Ueberblicken wir jetzt noch einmal die bisherigen Beobach- tungen, so ist allerdings darunter keine von der Art, dass sie für sich allein genügte, dem Künstler eine feste Stelle in der Entwickelungsgeschichte der Kunst anzuweisen. Indessen deu- ten sie alle in gleicher Weise auf eine verhältnissmässig späte Zeit, mindestens auf die Periode nach Alexander. Mit dem Ueberwiegen gelehrter Studien in derselben würde sich jene litterarisch-philosophische Auffassung der Apotheose des Ho- mer allerdings leicht in Einklang bringen lassen. Doch wird einer Seits diese Geistesrichtung durch die Herrschaft der Rö- mer keineswegs so plötzlich abgeschnitten, dass nicht auch unter der letzteren eine Composition, wie die unseres Reliefs, entstanden sein könnte. Anderer Seits steht dasselbe in den mehr künstlerischen Beziehungen, in der Erfindung und Durch- führung des Einzelnen, keineswegs so hoch, wie wir es von der Meisterschaft der Diadochenperiode in der Beherrschung aller Mittel der künstlerischen Darstellung erwarten durften. Führen daher äussere Umstände uns auf einen Zusammenhang der Apotheose mit der Tabula Iliaca und einem ganzen Cyclus von Darstellungen, die auf umfassenden und gelehrten mytho- logischen, historischen und litteraturgeschichtlichen Studien beruhen, so werden wir gewiss diese Umstände nicht von vornherein als reine Zufälligkeiten von der Hand weisen, son- dern als den Schlüssel anerkennen dürfen, der uns ein in jeder Beziehung befriedigendes Verständniss eröffnet. -- Als ein Werk aus den ersten Regierungsjahren des Tiberius und von der Hand eines kleinasiatischen Künstlers gewährt uns nun die Apotheose eine schöne Ergänzung dessen, was wir aus der Betrachtung des borghesischen Fechters über die noch aus der vorigen Periode herüberragende Entwickelung der klein- asiatischen Kunst geschlossen haben. Unser Relief kann freilich seinem Gegenstande nach nicht auf ein dramatisches Interesse Anspruch machen; und ohne eine lebhaft bewegte Handlung müssen auch die Figuren durchgängig in Haltung und Bewegung ruhig erscheinen. Dagegen ist in allen übri- gen Beziehungen wenigstens das Streben dem der früheren Periode durchaus verwandt. Die ganze Composition heruht auf feiner und berechneter Ueberlegung; sie ist reich an feinen Bezügen sowohl zwischen den einzelnen Figuren, als zwischen den Gruppen und grösseren Gliederungen. Die Durchführung
Ueberblicken wir jetzt noch einmal die bisherigen Beobach- tungen, so ist allerdings darunter keine von der Art, dass sie für sich allein genügte, dem Künstler eine feste Stelle in der Entwickelungsgeschichte der Kunst anzuweisen. Indessen deu- ten sie alle in gleicher Weise auf eine verhältnissmässig späte Zeit, mindestens auf die Periode nach Alexander. Mit dem Ueberwiegen gelehrter Studien in derselben würde sich jene litterarisch-philosophische Auffassung der Apotheose des Ho- mer allerdings leicht in Einklang bringen lassen. Doch wird einer Seits diese Geistesrichtung durch die Herrschaft der Rö- mer keineswegs so plötzlich abgeschnitten, dass nicht auch unter der letzteren eine Composition, wie die unseres Reliefs, entstanden sein könnte. Anderer Seits steht dasselbe in den mehr künstlerischen Beziehungen, in der Erfindung und Durch- führung des Einzelnen, keineswegs so hoch, wie wir es von der Meisterschaft der Diadochenperiode in der Beherrschung aller Mittel der künstlerischen Darstellung erwarten durften. Führen daher äussere Umstände uns auf einen Zusammenhang der Apotheose mit der Tabula Iliaca und einem ganzen Cyclus von Darstellungen, die auf umfassenden und gelehrten mytho- logischen, historischen und litteraturgeschichtlichen Studien beruhen, so