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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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Werke Raphaels aus der Zeit seiner vollsten und freiesten
Entwicklung betrachtet hat, wird den kräftigen Bau, nament-
lich die kräftigen Arme seiner Frauengestalten aus dem Ge-
dächtnisse verloren haben, für welche man gewöhnlich das
mannhafte Geschlecht der Trasteverinerinnen als Vorbild an-
zuführen pflegt. Je nach dem verschiedenen Standpunkte der
Beschauer nun kann man über diese Eigenthümlichkeit ent-
weder das Urtheil des Plinius oder das des Quintilian sich
wiederholen hören: das tadelnde aus dem Munde derer,
welche in einer gewissen knappen und exacten Zeichnung
das höchste Verdienst erkennen, das lobende von denen,
welche jene breite Manier der malerischen Behandlung als
den grössten Vorzug preisen. Ganz auf dieselbe Weise er-
klärt sich denn auch der Widerspruch in der Beurtheilung
des Zeuxis.

So dürfen wir es nun zuversichtlicher aussprechen, dass
Zeuxis in seiner ganzen Thätigkeit von einer überwiegenden
Berücksichtigung des Malerischen ausging, wodurch er
mit Nothwendigkeit darauf hingeführt wurde, vor allem die
äussere Erscheinung der Dinge zu beachten und auf Illu-
sion hinzuarbeiten. Es erscheint dabei als durchaus natur-
gemäss, wenn diese Richtung des Zeuxis nicht einzig auf die
technische Seite seiner Kunst, auf die Ausführung beschränkt
blieb, sondern ihren Einfluss überhaupt in seiner ganzen
Auffassung zeigte. Sie lenkte die Aufmerksamkeit des Künst-
lers von der höheren ethischen Bedeutung des Kunstwerks
ab und veranlasste ihn, dafür in Darstellungen Ersatz zu su-
chen, welche durch eine gefällige äussere Anordnung, sowie
durch eine geschickte Wahl des Moments und der Situationen
anzogen und überraschten. Allein so gewandt sich auch
Zeuxis hierin erwies, so konnte er doch damit für den Man-
gel an tieferem geistigen Gehalte nicht entschädigen, sondern
den Beschauer höchstens darüber täuschen.

Nachdem wir die künstlerische Wirksamkeit des Zeuxis
nach ihren einzelnen Richtungen betrachtet haben, bleibt uns
noch übrig, über seine Stellung in der Entwickelungsge-
schichte der Malerei im Allgemeinen uns bestimmter auszu-
sprechen. Schon im Alterthume scheinen sich in dieser Be-
ziehung zwei Meinungen gegenübergestanden zu haben, als
deren hauptsächlichste Vertreter wir Aristoteles und Plinius

Werke Raphaels aus der Zeit seiner vollsten und freiesten
Entwicklung betrachtet hat, wird den kräftigen Bau, nament-
lich die kräftigen Arme seiner Frauengestalten aus dem Ge-
dächtnisse verloren haben, für welche man gewöhnlich das
mannhafte Geschlecht der Trasteverinerinnen als Vorbild an-
zuführen pflegt. Je nach dem verschiedenen Standpunkte der
Beschauer nun kann man über diese Eigenthümlichkeit ent-
weder das Urtheil des Plinius oder das des Quintilian sich
wiederholen hören: das tadelnde aus dem Munde derer,
welche in einer gewissen knappen und exacten Zeichnung
das höchste Verdienst erkennen, das lobende von denen,
welche jene breite Manier der malerischen Behandlung als
den grössten Vorzug preisen. Ganz auf dieselbe Weise er-
klärt sich denn auch der Widerspruch in der Beurtheilung
des Zeuxis.

