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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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Falle würde nach v. Jan's Bemerkung1) der Hirsch auf eine
Darstellung des Gottes deuten, wie diejenige ist, welche Pau-
sanias an einer andern Stelle2) beschreibt, und ein geschnit-
tener Stein3) sie uns wirklich zeigt: dass nemlich der Hirsch
auf den Hinterfüssen emporgerichtet von dem Gotte am Vor-
derbeine gefasst wird. -- Indessen so lange nicht eine klare
unzweideutige Erklärung der Worte des Plinius gegeben ist,
werden wir immer die Auctorität der milesischen Münzen als
für uns bindend betrachten, und in ihnen und den verwand-
ten Wiederholungen den Typus des Kanachos erkennen dürfen.
Freilich gewinnen wir auch auf diese Weise noch nicht viel
für eine schärfere Charakteristik des Künstlers. Denn gerade
alterthümliche Werke pflegen in Copien ihre feinere Eigen-
thümlichkeit einzubüssen, indem theils der Ausdruck verblasst,
theils die Formen in eine freiere Bildungsweise übertragen wer-
den. Man vergleiche nur die besten Wiederholungen unseres
Apollotypus, die Payne Knight'sche4) und die jetzt im Louvre
befindliche Bronze5), so werden sich bei aller äusseren Aehn-
lichkeit auch dem flüchtigen Beschauer bedeutende Unterschiede
in der feineren Charakteristik leicht offenbaren. Wir müssen
uns daher begnügen, auf die Grundzüge der ganzen Gestaltung
hinzuweisen. Die Stellung der Figur ist mehr stehend als
schreitend, indem der linke Fuss nur wenig vorgesetzt ist.
Da aber die Schwere des Körpers nicht vorzugsweise auf einem
Fusse ruht, sondern gleichmässig auf beide vertheilt ist, so
erscheint die ganze Bewegung gebunden und entbehrt der
Leichtigkeit. Damit hängt es zusammen, dass auch die Arme,
um das Gleichgewicht des Körpers nicht zu stören, oberwärts
ziemlich eng am Körper anliegen, während sie vom Ellenbogen
an gleichmässig vorgestreckt sind. Endlich entspricht es die-
ser strengen Gliederung, dass der Kopf gerade vorwärts ge-
richtet, der Blick ohne ein bestimmtes festes Ziel ist. Die
Haare, an denen sich die Alterthümlichkeit besonders deutlich
zu zeigen pflegt, sind in den verschiedenen Wiederholungen
nicht völlig übereinstimmend gebildet. Doch zeigt sich nirgends
ein Streben nach reiner Naturnachahmung, sondern eine syste-

1) In der Jenaer Lit. Zeit. 1838 S. 255. Vgl. Welcker zu Müllers Hdb.
§. 86.
2) X, 13, 3.
3) Müll. u. Oest. D. a. K. I, t. 15. n. 61.
4) Spe-
eimens d. Dilettanti I, f. 12.
5) Mon. dell' Inst. I, t. 58. 59.

Falle würde nach v. Jan’s Bemerkung1) der Hirsch auf eine
Darstellung des Gottes deuten, wie diejenige ist, welche Pau-
sanias an einer andern Stelle2) beschreibt, und ein geschnit-
tener Stein3) sie uns wirklich zeigt: dass nemlich der Hirsch
auf den Hinterfüssen emporgerichtet von dem Gotte am Vor-
derbeine gefasst wird. — Indessen so lange nicht eine klare
unzweideutige Erklärung der Worte des Plinius gegeben ist,
werden wir immer die Auctorität der milesischen Münzen als
für uns bindend betrachten, und in ihnen und den verwand-
ten Wiederholungen den Typus des Kanachos erkennen dürfen.
Freilich gewinnen wir auch auf diese Weise noch nicht viel
für eine schärfere Charakteristik des Künstlers. Denn gerade
alterthümliche Werke pflegen in Copien ihre feinere Eigen-
thümlichkeit einzubüssen, indem theils der Ausdruck verblasst,
theils die Formen in eine freiere Bildungsweise übertragen wer-
den. Man vergleiche nur die besten Wiederholungen unseres
Apollotypus, die Payne Knight’sche4) und die jetzt im Louvre
befindliche Bronze5), so werden sich bei aller äusseren Aehn-
lichkeit auch dem flüchtigen Beschauer bedeutende Unterschiede
in der feineren Charakteristik leicht offenbaren. Wir müssen
uns daher begnügen, auf die Grundzüge der ganzen Gestaltung
hinzuweisen. Die Stellung der Figur ist mehr stehend als
schreitend, indem der linke Fuss nur wenig vorgesetzt ist.
Da aber die Schwere des Körpers nicht vorzugsweise auf einem
Fusse ruht, sondern gleichmässig auf beide vertheilt ist, so
erscheint die ganze Bewegung gebunden und entbehrt der
Leichtigkeit. Damit hängt es zusammen, dass auch die Arme,
um das Gleichgewicht des Körpers nicht zu stören, oberwärts
ziemlich eng am Körper anliegen, während sie vom Ellenbogen
an gleichmässig vorgestreckt sind. Endlich entspricht es die-
ser strengen Gliederung, dass der Kopf gerade vorwärts ge-
richtet, der Blick ohne ein bestimmtes festes Ziel ist. Die
Haare, an denen sich die Alterthümlichkeit besonders deutlich
zu zeigen pflegt, sind in den verschiedenen Wiederholungen
nicht völlig übereinstimmend gebildet. Doch zeigt sich nirgends
ein Streben nach reiner Naturnachahmung, sondern eine syste-