werden wir gewiss diese Umstände nicht von vornherein als reine Zufälligkeiten von der Hand weisen, son- dern als den Schlüssel anerkennen dürfen, der uns ein in jeder Beziehung befriedigendes Verständniss eröffnet. — Als ein Werk aus den ersten Regierungsjahren des Tiberius und von der Hand eines kleinasiatischen Künstlers gewährt uns nun die Apotheose eine schöne Ergänzung dessen, was wir aus der Betrachtung des borghesischen Fechters über die noch aus der vorigen Periode herüberragende Entwickelung der klein- asiatischen Kunst geschlossen haben. Unser Relief kann freilich seinem Gegenstande nach nicht auf ein dramatisches Interesse Anspruch machen; und ohne eine lebhaft bewegte Handlung müssen auch die Figuren durchgängig in Haltung und Bewegung ruhig erscheinen. Dagegen ist in allen übri- gen Beziehungen wenigstens das Streben dem der früheren Periode durchaus verwandt. Die ganze Composition heruht auf feiner und berechneter Ueberlegung; sie ist reich an feinen Bezügen sowohl zwischen den einzelnen Figuren, als zwischen den Gruppen und grösseren Gliederungen. Die Durchführung
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Ueberblicken wir jetzt noch einmal die bisherigen Beobach-
tungen, so ist allerdings darunter keine von der Art, dass sie
für sich allein genügte, dem Künstler eine feste Stelle in der
Entwickelungsgeschichte der Kunst anzuweisen. Indessen deu-
ten sie alle in gleicher Weise auf eine verhältnissmässig späte
Zeit, mindestens auf die Periode nach Alexander. Mit dem
Ueberwiegen gelehrter Studien in derselben würde sich jene
litterarisch-philosophische Auffassung der Apotheose des Ho-
mer allerdings leicht in Einklang bringen lassen. Doch wird
einer Seits diese Geistesrichtung durch die Herrschaft der Rö-
mer keineswegs so plötzlich abgeschnitten, dass nicht auch
unter der letzteren eine Composition, wie die unseres Reliefs,
entstanden sein könnte. Anderer Seits steht dasselbe in den
mehr künstlerischen Beziehungen, in der Erfindung und Durch-
führung des Einzelnen, keineswegs so hoch, wie wir es von
der Meisterschaft der Diadochenperiode in der Beherrschung
aller Mittel der künstlerischen Darstellung erwarten durften.
Führen daher äussere Umstände uns auf einen Zusammenhang
der Apotheose mit der Tabula Iliaca und einem ganzen Cyclus
von Darstellungen, die auf umfassenden und gelehrten mytho-
logischen, historischen und litteraturgeschichtlichen Studien
beruhen, so werden wir gewiss diese Umstände nicht von
vornherein als reine Zufälligkeiten von der Hand weisen, son-
dern als den Schlüssel anerkennen dürfen, der uns ein in jeder
Beziehung befriedigendes Verständniss eröffnet. — Als ein
Werk aus den ersten Regierungsjahren des Tiberius und von
der Hand eines kleinasiatischen Künstlers gewährt uns nun
die Apotheose eine schöne Ergänzung dessen, was wir aus
der Betrachtung des borghesischen Fechters über die noch aus
der vorigen Periode herüberragende Entwickelung der klein-
asiatischen Kunst geschlossen haben. Unser Relief kann
freilich seinem Gegenstande nach nicht auf ein dramatisches
Interesse Anspruch machen; und ohne eine lebhaft bewegte
Handlung müssen auch die Figuren durchgängig in Haltung
und Bewegung ruhig erscheinen. Dagegen ist in allen übri-
gen Beziehungen wenigstens das Streben dem der früheren
Periode durchaus verwandt. Die ganze Composition heruht
auf feiner und berechneter Ueberlegung; sie ist reich an feinen
Bezügen sowohl zwischen den einzelnen Figuren, als zwischen
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 590. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/603>, abgerufen am 21.11.2024.
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