Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

Grundlage sorgfältiger Studien der Natur und dessen, was frü-
her geleistet war. Er erkannte die Nothwendigkeit, zur Na-
tur als dem Urquell aller Kunst immer von Neuem zurückzukeh-
ren, nicht um sie in dem Kunstwerke sklavisch nachzuahmen
oder diese Nachahmung zum Hauptzweck zu erheben, sondern
um an ihr zu lernen. Um aber bei dem steten Wechsel ihrer
Erscheinungen eine Richtschnur zu gewinnen, nach welcher
die Natur überhaupt für die Zwecke der Kunst zu benutzen
sei, wendete er sich mit Eifer dem Studium der älteren Kunst
zu. An ihr konnte sich der Sinn bilden und läutern und zu
einem ähnlichen Adel der Auffassung emporarbeiten, wie er
sich überall in ihren Werken ausspricht. Es ist begreiflich,
wenn auf diesem Wege nicht Werke von einer hohen Geniali-
tät entstanden; aber es ward wenigstens der Ausartung und
der gänzlichen Verflachung eine wirksame Schutzwehr ent-
gegengesetzt. Leider sind wir nicht im Stande, eine grössere
Zahl von erhaltenen Werken nach äusseren Zeugnissen der
Schule des Pasiteles beizulegen. Doch werden einem Auge,
welches sich die Eigenthümlichkeiten, namentlich der Gruppe
des Menelaos, recht scharf eingeprägt hat, nicht selten Werke
begegnen, welche in ihrer ganzen Behandlung eine grosse
Aehnlichkeit mit ihr verrathen und, ohne auf einen glänzen-
den Effect Anspruch zu machen, doch durch das sichtbare
Streben nach Reinheit und Selbstständigkeit vor der Masse
auch guter Copien sich vortheilhaft auszeichnen. Für die
weitere Entwickelung der Kunst in Rom war es auf jeden
Fall von hoher Bedeutung, dass sich durch diese Schule eine
wesentlich neue, mit keiner früheren in unmittelbarem Zu-
sammenhange stehende Richtung Bahn brach.

Dass diese Erscheinung nicht vereinzelt stand, sondern in
dem ganzen Geiste der Zeit begründet sein musste, werden
uns die Nachrichten über den folgenden Künstler, einen Zeit-
genossen des Pasiteles, lehren.

Arkesilaos.

Die Zeit seiner Thätigkeit wird genau dadurch bestimmt,
dass er für den von Caesar 46 v. Ch. G. geweihten Tempel
der Venus Genetrix das Bild der Göttin machte, welches wegen
der Eile des Caesar schon vor der Vollendung (vielleicht im
Modell) aufgestellt und geweiht ward. Ein zweites Götter-
bild, das der Felicitas, welches der dem Künstler befreundete

Grundlage sorgfältiger Studien der Natur und dessen, was frü-
her geleistet war. Er erkannte die Nothwendigkeit, zur Na-
tur als dem Urquell aller Kunst immer von Neuem zurückzukeh-
ren, nicht um sie in dem Kunstwerke sklavisch nachzuahmen
oder diese Nachahmung zum Hauptzweck zu erheben, sondern
um an ihr zu lernen. Um aber bei dem steten Wechsel ihrer
Erscheinungen eine Richtschnur zu gewinnen, nach welcher
die Natur überhaupt für die Zwecke der Kunst zu benutzen
sei, wendete er sich mit Eifer dem Studium der älteren Kunst
zu. An ihr konnte sich der Sinn bilden und läutern und zu
einem ähnlichen Adel der Auffassung emporarbeiten, wie er
sich überall in ihren Werken ausspricht. Es ist begreiflich,
wenn auf diesem Wege nicht Werke von einer hohen Geniali-
tät entstanden; aber es ward wenigstens der Ausartung und
der gänzlichen Verflachung eine wirksame Schutzwehr ent-
gegengesetzt. Leider sind wir nicht im Stande, eine grössere
Zahl von erhaltenen Werken nach äusseren Zeugnissen der
Schule des Pasiteles beizulegen. Doch werden einem Auge,
welches sich die Eigenthümlichkeiten, namentlich der Gruppe
des Menelaos, recht scharf eingeprägt hat, nicht selten Werke
begegnen, welche in ihrer ganzen Behandlung eine grosse
Aehnlichkeit mit ihr verrathen und, ohne auf einen glänzen-
den Effect Anspruch zu machen, doch durch das sichtbare
Streben nach Reinheit und Selbstständigkeit vor der Masse
auch guter Copien sich vortheilhaft auszeichnen. Für die
weitere Entwickelung der Kunst in Rom war es auf jeden
Fall von hoher Bedeutung, dass sich durch diese Schule eine
wesentlich neue, mit keiner früheren in unmittelbarem Zu-
sammenhange stehende Richtung Bahn brach.