1) In der Jenaer Lit. Zeit. 1838 S. 255. Vgl. Welcker zu Müllers Hdb.
§. 86.
2) X, 13, 3.
3) Müll. u. Oest. D. a. K. I, t. 15. n. 61.
4) Spe-
eimens d. Dilettanti I, f. 12.
5) Mon. dell’ Inst. I, t. 58. 59.
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[78/0091] Falle würde nach v. Jan’s Bemerkung 1) der Hirsch auf eine Darstellung des Gottes deuten, wie diejenige ist, welche Pau- sanias an einer andern Stelle 2) beschreibt, und ein geschnit- tener Stein 3) sie uns wirklich zeigt: dass nemlich der Hirsch auf den Hinterfüssen emporgerichtet von dem Gotte am Vor- derbeine gefasst wird. — Indessen so lange nicht eine klare unzweideutige Erklärung der Worte des Plinius gegeben ist, werden wir immer die Auctorität der milesischen Münzen als für uns bindend betrachten, und in ihnen und den verwand- ten Wiederholungen den Typus des Kanachos erkennen dürfen. Freilich gewinnen wir auch auf diese Weise noch nicht viel für eine schärfere Charakteristik des Künstlers. Denn gerade alterthümliche Werke pflegen in Copien ihre feinere Eigen- thümlichkeit einzubüssen, indem theils der Ausdruck verblasst, theils die Formen in eine freiere Bildungsweise übertragen wer- den. Man vergleiche nur die besten Wiederholungen unseres Apollotypus, die Payne Knight’sche 4) und die jetzt im Louvre befindliche Bronze 5), so werden sich bei aller äusseren Aehn- lichkeit auch dem flüchtigen Beschauer bedeutende Unterschiede in der feineren Charakteristik leicht offenbaren. Wir müssen uns daher begnügen, auf die Grundzüge der ganzen Gestaltung hinzuweisen. Die Stellung der Figur ist mehr stehend als schreitend, indem der linke Fuss nur wenig vorgesetzt ist. Da aber die Schwere des Körpers nicht vorzugsweise auf einem Fusse ruht, sondern gleichmässig auf beide vertheilt ist, so erscheint die ganze Bewegung gebunden und entbehrt der Leichtigkeit. Damit hängt es zusammen, dass auch die Arme, um das Gleichgewicht des Körpers nicht zu stören, oberwärts ziemlich eng am Körper anliegen, während sie vom Ellenbogen an gleichmässig vorgestreckt sind. Endlich entspricht es die- ser strengen Gliederung, dass der Kopf gerade vorwärts ge- richtet, der Blick ohne ein bestimmtes festes Ziel ist. Die Haare, an denen sich die Alterthümlichkeit besonders deutlich zu zeigen pflegt, sind in den verschiedenen Wiederholungen nicht völlig übereinstimmend gebildet. Doch zeigt sich nirgends ein Streben nach reiner Naturnachahmung, sondern eine syste- 1) In der Jenaer Lit. Zeit. 1838 S. 255. Vgl. Welcker zu Müllers Hdb. §. 86. 2) X, 13, 3. 3) Müll. u. Oest. D. a. K. I, t. 15. n. 61. 4) Spe- eimens d. Dilettanti I, f. 12. 5) Mon. dell’ Inst. I, t. 58. 59.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/91>, abgerufen am 21.11.2024.