unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sondern eine neue Entwickelung des griechischen Geistes. Das Staatsleben nimmt an vielen Orten neue, bestimmtere Gestalten an, welche auch für die höchsten Entwickelungen eine tüchtige Grundlage ab- geben. Die sieben Weisen, meist praktische Staatsmänner, treten gerade in dieser Zeit auf. Wie aber im Staate die al- ten Formen immer mehr schwinden, so verliert auch in der Literatur die Poesie ihre bisherige Alleinherrschaft. Neben poetischem Anschauen und Schaffen zeigt sich immer mehr reines Beobachten und Denken über Vorhandenes und Gewe- senes, über die Gründe der Dinge; wir hören von den ersten Philosophen und Geschichtschreibern die zuerst in den Gegen- ständen ihrer geistigen Thätigkeit, bald aber auch in der Form von der Poesie sich lossagen. Dürfen wir uns daher wundern, wenn auch auf dem Felde der Kunst sich ein neues Leben regt? Sie entbehrte bisher der Freiheit, sie stand im Dienste der Priester oder des Handwerkes. Im Dienste der Priester machte sie Bilder, welche die Gottheit vielmehr bedeuten, als darstellen sollten; im Dienste des Handwerkes hatte sie nur auszuschmücken, was anderen Zwecken im Leben dienstbar, nicht ein Kunstwerk für sich zu sein bestimmt war. Selbst bei den Geschenken, welche man den Göttern als Zehnten oder aus Dankbarkeit für erfüllte Gelübde weihte, sah man anfangs mehr auf Kostbarkeit oder Menge; am liebsten stellte man einen Theil des Gewinnes selbst auf, sei es von erbeute- ten Waffen, sei es von edlen Metallen, und höchstens ver- arbeitete man dies zu Tempelgeräthschaften mit künstlerischem Schmucke. So weihen die Samier wegen einer Handelsunter- nehmung nach Tartessos in der 35sten Ol. ein mächtiges Ge- fäss in das Heraeon 1), so Alyattes, selbst Kroesus noch ähn- liche Geschenke nach Delphi. Diese Verhältnisse dahin zu ändern, dass der künstlerische Werth dem materiellen gleich, oder höher als dieser, geschätzt werde, konnte aber der Wille und der Eifer einzelner Künstler noch keineswegs genügen. Es musste sich das Bedürfniss dazu in der ganzen Geistesrichtung der Zeit offenbaren. Aber welchen Einflüssen sollen wir einen solchen Umschwung am Anfange der Olympiaden zuschreiben? Sie bilden keinen Wendepunkt in der Entwickelung des grie-
1) Herod. IV, 152.
unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sondern eine neue Entwickelung des griechischen Geistes. Das Staatsleben nimmt an vielen Orten neue, bestimmtere Gestalten an, welche auch für die höchsten Entwickelungen eine tüchtige Grundlage ab- geben. Die sieben Weisen, meist praktische Staatsmänner, treten gerade in dieser Zeit auf. Wie aber im Staate die al- ten Formen immer mehr schwinden, so verliert auch in der Literatur die Poesie ihre bisherige Alleinherrschaft. Neben poetischem Anschauen und Schaffen zeigt sich immer mehr reines Beobachten und Denken über Vorhandenes und Gewe- senes, über die Gründe der Dinge; wir hören von den ersten Philosophen und Geschichtschreibern die zuerst in den Gegen- ständen ihrer geistigen Thätigkeit, bald aber auch in der Form von der Poesie sich lossagen. Dürfen wir uns daher wundern, wenn auch auf dem Felde der Kunst sich ein neues Leben regt? Sie entbehrte bisher der Freiheit, sie stand im Dienste der Priester oder des Handwerkes. Im Dienste der Priester machte sie Bilder, welche die Gottheit vielmehr bedeuten, als darstellen sollten; im Dienste des Handwerkes hatte sie nur auszuschmücken, was anderen Zwecken im Leben dienstbar, nicht ein Kunstwerk für