabsichtigten. Ein gleiches Streben hat offenbar den Künstler des borghesischen Fechters geleitet. Denn wenn man auch zugeben kann, dass die Aufgabe, ein möglichst gedeckter Angriff gegen einen Reiter, an sich nicht eine durchaus ein- fache ist, so ist doch eben sowohl zuzugeben, dass der Künstler keineswegs den einfachsten Weg zu ihrer Lösung eingeschla- gen hat. Ein höheres geistiges Interesse hat er freilich auch so seinem Gegenstande nicht abzugewinnen gewusst: selbst der Kopf zeigt uns nichts, als die durch den Moment gebotene Spannung des Körpers, die der Beschauer theilt, ohne dass jetzt schon die Gefühle der Furcht oder des Mitleidens bei ihm Raum gewinnen könnten. Dagegen soll unsere Bewunde- rung erregt werden durch das Aussergewöhnliche und doch Geregelte der ganzen Stellung, die richtige Vertheilung aller Kräfte zwischen dem gewaltigen Vorwärtsdringen, der vor- sichtigen Abwehr und der wohl überlegten Vorbereitung zum Angriff, welche allein es möglich macht, dass der Kämpfer mitten in der höchsten Erregung jeder dieser drei Aufgaben gleichzeitig und in gleich hohem Grade gewachsen erscheint. Nicht weniger endlich sucht der Künstler uns durch den Reich- thum und die Fülle einzelner Formen in Anspruch zu nehmen. Denn je stärker und complicirter die ganze Bewegung ist, um so mannigfaltigere Kräfte werden auch für dieselbe in An- spruch genommen, und ihr Wirken erscheint daher in einer Fülle von Einzelnheiten auf der Oberfläche des Körpers sicht- bar. So liesse sich sogar darüber streiten, welcher Zweck bei dem Künstler der vorwiegende war, ob derjenige, die Hand- lung in ihrer lebendigen Bewegung und Spannung darzustellen, oder der andere, durch die Handlung das ganze Getriebe des Mechanismus im menschlichen Körper vor unseren Augen aus- zubreiten. Wie dem auch sei, immer war es die Absicht, in der Ueberwindung bedeutender Schwierigkeiten zu glänzen, welche den Künstler zu der von ihm gewählten Auffassung seines Gegenstandes vorzugsweise bestimmt hat.
Dieses Streben nach Effect, welches wir in ganz gleicher Weise an den rhodischen Künstlern beobachtet haben, stand aber bei diesen im engsten Zusammenhange mit der sonstigen Eigenthümlichkeit ihres künstlerischen Schaffens und Arbei- tens. Ihre Werke waren nicht die Erzeugnisse eines einfa- chen poetischen Gedankens, der, in einem Momente der Be-
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beabsichtigten. Ein gleiches Streben hat offenbar den Künstler
des borghesischen Fechters geleitet. Denn wenn man auch
zugeben kann, dass die Aufgabe, ein möglichst gedeckter
Angriff gegen einen Reiter, an sich nicht eine durchaus ein-
fache ist, so ist doch eben sowohl zuzugeben, dass der Künstler
keineswegs den einfachsten Weg zu ihrer Lösung eingeschla-
gen hat. Ein höheres geistiges Interesse hat er freilich auch
so seinem Gegenstande nicht abzugewinnen gewusst: selbst
der Kopf zeigt uns nichts, als die durch den Moment gebotene
Spannung des Körpers, die der Beschauer theilt, ohne dass
jetzt schon die Gefühle der Furcht oder des Mitleidens bei
ihm Raum gewinnen könnten. Dagegen soll unsere Bewunde-
rung erregt werden durch das Aussergewöhnliche und doch
Geregelte der ganzen Stellung, die richtige Vertheilung aller
Kräfte zwischen dem gewaltigen Vorwärtsdringen, der vor-
sichtigen Abwehr und der wohl überlegten Vorbereitung zum
Angriff, welche allein es möglich macht, dass der Kämpfer
mitten in der höchsten Erregung jeder dieser drei Aufgaben
gleichzeitig und in gleich hohem Grade gewachsen erscheint.
Nicht weniger endlich sucht der Künstler uns durch den Reich-
thum und die Fülle einzelner Formen in Anspruch zu nehmen.
Denn je stärker und complicirter die ganze Bewegung ist, um
so mannigfaltigere Kräfte werden auch für dieselbe in An-
spruch genommen, und ihr Wirken erscheint daher in einer
Fülle von Einzelnheiten auf der Oberfläche des Körpers sicht-
bar. So liesse sich sogar darüber streiten, welcher Zweck bei
dem Künstler der vorwiegende war, ob derjenige, die Hand-
lung in ihrer lebendigen Bewegung und Spannung darzustellen,
oder der andere, durch die Handlung das ganze Getriebe des
Mechanismus im menschlichen Körper vor unseren Augen aus-
zubreiten. Wie dem auch sei, immer war es die Absicht, in
der Ueberwindung bedeutender Schwierigkeiten zu glänzen,
welche den Künstler zu der von ihm gewählten Auffassung
seines Gegenstandes vorzugsweise bestimmt hat.
Dieses Streben nach Effect, welches wir in ganz gleicher
Weise an den rhodischen Künstlern beobachtet haben, stand
aber bei diesen im engsten Zusammenhange mit der sonstigen
Eigenthümlichkeit ihres künstlerischen Schaffens und Arbei-
tens. Ihre Werke waren nicht die Erzeugnisse eines einfa-
chen poetischen Gedankens, der, in einem Momente der Be-
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/592>, abgerufen am 22.11.2024.
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