Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

der Copie nicht leicht verwischt werden können; und unsere
Meinung von dem Werth des Künstlers müsste dadurch nur
gehoben werden. -- Da wir keinen andern Künstler des Na-
mens Stephanos kennen, so werden wir diesem, dem Schüler
des Pasiteles, die Marmorstatuen der Appiaden im Besitze des
Asinius Pollio (Plin. 36, 33) beilegen müssen, zumal da in
dessen Sammlung auch andere Werke der späteren Zeit sich
befanden. Vielleicht waren sie der Darstellung der appischen
Quellnymphe an einem Brunnen auf dem Forum des Caesar
verwandt (vgl. Jacobi myth. Wörterb. unter Appias).

Noch um ein Glied weiter vermögen wir die Schule des
Pasiteles zu verfolgen:

Menelaos bezeichnet sich als Schüler des Stephanos auf
einer Marmorgruppe der Villa Ludovisi:

[Abbildung]
C. I. Gr. n. 6166. Wir erblicken in derselben eine weibliche
Figur mittleren Alters in zutraulichem Gespräche mit einem
noch nicht vollständig herangewachsenen Jünglinge. Von Er-
klärungsversuchen giebt es eine ganze Menge: um von den
gänzlich unhaltbaren zu schweigen, welche römische Namen
vorschlagen, erwähne ich: Elektra und Orestes, Penelope und
Telemachos, Aethra und Theseus. Für jede dieser Benennun-
gen lassen sich gewisse Gründe aufführen, aber keine ist so
schlagend, dass sie die anderen nothwendig ausschlösse und
uns zu ihrer Annahme zwänge. Am meisten haben wir bei
diesem Schwanken gewiss unsere eigene Unwissenheit anzu-
klagen; einen kleinen Theil der Schuld dürfen wir aber auch
dem Künstler beimessen, in sofern er eine bestimmte Hand-
lung nicht scharf genug charakterisirt, sondern zu einem liebe-
vollen Verhältniss zwischen Mutter und Sohn, oder älterer
Schwester und Bruder im Allgemeinen verflacht hat, einem
Verhältnisse, dem vom rein menschlichen Standpunkte zur
Schönheit sicherlich nichts gebricht, das aber dennoch nur zu

der Copie nicht leicht verwischt werden können; und unsere
Meinung von dem Werth des Künstlers müsste dadurch nur
gehoben werden. — Da wir keinen andern Künstler des Na-
mens Stephanos kennen, so werden wir diesem, dem Schüler
des Pasiteles, die Marmorstatuen der Appiaden im Besitze des
Asinius Pollio (Plin. 36, 33) beilegen müssen, zumal da in
dessen Sammlung auch andere Werke der späteren Zeit sich
befanden. Vielleicht waren sie der Darstellung der appischen
Quellnymphe an einem Brunnen auf dem Forum des Caesar
verwandt (vgl. Jacobi myth. Wörterb. unter Appias).

Noch um ein Glied weiter vermögen wir die Schule des
Pasiteles zu verfolgen:

Menelaos bezeichnet sich als Schüler des Stephanos auf
einer Marmorgruppe der Villa Ludovisi:

[Abbildung]
C. I. Gr. n. 6166. Wir erblicken in derselben eine weibliche
Figur mittleren Alters in zutraulichem Gespräche mit einem
noch nicht vollständig herangewachsenen Jünglinge. Von Er-
klärungsversuchen giebt es eine ganze Menge: um von den
gänzlich unhaltbaren zu schweigen, welche römische Namen
vorschlagen, erwähne ich: Elektra und Orestes, Penelope und
Telemachos, Aethra und Theseus. Für jede dieser Benennun-
gen lassen sich gewisse Gründe aufführen, aber keine ist so
schlagend, dass sie die anderen nothwendig ausschlösse und
uns zu ihrer Annahme zwänge. Am meisten haben wir bei
diesem Schwanken gewiss unsere eigene Unwissenheit anzu-
klagen; einen kleinen Theil der Schuld dürfen wir aber auch
dem Künstler beimessen, in sofern er eine bestimmte Hand-
lung nicht scharf genug charakterisirt, sondern zu einem liebe-
vollen Verhältniss zwischen Mutter und Sohn, oder älterer
Schwester und Bruder im Allgemeinen verflacht hat, einem
Verhältnisse, dem vom rein menschlichen Standpunkte zur
Schönheit sicherlich nichts gebricht, das aber dennoch nur zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0611" n="598"/>
der Copie nicht leicht verwischt werden können; und unsere<lb/>
Meinung von dem Werth des Künstlers müsste dadurch nur<lb/>
gehoben werden. &#x2014; Da wir keinen andern Künstler des Na-<lb/>
mens Stephanos kennen, so werden wir diesem, dem Schüler<lb/>
des Pasiteles, die Marmorstatuen der Appiaden im Besitze des<lb/>
Asinius Pollio (Plin. 36, 33) beilegen müssen, zumal da in<lb/>
dessen Sammlung auch andere Werke der späteren Zeit sich<lb/>
befanden. Vielleicht waren sie der Darstellung der appischen<lb/>
Quellnymphe an einem Brunnen auf dem Forum des Caesar<lb/>
verwandt (vgl. Jacobi myth. Wörterb. unter Appias).</p><lb/>
            <p>Noch um ein Glied weiter vermögen wir die Schule des<lb/>
Pasiteles zu verfolgen:</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Menelaos</hi> bezeichnet sich als Schüler des Stephanos auf<lb/>
einer Marmorgruppe der Villa Ludovisi:<lb/><figure/><lb/>
C. I. Gr. n. 6166. Wir erblicken in derselben eine weibliche<lb/>
Figur mittleren Alters in zutraulichem Gespräche mit einem<lb/>
noch nicht vollständig herangewachsenen Jünglinge. Von Er-<lb/>
klärungsversuchen giebt es eine ganze Menge: um von den<lb/>
gänzlich unhaltbaren zu schweigen, welche römische Namen<lb/>
vorschlagen, erwähne ich: Elektra und Orestes, Penelope und<lb/>
Telemachos, Aethra und Theseus. Für jede dieser Benennun-<lb/>
gen lassen sich gewisse Gründe aufführen, aber keine ist so<lb/>
schlagend, dass sie die anderen nothwendig ausschlösse und<lb/>
uns zu ihrer Annahme zwänge. Am meisten haben wir bei<lb/>
diesem Schwanken gewiss unsere eigene Unwissenheit anzu-<lb/>
klagen; einen kleinen Theil der Schuld dürfen wir aber auch<lb/>
dem Künstler beimessen, in sofern er eine bestimmte Hand-<lb/>
lung nicht scharf genug charakterisirt, sondern zu einem liebe-<lb/>
vollen Verhältniss zwischen Mutter und Sohn, oder älterer<lb/>
Schwester und Bruder im Allgemeinen verflacht hat, einem<lb/>
Verhältnisse, dem vom rein menschlichen Standpunkte zur<lb/>
Schönheit sicherlich nichts gebricht, das aber dennoch nur zu<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[598/0611] der Copie nicht leicht verwischt werden können; und unsere Meinung von dem Werth des Künstlers müsste dadurch nur gehoben werden. — Da wir keinen andern Künstler des Na- mens Stephanos kennen, so werden wir diesem, dem Schüler des Pasiteles, die Marmorstatuen der Appiaden im Besitze des Asinius Pollio (Plin. 36, 33) beilegen müssen, zumal da in dessen Sammlung auch andere Werke der späteren Zeit sich befanden. Vielleicht waren sie der Darstellung der appischen Quellnymphe an einem Brunnen auf dem Forum des Caesar verwandt (vgl. Jacobi myth. Wörterb. unter Appias). Noch um ein Glied weiter vermögen wir die Schule des Pasiteles zu verfolgen: Menelaos bezeichnet sich als Schüler des Stephanos auf einer Marmorgruppe der Villa Ludovisi: [Abbildung] C. I. Gr. n. 6166. Wir erblicken in derselben eine weibliche Figur mittleren Alters in zutraulichem Gespräche mit einem noch nicht vollständig herangewachsenen Jünglinge. Von Er- klärungsversuchen giebt es eine ganze Menge: um von den gänzlich unhaltbaren zu schweigen, welche römische Namen vorschlagen, erwähne ich: Elektra und Orestes, Penelope und Telemachos, Aethra und Theseus. Für jede dieser Benennun- gen lassen sich gewisse Gründe aufführen, aber keine ist so schlagend, dass sie die anderen nothwendig ausschlösse und uns zu ihrer Annahme zwänge. Am meisten haben wir bei diesem Schwanken gewiss unsere eigene Unwissenheit anzu- klagen; einen kleinen Theil der Schuld dürfen wir aber auch dem Künstler beimessen, in sofern er eine bestimmte Hand- lung nicht scharf genug charakterisirt, sondern zu einem liebe- vollen Verhältniss zwischen Mutter und Sohn, oder älterer Schwester und Bruder im Allgemeinen verflacht hat, einem Verhältnisse, dem vom rein menschlichen Standpunkte zur Schönheit sicherlich nichts gebricht, das aber dennoch nur zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/611
Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/611>, abgerufen am 21.11.2024.