Dass diese Erscheinung nicht vereinzelt stand, sondern in
dem ganzen Geiste der Zeit begründet sein musste, werden
uns die Nachrichten über den folgenden Künstler, einen Zeit-
genossen des Pasiteles, lehren.

Arkesilaos.

Die Zeit seiner Thätigkeit wird genau dadurch bestimmt,
dass er für den von Caesar 46 v. Ch. G. geweihten Tempel
der Venus Genetrix das Bild der Göttin machte, welches wegen
der Eile des Caesar schon vor der Vollendung (vielleicht im
Modell) aufgestellt und geweiht ward. Ein zweites Götter-
bild, das der Felicitas, welches der dem Künstler befreundete

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0613" n="600"/>
Grundlage sorgfältiger Studien der Natur und dessen, was frü-<lb/>
her geleistet war. Er erkannte die Nothwendigkeit, zur Na-<lb/>
tur als dem Urquell aller Kunst immer von Neuem zurückzukeh-<lb/>
ren, nicht um sie in dem Kunstwerke sklavisch nachzuahmen<lb/>
oder diese Nachahmung zum Hauptzweck zu erheben, sondern<lb/>
um an ihr zu lernen. Um aber bei dem steten Wechsel ihrer<lb/>
Erscheinungen eine Richtschnur zu gewinnen, nach welcher<lb/>
die Natur überhaupt für die Zwecke der Kunst zu benutzen<lb/>
sei, wendete er sich mit Eifer dem Studium der älteren Kunst<lb/>
zu. An ihr konnte sich der Sinn bilden und läutern und zu<lb/>
einem ähnlichen Adel der Auffassung emporarbeiten, wie er<lb/>
sich überall in ihren Werken ausspricht. Es ist begreiflich,<lb/>
wenn auf diesem Wege nicht Werke von einer hohen Geniali-<lb/>
tät entstanden; aber es ward wenigstens der Ausartung und<lb/>
der gänzlichen Verflachung eine wirksame Schutzwehr ent-<lb/>
gegengesetzt. Leider sind wir nicht im Stande, eine grössere<lb/>
Zahl von erhaltenen Werken nach äusseren Zeugnissen der<lb/>
Schule des Pasiteles beizulegen. Doch werden einem Auge,<lb/>
welches sich die Eigenthümlichkeiten, namentlich der Gruppe<lb/>
des Menelaos, recht scharf eingeprägt hat, nicht selten Werke<lb/>
begegnen, welche in ihrer ganzen Behandlung eine grosse<lb/>
Aehnlichkeit mit ihr verrathen und, ohne auf einen glänzen-<lb/>
den Effect Anspruch zu machen, doch durch das sichtbare<lb/>
Streben nach Reinheit und Selbstständigkeit vor der Masse<lb/>
auch guter Copien sich vortheilhaft auszeichnen. Für die<lb/>
weitere Entwickelung der Kunst in Rom war es auf jeden<lb/>
Fall von hoher Bedeutung, dass sich durch diese Schule eine<lb/>
wesentlich neue, mit keiner früheren in unmittelbarem Zu-<lb/>
sammenhange stehende Richtung Bahn brach.</p><lb/>
            <p>Dass diese Erscheinung nicht vereinzelt stand, sondern in<lb/>
dem ganzen Geiste der Zeit begründet sein musste, werden<lb/>
uns die Nachrichten über den folgenden Künstler, einen Zeit-<lb/>
genossen des Pasiteles, lehren.</p><lb/>
            <p> <hi rendition="#g">Arkesilaos.</hi> </p><lb/>