So dürfen wir es nun zuversichtlicher aussprechen, dass
Zeuxis in seiner ganzen Thätigkeit von einer überwiegenden
Berücksichtigung des Malerischen ausging, wodurch er
mit Nothwendigkeit darauf hingeführt wurde, vor allem die
äussere Erscheinung der Dinge zu beachten und auf Illu-
sion hinzuarbeiten. Es erscheint dabei als durchaus natur-
gemäss, wenn diese Richtung des Zeuxis nicht einzig auf die
technische Seite seiner Kunst, auf die Ausführung beschränkt
blieb, sondern ihren Einfluss überhaupt in seiner ganzen
Auffassung zeigte. Sie lenkte die Aufmerksamkeit des Künst-
lers von der höheren ethischen Bedeutung des Kunstwerks
ab und veranlasste ihn, dafür in Darstellungen Ersatz zu su-
chen, welche durch eine gefällige äussere Anordnung, sowie
durch eine geschickte Wahl des Moments und der Situationen
anzogen und überraschten. Allein so gewandt sich auch
Zeuxis hierin erwies, so konnte er doch damit für den Man-
gel an tieferem geistigen Gehalte nicht entschädigen, sondern
den Beschauer höchstens darüber täuschen.

Nachdem wir die künstlerische Wirksamkeit des Zeuxis
nach ihren einzelnen Richtungen betrachtet haben, bleibt uns
noch übrig, über seine Stellung in der Entwickelungsge-
schichte der Malerei im Allgemeinen uns bestimmter auszu-
sprechen. Schon im Alterthume scheinen sich in dieser Be-
ziehung zwei Meinungen gegenübergestanden zu haben, als
deren hauptsächlichste Vertreter wir Aristoteles und Plinius

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[93/0101] Werke Raphaels aus der Zeit seiner vollsten und freiesten Entwicklung betrachtet hat, wird den kräftigen Bau, nament- lich die kräftigen Arme seiner Frauengestalten aus dem Ge- dächtnisse verloren haben, für welche man gewöhnlich das mannhafte Geschlecht der Trasteverinerinnen als Vorbild an- zuführen pflegt. Je nach dem verschiedenen Standpunkte der Beschauer nun kann man über diese Eigenthümlichkeit ent- weder das Urtheil des Plinius oder das des Quintilian sich wiederholen hören: das tadelnde aus dem Munde derer, welche in einer gewissen knappen und exacten Zeichnung das höchste Verdienst erkennen, das lobende von denen, welche jene breite Manier der malerischen Behandlung als den grössten Vorzug preisen. Ganz auf dieselbe Weise er- klärt sich denn auch der Widerspruch in der Beurtheilung des Zeuxis. So dürfen wir es nun zuversichtlicher aussprechen, dass Zeuxis in seiner ganzen Thätigkeit von einer überwiegenden Berücksichtigung des Malerischen ausging, wodurch er mit Nothwendigkeit darauf hingeführt wurde, vor allem die äussere Erscheinung der Dinge zu beachten und auf Illu- sion hinzuarbeiten. Es erscheint dabei als durchaus natur- gemäss, wenn diese Richtung des Zeuxis nicht einzig auf die technische Seite seiner Kunst, auf die Ausführung beschränkt blieb, sondern ihren Einfluss überhaupt in seiner ganzen Auffassung zeigte. Sie lenkte die Aufmerksamkeit des Künst- lers von der höheren ethischen Bedeutung des Kunstwerks ab und veranlasste ihn, dafür in Darstellungen Ersatz zu su- chen, welche durch eine gefällige äussere Anordnung, sowie durch eine geschickte Wahl des Moments und der Situationen anzogen und überraschten. Allein so gewandt sich auch Zeuxis hierin erwies, so konnte er doch damit für den Man- gel an tieferem geistigen Gehalte nicht entschädigen, sondern den Beschauer höchstens darüber täuschen. Nachdem wir die künstlerische Wirksamkeit des Zeuxis nach ihren einzelnen Richtungen betrachtet haben, bleibt uns noch übrig, über seine Stellung in der Entwickelungsge- schichte der Malerei im Allgemeinen uns bestimmter auszu- sprechen. Schon im Alterthume scheinen sich in dieser Be- ziehung zwei Meinungen gegenübergestanden zu haben, als deren hauptsächlichste Vertreter wir Aristoteles und Plinius

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/101>, abgerufen am 27.11.2024.