sich zu sein bestimmt war. Selbst bei den Geschenken, welche man den Göttern als Zehnten oder aus Dankbarkeit für erfüllte Gelübde weihte, sah man anfangs mehr auf Kostbarkeit oder Menge; am liebsten stellte man einen Theil des Gewinnes selbst auf, sei es von erbeute- ten Waffen, sei es von edlen Metallen, und höchstens ver- arbeitete man dies zu Tempelgeräthschaften mit künstlerischem Schmucke. So weihen die Samier wegen einer Handelsunter- nehmung nach Tartessos in der 35sten Ol. ein mächtiges Ge- fäss in das Heraeon 1), so Alyattes, selbst Kroesus noch ähn- liche Geschenke nach Delphi. Diese Verhältnisse dahin zu ändern, dass der künstlerische Werth dem materiellen gleich, oder höher als dieser, geschätzt werde, konnte aber der Wille und der Eifer einzelner Künstler noch keineswegs genügen. Es musste sich das Bedürfniss dazu in der ganzen Geistesrichtung der Zeit offenbaren. Aber welchen Einflüssen sollen wir einen solchen Umschwung am Anfange der Olympiaden zuschreiben? Sie bilden keinen Wendepunkt in der Entwickelung des grie-
1) Herod. IV, 152.
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unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sondern eine neue
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an vielen Orten neue, bestimmtere Gestalten an, welche auch
für die höchsten Entwickelungen eine tüchtige Grundlage ab-
geben. Die sieben Weisen, meist praktische Staatsmänner,
treten gerade in dieser Zeit auf. Wie aber im Staate die al-
ten Formen immer mehr schwinden, so verliert auch in der
Literatur die Poesie ihre bisherige Alleinherrschaft. Neben
poetischem Anschauen und Schaffen zeigt sich immer mehr
reines Beobachten und Denken über Vorhandenes und Gewe-
senes, über die Gründe der Dinge; wir hören von den ersten
Philosophen und Geschichtschreibern die zuerst in den Gegen-
ständen ihrer geistigen Thätigkeit, bald aber auch in der Form
von der Poesie sich lossagen. Dürfen wir uns daher wundern,
wenn auch auf dem Felde der Kunst sich ein neues Leben
regt? Sie entbehrte bisher der Freiheit, sie stand im Dienste
der Priester oder des Handwerkes. Im Dienste der Priester
machte sie Bilder, welche die Gottheit vielmehr bedeuten, als
darstellen sollten; im Dienste des Handwerkes hatte sie nur
auszuschmücken, was anderen Zwecken im Leben dienstbar,
nicht ein Kunstwerk für sich zu sein bestimmt war. Selbst
bei den Geschenken, welche man den Göttern als Zehnten
oder aus Dankbarkeit für erfüllte Gelübde weihte, sah man
anfangs mehr auf Kostbarkeit oder Menge; am liebsten stellte
man einen Theil des Gewinnes selbst auf, sei es von erbeute-
ten Waffen, sei es von edlen Metallen, und höchstens ver-
arbeitete man dies zu Tempelgeräthschaften mit künstlerischem
Schmucke. So weihen die Samier wegen einer Handelsunter-
nehmung nach Tartessos in der 35sten Ol. ein mächtiges Ge-
fäss in das Heraeon 1), so Alyattes, selbst Kroesus noch ähn-
liche Geschenke nach Delphi. Diese Verhältnisse dahin zu
ändern, dass der künstlerische Werth dem materiellen gleich,
oder höher als dieser, geschätzt werde, konnte aber der Wille
und der Eifer einzelner Künstler noch keineswegs genügen. Es
musste sich das Bedürfniss dazu in der ganzen Geistesrichtung
der Zeit offenbaren. Aber welchen Einflüssen sollen wir einen
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Sie bilden keinen Wendepunkt in der Entwickelung des grie-
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/69>, abgerufen am 21.11.2024.
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