Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

Kentauren des capitolinischen Museums von Aristeas und Pa-
pias. Von diesen Statuen kommen auch sonst mehrfache Wie-
derholungen vor, so in Paris aus der borghesischen Samm-
lung, im Vatican, endlich Fragmente von wenigstens zwei
Exemplaren, die vor einigen Jahren bei Albano gefunden wur-
den, Der Werth der Ausführung ist sehr verschieden; aber
die Vergleichung lehrt, dass allen ein vorzügliches Original zu
Grunde liegt. Der Grundcharakter des Kentauren, des an ein
rauhes Leben im Walde gewöhnten Menschen, ist vortrefflich
erfasst und in allen Formen festgehalten, während zugleich
doch auch die durch die Handlung gegebene Stimmung ihren
bestimmten Ausdruck gefunden hat. Dem älteren von Beiden
sind von einem Eros oder bacchischen Dämon (welcher in dem
pariser Exemplar erhalten ist) die Hände auf den Rücken ge-
bunden; er ist wehrlos gemacht, und seine sonstige Wildheit
erscheint zu schwermüthiger Trauer umgestimmt. Aber wie
die Fessel nicht hindert, in seinem Körper die volle natürliche
Kraft zu erkennen, so schimmert auch durch die augenblick-
liche Melancholie die angeborene Wildheit überall durch. Der
jüngere jubelt und höhnt das Geschick seines Genossen, ohne
zu bedenken, dass Gleiches ihm selbst bevorsteht; und wir
glauben schon in seinem Jubel die Ungefügigkeit und Unbän-
digkeit zu erkennen, die sich seiner im Gegensatz zu der
schwermüthigen Resignation des älteren bemächtigen wird,
sobald das Geschick ihn ereilt. Ein so rein durchgebildeter
Typus, eine so fein in ihren Gegensätzen abgewogene und ab-
gerundete Handlung ist sicherlich nicht erst in der hadriani-
schen Zeit erfunden worden. Dagegen liesse sich wohl die
Frage aufwerfen, ob Aristeas und Papias die Erfinder des Ori-
ginals oder nur die Verfertiger der capitolinischen Copie wa-
ren. Für die letztere Annahme spricht zuerst, dass gerade
aus dieser späteren Zeit noch einige andere Künstler aus Aphro-
disias bekannt sind. Sodann aber sind die capitolinischen Sta-
tuen nicht Copien gewöhnlicher Art, sondern mit grosser Prä-
tension ausgeführt, welche die Namensaufschrift auch der Co-
pisten erklärlich erscheinen lässt. Sie wollten, wo möglich,
in ihrer Nachbildung den Originalen noch neue Schönheiten
hinzufügen; oder es sollten, sofern dieselben in Bronze aus-
geführt waren, auch im Marmor alle die Vorzuge sichtbar
werden, welche nur dem ersten Stoffe eigenthümlich sind,

Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 38

Kentauren des capitolinischen Museums von Aristeas und Pa-
pias. Von diesen Statuen kommen auch sonst mehrfache Wie-
derholungen vor, so in Paris aus der borghesischen Samm-
lung, im Vatican, endlich Fragmente von wenigstens zwei
Exemplaren, die vor einigen Jahren bei Albano gefunden wur-
den, Der Werth der Ausführung ist sehr verschieden; aber
die Vergleichung lehrt, dass allen ein vorzügliches Original zu
Grunde liegt. Der Grundcharakter des Kentauren, des an ein
rauhes Leben im Walde gewöhnten Menschen, ist vortrefflich
erfasst und in allen Formen festgehalten, während zugleich
doch auch die durch die Handlung gegebene Stimmung ihren
bestimmten Ausdruck gefunden hat. Dem älteren von Beiden
sind von einem Eros oder bacchischen Dämon (welcher in dem
pariser Exemplar erhalten ist) die Hände auf den Rücken ge-
bunden; er ist wehrlos gemacht, und seine sonstige Wildheit
erscheint zu schwermüthiger Trauer umgestimmt. Aber wie
die Fessel nicht hindert, in seinem Körper die volle natürliche
Kraft zu erkennen, so schimmert auch durch die augenblick-
liche Melancholie die angeborene Wildheit überall durch. Der
jüngere jubelt und höhnt das Geschick seines Genossen, ohne
zu bedenken, dass Gleiches ihm selbst bevorsteht; und wir
glauben schon in seinem Jubel die Ungefügigkeit und Unbän-
digkeit zu erkennen, die sich seiner im Gegensatz zu der
schwermüthigen Resignation des älteren bemächtigen wird,
sobald das Geschick ihn ereilt. Ein so rein durchgebildeter
Typus, eine so fein in ihren Gegensätzen abgewogene und ab-
gerundete Handlung ist sicherlich nicht erst in der hadriani-
schen Zeit erfunden worden. Dagegen liesse sich wohl die
Frage aufwerfen, ob Aristeas und Papias die Erfinder des Ori-
ginals oder nur die Verfertiger der capitolinischen Copie wa-
ren. Für die letztere Annahme spricht zuerst, dass gerade
aus dieser späteren Zeit noch einige andere Künstler aus Aphro-
disias bekannt sind. Sodann aber sind die capitolinischen Sta-
tuen nicht Copien gewöhnlicher Art, sondern mit grosser Prä-
tension ausgeführt, welche die Namensaufschrift auch der Co-
pisten erklärlich erscheinen lässt. Sie wollten, wo möglich,
in ihrer Nachbildung den Originalen noch neue Schönheiten
hinzufügen; oder es sollten, sofern dieselben in Bronze aus-
geführt waren, auch im Marmor alle die Vorzǔge sichtbar
werden, welche nur dem ersten Stoffe eigenthümlich sind,

Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 38
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0606" n="593"/>
Kentauren des capitolinischen Museums von Aristeas und Pa-<lb/>
pias. Von diesen Statuen kommen auch sonst mehrfache Wie-<lb/>
derholungen vor, so in Paris aus der borghesischen Samm-<lb/>
lung, im Vatican, endlich Fragmente von wenigstens zwei<lb/>
Exemplaren, die vor einigen Jahren bei Albano gefunden wur-<lb/>
den, Der Werth der Ausführung ist sehr verschieden; aber<lb/>
die Vergleichung lehrt, dass allen ein vorzügliches Original zu<lb/>
Grunde liegt. Der Grundcharakter des Kentauren, des an ein<lb/>
rauhes Leben im Walde gewöhnten Menschen, ist vortrefflich<lb/>
erfasst und in allen Formen festgehalten, während zugleich<lb/>
doch auch die durch die Handlung gegebene Stimmung ihren<lb/>
bestimmten Ausdruck gefunden hat. Dem älteren von Beiden<lb/>
sind von einem Eros oder bacchischen Dämon (welcher in dem<lb/>
pariser Exemplar erhalten ist) die Hände auf den Rücken ge-<lb/>
bunden; er ist wehrlos gemacht, und seine sonstige Wildheit<lb/>
erscheint zu schwermüthiger Trauer umgestimmt. Aber wie<lb/>
die Fessel nicht hindert, in seinem Körper die volle natürliche<lb/>
Kraft zu erkennen, so schimmert auch durch die augenblick-<lb/>
liche Melancholie die angeborene Wildheit überall durch. Der<lb/>
jüngere jubelt und höhnt das Geschick seines Genossen, ohne<lb/>
zu bedenken, dass Gleiches ihm selbst bevorsteht; und wir<lb/>
glauben schon in seinem Jubel die Ungefügigkeit und Unbän-<lb/>
digkeit zu erkennen, die sich seiner im Gegensatz zu der<lb/>
schwermüthigen Resignation des älteren bemächtigen wird,<lb/>
sobald das Geschick ihn ereilt. Ein so rein durchgebildeter<lb/>
Typus, eine so fein in ihren Gegensätzen abgewogene und ab-<lb/>
gerundete Handlung ist sicherlich nicht erst in der hadriani-<lb/>
schen Zeit erfunden worden. Dagegen liesse sich wohl die<lb/>
Frage aufwerfen, ob Aristeas und Papias die Erfinder des Ori-<lb/>
ginals oder nur die Verfertiger der capitolinischen Copie wa-<lb/>
ren. Für die letztere Annahme spricht zuerst, dass gerade<lb/>
aus dieser späteren Zeit noch einige andere Künstler aus Aphro-<lb/>
disias bekannt sind. Sodann aber sind die capitolinischen Sta-<lb/>
tuen nicht Copien gewöhnlicher Art, sondern mit grosser Prä-<lb/>
tension ausgeführt, welche die Namensaufschrift auch der Co-<lb/>
pisten erklärlich erscheinen lässt. Sie wollten, wo möglich,<lb/>
in ihrer Nachbildung den Originalen noch neue Schönheiten<lb/>
hinzufügen; oder es sollten, sofern dieselben in Bronze aus-<lb/>
geführt waren, auch im Marmor alle die Vorz&#x01D4;ge sichtbar<lb/>
werden, welche nur dem ersten Stoffe eigenthümlich sind,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Brunn,</hi> Geschichte der griech. Künstler.</hi> 38</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[593/0606] Kentauren des capitolinischen Museums von Aristeas und Pa- pias. Von diesen Statuen kommen auch sonst mehrfache Wie- derholungen vor, so in Paris aus der borghesischen Samm- lung, im Vatican, endlich Fragmente von wenigstens zwei Exemplaren, die vor einigen Jahren bei Albano gefunden wur- den, Der Werth der Ausführung ist sehr verschieden; aber die Vergleichung lehrt, dass allen ein vorzügliches Original zu Grunde liegt. Der Grundcharakter des Kentauren, des an ein rauhes Leben im Walde gewöhnten Menschen, ist vortrefflich erfasst und in allen Formen festgehalten, während zugleich doch auch die durch die Handlung gegebene Stimmung ihren bestimmten Ausdruck gefunden hat. Dem älteren von Beiden sind von einem Eros oder bacchischen Dämon (welcher in dem pariser Exemplar erhalten ist) die Hände auf den Rücken ge- bunden; er ist wehrlos gemacht, und seine sonstige Wildheit erscheint zu schwermüthiger Trauer umgestimmt. Aber wie die Fessel nicht hindert, in seinem Körper die volle natürliche Kraft zu erkennen, so schimmert auch durch die augenblick- liche Melancholie die angeborene Wildheit überall durch. Der jüngere jubelt und höhnt das Geschick seines Genossen, ohne zu bedenken, dass Gleiches ihm selbst bevorsteht; und wir glauben schon in seinem Jubel die Ungefügigkeit und Unbän- digkeit zu erkennen, die sich seiner im Gegensatz zu der schwermüthigen Resignation des älteren bemächtigen wird, sobald das Geschick ihn ereilt. Ein so rein durchgebildeter Typus, eine so fein in ihren Gegensätzen abgewogene und ab- gerundete Handlung ist sicherlich nicht erst in der hadriani- schen Zeit erfunden worden. Dagegen liesse sich wohl die Frage aufwerfen, ob Aristeas und Papias die Erfinder des Ori- ginals oder nur die Verfertiger der capitolinischen Copie wa- ren. Für die letztere Annahme spricht zuerst, dass gerade aus dieser späteren Zeit noch einige andere Künstler aus Aphro- disias bekannt sind. Sodann aber sind die capitolinischen Sta- tuen nicht Copien gewöhnlicher Art, sondern mit grosser Prä- tension ausgeführt, welche die Namensaufschrift auch der Co- pisten erklärlich erscheinen lässt. Sie wollten, wo möglich, in ihrer Nachbildung den Originalen noch neue Schönheiten hinzufügen; oder es sollten, sofern dieselben in Bronze aus- geführt waren, auch im Marmor alle die Vorzǔge sichtbar werden, welche nur dem ersten Stoffe eigenthümlich sind, Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 38

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/606
Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 593. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/606>, abgerufen am 21.11.2024.