            <p>Die Zeit seiner Thätigkeit wird genau dadurch bestimmt,<lb/>
dass er für den von Caesar 46 v. Ch. G. geweihten Tempel<lb/>
der Venus Genetrix das Bild der Göttin machte, welches wegen<lb/>
der Eile des Caesar schon vor der Vollendung (vielleicht im<lb/>
Modell) aufgestellt und geweiht ward. Ein zweites Götter-<lb/>
bild, das der Felicitas, welches der dem Künstler befreundete<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[600/0613] Grundlage sorgfältiger Studien der Natur und dessen, was frü- her geleistet war. Er erkannte die Nothwendigkeit, zur Na- tur als dem Urquell aller Kunst immer von Neuem zurückzukeh- ren, nicht um sie in dem Kunstwerke sklavisch nachzuahmen oder diese Nachahmung zum Hauptzweck zu erheben, sondern um an ihr zu lernen. Um aber bei dem steten Wechsel ihrer Erscheinungen eine Richtschnur zu gewinnen, nach welcher die Natur überhaupt für die Zwecke der Kunst zu benutzen sei, wendete er sich mit Eifer dem Studium der älteren Kunst zu. An ihr konnte sich der Sinn bilden und läutern und zu einem ähnlichen Adel der Auffassung emporarbeiten, wie er sich überall in ihren Werken ausspricht. Es ist begreiflich, wenn auf diesem Wege nicht Werke von einer hohen Geniali- tät entstanden; aber es ward wenigstens der Ausartung und der gänzlichen Verflachung eine wirksame Schutzwehr ent- gegengesetzt. Leider sind wir nicht im Stande, eine grössere Zahl von erhaltenen Werken nach äusseren Zeugnissen der Schule des Pasiteles beizulegen. Doch werden einem Auge, welches sich die Eigenthümlichkeiten, namentlich der Gruppe des Menelaos, recht scharf eingeprägt hat, nicht selten Werke begegnen, welche in ihrer ganzen Behandlung eine grosse Aehnlichkeit mit ihr verrathen und, ohne auf einen glänzen- den Effect Anspruch zu machen, doch durch das sichtbare Streben nach Reinheit und Selbstständigkeit vor der Masse auch guter Copien sich vortheilhaft auszeichnen. Für die weitere Entwickelung der Kunst in Rom war es auf jeden Fall von hoher Bedeutung, dass sich durch diese Schule eine wesentlich neue, mit keiner früheren in unmittelbarem Zu- sammenhange stehende Richtung Bahn brach. Dass diese Erscheinung nicht vereinzelt stand, sondern in dem ganzen Geiste der Zeit begründet sein musste, werden uns die Nachrichten über den folgenden Künstler, einen Zeit- genossen des Pasiteles, lehren. Arkesilaos. Die Zeit seiner Thätigkeit wird genau dadurch bestimmt, dass er für den von Caesar 46 v. Ch. G. geweihten Tempel der Venus Genetrix das Bild der Göttin machte, welches wegen der Eile des Caesar schon vor der Vollendung (vielleicht im Modell) aufgestellt und geweiht ward. Ein zweites Götter- bild, das der Felicitas, welches der dem Künstler befreundete

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/613
Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/613>, abgerufen am 21.11.2024.